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Berlin: Krach um Böller

Silvester war die Hölle los. Die Politik denkt nun darüber nach, gegen gefährliche Kracher und Raketen vorzugehen. Pro & Contra: Soll die Knallerei verboten werden?

An die letzte Silvesternacht denkt er mit Grausen. Zum nächsten Jahreswechsel würde sich Berlins Feuerwehrchef Albrecht Broemme deshalb am liebsten nach Wien versetzen lassen und erst wieder zurückkehren, wenn an der Spree alle gefährlichen Böller und Raketen explodiert sind. Denn in Berlin musste die Feuerwehr diesmal zu 507 Bränden und 564 Verletzten ausrücken. „Es war die Hölle los“, sagt Broemme – während es in Wien recht gemütlich zuging: „Die Kollegen hatten in der ganzen Nacht so viele Einsätze wie wir in einer Viertelstunde.“

Da Berlins Landesbranddirektor aber zu Silvester unabkömmlich ist, geht er nun in die Offensive und schlägt ein Verbot von Kanonenschlägen und Raketen vor. Damit beginnt ein Krach um die Knallerei, den Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ganz im Sinne der Feuerwehr anheizt. Auch er erwägt ein Verkaufsverbot in Berlin für gefährliche Knallkörper und Raketen. Außerdem will er der Bundesregierung Druck machen. Sie soll die Kriterien verschärfen, nach denen Feuerwerkskörper zugelassen werden.

Setzen sich Körting und Landesbranddirektor Broemme durch, so wird dies manche älteren Berliner an stille Silvesternächte in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Kriege erinnern. Denn bereits in den frühen 50er Jahren beschloss der Senat ein Verbot aller Pyrotechnik, „die im Freien Lärm erzeugt und gefährlich ist“. Goldregen statt Kanonenschläge, lautete das Motto des rigiden Kurses, der ähnlich wie heute begründet wurde. Schließlich berichteten die West-Berliner Zeitungen schon zu dieser Zeit nach jedem Jahreswechsel über hunderte Verletzte und Brände. 1956 beispielsweise gingen durch einen Kanonenschlag in einem Weddinger Hinterhof 30 Scheiben zu Bruch. Entsprechend laut war die Empörung über „den Verfall menschlicher Kultur und Sitte“, wie der Tagesspiegel schrieb.

Doch unter dem Druck der Böller-Freunde hielt der Senat nur bis 1957 durch. Dann gab er die Ballerei wieder frei – bis 1961 die Mauer gebaut wurde und politische Gründe für eingeschränkte Silvesterfreuden sprachen: „Wir wollen nicht Gefahr laufen, dass an der Sektorengrenzen aus einer friedlichen Knallerei Ernst wird“, argumentierte die Stadtregierung und verbot für einige Jahre erneut alles außer Tischfeuerzeug.

Der Effekt war allerdings mäßig. Immer weniger Bürger hielten sich daran, und die Polizei konnte illegalen Raketen in der Silvesternacht mangels Personal genauso wenig ahnden wie heutzutage die Hundehäufchen. Also konzentrierte man sich auf besser durchsetzbare Einschränkungen. Die Verkaufszeit für Pyrotechnik wurde auf wenige Tage vor Neujahr begrenzt und das Knallverbot nach Silvester verschärft. Es gab zwar schon damals standhafte böller- und raketenfreie Zonen mit brandgefährdeten Reetdächern wie die Nordseeinseln Sylt und Amrun oder das Harzstädtchen Osterode, wo bis heute kein Mensch zu Neujahr zündeln darf – doch an solchen Vorbildern fanden die Großstädter kaum Gefallen.

„Das hat sich inzwischen geändert“, meint Landesbranddirektor Albrecht Broemme und verweist auf „einen Sturm von Zustimmung“ der ihn in den vergangenen Tagen erreicht habe. „Viele Leute haben die Ballerei vor ihrer Haustüre satt“, sagt Broemme. Und dann schlägt er weitere Initiativen gegen das Berliner Silvester-Chaos vor. Zentrale Abbrennplätze beispielsweise, auf Sportflächen oder Parkplätzen. Nur dort sollten private Raketen in den Himmel steigen. Oder spektakuläre öffentliche Feuerwerke zu Neujahr, „die Menschen davon abhalten, selbst zu zündeln.“

Doch vielleicht brauchen sie bald kein Feuerzeug mehr und können dennoch nach Herzenslust gefahrlos böllern. Das hofft der Experte für Pyrotechnik an der Technischen Universität Cottbus, Professor Wolfgang Spyra – und verweist auf Fortschritte in China. Dort gibt es schon Elektro-Knaller. „Diese Fire-Cracker“, sagt er, „machen auf Knopfdruck denselben Lärm wie Kanonenschläge – immer wieder.“ Aber sie explodieren nie.

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