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Berlin: Konsens in allen Köpfen

Ein Montagmorgen in Brüssel. Die EU-Bürokratie kommt auf Touren.

Ein Montagmorgen in Brüssel. Die EU-Bürokratie kommt auf Touren. Tausende Dienstzimmer in der belgischen Metropole füllen sich mit Beamten, die Europa regulieren sollen. Regulieren, das ist vor allem die Suche nach dem Kompromiss, denn die nationalen Autoritäten regieren mit. Sie vertreten in der europäischen Hauptstadt ihre Interessen und streiten auch dafür. In einem Tagungsraum im Brüsseler Charlemagne-Building herrscht an diesem Montag seltene Einigkeit. 45 Schüler aus Euroland - jeder der 15 EU-Mitgliedsstaaten ist mit einer dreiköpfigen Delegation vertreten - simulieren eine Sitzung der EU-Umweltkommission. Für die 17- bis 20-Jährigen - darunter zwei Schülerinnen des Berliner John-Lennon-Gymnasiums - ist die Veranstaltung weit mehr als ein Planspiel. Sie nehmen die Sitzung erstaunlich ernst, haben sich wochenlang auf ihre Redebeiträge vorbereitet. Sie haben Verkehrsstatistiken gewälzt, neue Theorien über den Treibhauseffekt studiert und sich in das sperrige Thema der genveränderten Lebensmittel eingearbeitet. "Wir Politiker", sagt die deutsche Delegierte Laura Kaiser, "wir Politiker brauchen Fakten, wenn wir entscheiden sollen."

Sie geht ganz in der ihr zugewiesenen Rolle als Staatssekretärin im Umweltministerium auf. Laura Kaiser war auch schon bei der ersten Simulation im April 2001 dabei. Damals lernte die 18-Jährige noch an einer Bonner Schule, inzwischen ist sie ans Berliner John-Lennon-Gymnasium gewechselt. Hier stieß auch die zweite Delegierte dazu: Sophie Dieckmann, eine gleichaltrige Klassenkameradin. Aus Bonn kennt Laura Kaiser die dritte im deutschen EU-Team, Silke Nikolay. Die Drei freuen sich, frei reden zu dürfen, viel freier, als die echten Regierungsvertreter. "Wir können die USA für ihren Ausstieg aus dem Klimaschutz-Protokoll kritisieren", sagt Laura Kaiser. "Wir müssen nicht so sehr auf außenpolitische Auswirkungen achten."

Auf die achten sie auch nicht, wenn sie über die anderen Delegationen sprechen. "Hier wird viel nationales Klischee zur Schau getragen", meint Laura. "Die Italiener zum Beispiel sind sehr modebewusst." Auch die drei Deutschen sind bemüht, einem nationalen Klischee zu entsprechen, der deutschen Ordnungsliebe. Über den ersten Programmpunkt, die Förderung von Nichtregierungsorganisationen, sollte laut Konferenzplan abgestimmt werden. Doch weil sich auch hier ein Konsens bei allen Delegationen abzeichnete, verzichtete das Präsidium auf die Prozedur. Die Deutschen wollten sich damit nicht abfinden, drängten auf die Abstimmung - ohne Erfolg allerdings.

Dabei geht es hier gar nicht um Entscheidungen, auch wenn die Resolutionen der echten Umweltkommission vorgelegt werden. Es geht um das Gefühl für die EU-Zwänge, um das Verständnis der langen Entscheidungswege, die die jungen Delegierten hier lernen sollen. Und dafür scheut die EU keine Kosten. Die Jugendlichen dürfen in den echten Sitzungsräumen tagen. Und die echten, hoch bezahlten Dolmetscher übersetzen jedes Wort in fast alle EU-Sprachen.

So streng folgen die Schüler der üblichen Tagungsregie, dass sie sich auf der anschließenden Pressekonferenz - selbst hier wollten die Organisatoren den Teilnehmern ein authentisches Gefühl vermitteln - fragen lassen müssen, warum sie denn bloß so konservativ seien. Auch die EU-Umweltkommissarin Margot Wallstroem sah sich veranlasst, die jungen Leute zu ermuntern: "Machen Sie sich Gedanken, wie man den Entscheidungsprozess effektiver machen kann!"

Die Simulationen gehören nun zum festen Jugendprogramm der Brüsseler EU-Kommission. Während jeder der halbjährlichen Präsidentschaften soll auch die EU-Jugend hier tagen dürfen, das nächste Mal im April 2002. Bewerbungen auch von deutschen Schulen sind nicht nur willkommen, sondern vielmehr überaus erwünscht.

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