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Berlin: „Kopftuchverbot für den gesamten öffentlichen Dienst“

Der Senat verzichtet vorerst auf ein Gesetz. SPD-Landeschef Peter Strieder hält das für falsch: Er will keine anatolische Dorfkultur in Berlin

Herr Strieder, was haben Sie gegen Kopftuch tragende Lehrerinnen?

Es hat schon seinen Grund, dass in der laizistischen Türkei solche Symbole unerwünscht sind. In Großstädten wie Istanbul ist das Kopftuch im Straßenbild fast nicht vorhanden. Insoweit ist BerlinKreuzberg nicht Großstadt, sondern türkisches Dorf. Die Menschen, die vom Land, aus Anatolien, zu uns gekommen sind, haben wir bis heute aus der großstädtischen Gesellschaft ausgegrenzt. Sie haben ihre dörfliche Kultur beibehalten.

Das würden junge türkischstämmige Frauen, die in Deutschland ein Lehrerstudium absolviert haben, strikt von sich weisen.

Zu Recht; aber leider gibt es viel zu wenige solcher Frauen. Das Kreuzberger Straßenbild prägen die, die noch in engen Familienverbänden zusammen wohnen, sehr traditionsbewusst sind und sich auch so kleiden. Als einige der ersten Migranten noch Hühner und Hasen auf den Balkons hielten, haben wir geglaubt, eine dörflich geprägte Kultur in einer Millionenstadt zu tolerieren, sei liberal. Es zeigte aber nur, wie abgeschottet wir nebeneinander leben.

Ein Problem, das nicht nur Berlin hat.

Wir sollten einen anderen Weg gehen als die amerikanischen Städte, die ethnische Stadtteile haben. Ich wünsche mir eine sozial, ethnisch und funktional gemischte Stadt. In der kann man Kopftücher als Kennzeichen einer Parallelgesellschaft nicht gebrauchen.

Sie warnen vor einer falsch verstandenen Liberalität. Aber Sie nehmen sich dabei die türkische Innenpolitik zum Vorbild, die vielfach intolerant und undemokratisch ist.

Die jüngere Geschichte der Türkei ist sicher kein Vorbild für Demokratie, aber inzwischen ist es deutlich besser geworden. Das ist aber auch nicht mein Thema. Die entscheidende Frage lautet: Ist das Kopftuch ein notwendiges Symbol für religiöse Menschen? Wenn es so wäre, könnte selbst ein autoritärer Staat es nicht schaffen, das Kopftuch zu verdrängen. Es ist aber kein religiöses Symbol, sondern Ausdruck einer ganz bestimmten missionarischen Haltung und der Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft.

Das Kopftuch – ein fundamentalistisches Kampfmittel?

Wie man es auch immer nennt: Wenn ein Kind aus einer Familie, in der dieses Kleidungsstück keine Rolle spielt, zu einer Kopftuch tragenden Lehrerin kommt, kann es zu unnötigen Konflikten kommen. Das gilt auch für türkische Erwachsene, die im Sozial- oder Wohngeldamt auf eine Sachbearbeiterin treffen, die ein Kopftuch trägt. Denn es könnte der Verdacht aufkommen, von dieser Sachbearbeiterin schlechter behandelt zu werden. Wir dulden ja auch nicht, dass Polizisten ein Parteiabzeichen tragen.

Der Lehrerberuf ist aber keine hoheitliche Aufgabe…

… aber ein Beruf mit einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis für die Schülerinnen und Schüler. Und je kleiner die Kinder, desto beeinflussbarer sind sie. Eine Kopftuch tragende Lehrerin kann eine sechsjährige Schülerin schnell auf die Idee bringen, dass anständige Mädchen so bekleidet sein müssen.

Wobei die Wirkung auf deutsche oder türkische Mädchen unterschiedlich wäre.

Sicher. Aber wir müssen allen einen Schutz vor solchen Beeinflussungen bieten. Das Kopftuch ist doch nicht zufällig erst jetzt zu einem Thema geworden. Es hat mit dem erstarkenden Islamismus zu tun. Mit einer Instrumentalisierung der Religion für die Politik. Dagegen müssen wir uns stellen.

Gilt Ihr Verdikt nur für Kopftücher?

Das Kreuz an der Goldkette wird sicher nicht unter ein Verbot fallen. Aber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine Lehrerin in Schwesterntracht nicht anders zu beurteilen als eine Kopftuchträgerin.

Bisher gab es in Berlin keine Lehrerinnen, die sich so bekleiden wollten.

Nein; aber wir haben immer mehr türkischstämmige Erzieherinnen. Darüber können wir stolz und froh sein; aber in den Kitas kann das zu einem Kopftuchproblem führen. Ein Verbot muss für den gesamten öffentlichen Dienst gelten. Auch in Finanzämtern haben Kopftücher nichts zu suchen.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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