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Bringen die Orgel zum Schwingen. Rudolf und Albrecht Bönisch in der Kirche von Waltersdorf bei Luckau.

© Laif/Holger Talinski

Konzerte in Kirchen: Zwei Männer ziehen alle Register

Pfarrer Bönisch und sein Vater kennen sämtliche 322 Orgeln der Niederlausitz. Im Sommer laden sie Musiker aus aller Welt zu Konzerten ein.

Waltersdorf (Dahme-Spreewald) - Als sich die anderen Jungen für Autos interessierten, begeisterte er sich für Orgeln. Er las alles über ihre Mechanik mit Blasebälgen und Windkanälen, Hebeln, Tasten, Schleifen und Zimbelsternen. Er war 13. Später, als er studierte und seine Freunde in den Semesterferien am See lagen, fuhr er über die Dörfer und besuchte Orgeln. Er drückte Tasten und Pedale, horchte auf den Luftstrom in den Pfeifen und untersuchte verstaubte Schnörkel. Aus welcher Zeit stammt das Instrument? Barock? Romantik? 20. Jahrhundert? In welchem Zustand ist es? Ist es noch zu retten? Er schrieb seine Beobachtungen auf und fuhr weiter. Manchmal schaffte er sechs Instrumente an einem Tag. Heute ist Albrecht Bönisch 30, Pfarrer, und kennt alle 322 Orgeln in der Niederlausitz. Er freut sich, wenn es ihnen gut geht. Und er leidet, wenn sie in schlechtem Zustand sind. Er kann die Hände nicht von ihren Tasten lassen, und wenn er mittendrin sitzt im Brausen der Töne und den Windstrom spürt, dann ist das für ihn pures Glück.

Die Leidenschaft für die Orgeln kommt von Vater Rudolf Bönisch, 58, Geologe. Oft sind Vater und Sohn gemeinsam unterwegs, stöbern in Archiven und tun alles, um sie zum Klingen zu bringen. „Das schlimmste Gift für eine Orgel ist, wenn sie nicht gespielt wird“, sagt Rudolf Bönisch. Der Staub wird nicht aufgewirbelt, der Holzwurm nagt ungestört. 26 Konzerte organisieren die Bönischs im Jahr. Ohne Geld, ohne eine Institution im Rücken holen sie die großen Organisten hierher, aus Kanada und Litauen, aus Brasilien, Italien, Polen und Tschechien und natürlich aus ganz Deutschland.

An diesem und an vier weiteren Wochenenden bis Mitte August ist es wieder so weit. Im Rahmen des Orgelfestivals „Mixtur in Bass“ spielen internationale Organisten jeweils drei Konzerte zu unterschiedlichen Themen an 15 verschiedenen Orten – von Doberlug-Kirchhain im Westen bis Neuzelle im Osten, von Lübben im Norden bis Senftenberg im Süden. Und auch in Waltersdorf bei Luckau.

Rudolf Bönisch schließt die Tür auf, eine knarzende Treppe führt auf die Empore. Als die DDR noch stand, gab es die Waltersdorfer Kirche nur in Bruchstücken. Das Dach war kaputt, drinnen nisteten Vögel. Auf der Empore stand die Orgel. Sie steht da immer noch. Vater und Sohn nicken sich zu und schalten das Licht an: Nicht zu glauben, dass dieses Prachtstück 50 Jahre Schnee, Regen und Hitze hinter sich hat. Nach dem Mauerfall sanierte die Gemeinde die Kirche, seit 1999 strahlt die Orgel in neuem Glanz. Die Ornamente schimmern golden und die Pfeifen silbern und heben sich elegant ab vom roten Gehäuse. 1794 steht geschwungen oben am Kopf.

Albrecht Bönisch setzt sich auf die Orgelbank und improvisiert. Er spielt mit hellem und dunklem Register, mal klingt es samtig-weich, mal frisch und scharf, mal täuschend echt wie eine Querflöte. Vater Rudolf Bönisch hört zu, fährt sich mit der Hand durch den Vollbart und lacht immer wieder. Er freut sich, dass nach der Restaurierung wieder so viel möglich ist. Noch hundert weitere barocke und romantische Orgeln warten in der Niederlausitz auf den Restaurator.

Der Sohn lässt sich bei seinem Spiel leiten von den Stimmungen, die die Orgel seit 200 Jahren vorgibt. Die Quinte treibt ihn zum schnelleren Rhythmus, die „Violigambo“ ist einem Streichinstrument nachempfunden und bringt Ruhe. „Ich kann die Register ziehen wie ich will, trotzdem bestimmt das Instrument, wo es langgeht“, sagt er. „Die Orgel ist ein gleichwertiger Partner, das macht sie so spannend.“ Spannender als ein Klavier, bei dem man selbst bestimmen könne, und erst recht spannender als eine Geige. „Die könnte ich irgendwohin mitnehmen.“ Wäre ja einfach und langweilig.

Was andere als Einschränkung empfinden, ist für die Bönischs das Reizvolle: Dass der Orgelbauer sein Instrument für einen speziellen Raum gebaut hat und mit Klangfarben, die ihm gefielen. Der globalen Austauschbarkeit von Stimmungen und Klängen setzen Vater und Sohn die Einzigartigkeit der Orgeln gegenüber und die Einzigartigkeit der Dörfer, in die sie eingebettet sind und in der auch sie sich seit Generationen zu Hause fühlen.

Es gibt prächtigere Barockorgeln als in Brandenburg, aber viele sehen nur noch aus nach Barock, innendrin ist Moderne. Dort, wo man Geld hatte, wurden viele Instrumente umgebaut und umgestimmt, als das Barocke aus der Mode kam. In Brandenburg hatte man dafür selten das Geld, hier kann man noch das Original hören. Das Authentische hat allerdings seine Macken. Wenn die Bönischs in den Dorfkirchen CDs aufnehmen, soll es so klingen wie im Studio. Und dann bellt ein Hund beim letzten Ton oder der Nachbar lässt den Rasenmäher an. Was dann? „Dann fangen wir halt noch mal von vorne an“, sagt Rudolf Bönisch. Von den Orgeln können sie eh nicht genug kriegen.

Am heutigen Sonntag, 17 Uhr, Schinkelkirche Straupitz im Spreewald, Orgelkonzert „Spanien und Skandinavien“ mit Echo-Preisträger Martin Schmeding aus Freiburg; eine Stunde vorher gibt es eine Kirchen- und Orgelführung; Infos unter www.orgelklang.de

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