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Berlin: Krach um den Lärm auf der Insel

Die Insel der Jugend in Treptow war jahrzehntelang ein Ort für Feste und Konzerte. Damit ist nun Schluss. Den neuen Nachbarn war’s zu laut.

Auch wenn die Stadt schläft, kommt sie nicht zur Ruhe. Auch nicht im Treptower Park, oder auf der Halbinsel Stralau. Im Grünen, mitten im Zentrum. Auf den Partybooten auf der Spree nahe dem Treptower Hafen lassen es die Gäste unterm Sternenhimmel krachen. Das Rattern und Quietschen der Trams und S-Bahnen trägt der Wind auf die Halbinsel herüber. Es scheppert, wenn die Greifer in der Nacht die Lastkähne am Kraftwerk an der Rummelsburger Bucht entladen, die Züge zum Bahnhof Ostkreuz rollen. Am Tage gibt der Pilot des Wasserflugzeugs Schub und im Biergarten Eierschale ist Stimmung.

Nur auf der Insel der Jugend in der Spree, auch Insel Berlin genannt, ist es neuerdings still. Die neuen Nachbarn auf der gegenüberliegenden Uferseite fühlten sich gestört – kein Einzelfall, wie Konflikte mit Zuzüglern an anderen Orten der Stadt zeigen (siehe Kasten). Jetzt gibt es keine Open-Air-Konzerte mehr, kein Theater, Kino, Flohmarkt und Familienfest. „Dafür gibt es jetzt Ruhe satt“, steht auf einem Schild an dem burgähnlichen Haus: Da ist ein Note durchgestrichen, ein Vogel, ein Mensch. Laut den Vorgaben des Umweltamtes Treptow-Köpenick dürfen tagsüber noch 55 Dezibel erreicht werden, das entspricht laut Betreiber André Szatkowski einem Radio, das in einem Meter Entfernung in Zimmerlautstärke dudelt. Vogelgezwitscher im Freien aus 15 Meter Entfernung habe etwa 50 Dezibel. Nachts sind 70 erlaubt.

Eine Insel der Kultur geht unter. In den 1970-er Jahren lag am Ufer noch ein umgebauter Schleppkahn, für Tanzveranstaltungen. Im Sommer gab es Gratiskonzerte mit DDR-Stars wie Veronika Fischer. Mitte der 1980-er Jahre zog der Jugendclub Insel ein. Vor zwei Jahren übernahm der Verein „Kulturalarm“ nach zwei Jahren Stillstand den Betrieb, investierte 120 000 Euro in den Bootsverleih mit Sandstrand und Gratisspielgeräten, in „Mainfloor“, Dachterrasse, Sonnendeck. „Der Bezirk war froh, dass wir die Ecke für Familien wieder attraktiver machen, viele freuen sich, dass es noch was anderes gibt als Mainstreamkultur“, sagt Szatkowski, der Vorstandsvorsitzende des Betreibervereins. Staatliche Fördergelder bekommt der Verein nicht, deswegen sei man auf Gäste und Umsatz angewiesen. „Wir nutzen sogar eine spezielle Musikanlage mit Phasenauslöschung, bei der sich Schallwellen Richtung Stralau aufheben“, sagt er. Doch er muss die Ritterspiele absagen, und die Fête de la Musique, was besonders schade ist, denn am 21. Juni vor zwei Jahren war Eröffnung. Dabei muss bei Veranstaltungen draußen ohnehin um 22 Uhr Schluss sein, sagt Geschäftsleiterin Victoria Heinz.

„Die Schallwellen werden übers Wasser getragen, das stört die Ruhe“, sagte eine Anwohnerin auf der Halbinsel Stralau. Hier fährt man an letzten DDR-Industrieruinen vorbei und an Baustellen von Luxusappartements bis zu den Townhouses am Wasser, vor denen teure Autos parken. „Es gibt auch zwei Technoclubs in der Umgebung, deren Bässe herübergertragen werden, ,Renate’ und ,Sisyphos’“, sagt der Insel-Betreiber. „Man kann hier am Ufer gar nicht ausmachen, woher die Musik genau kommt“, sagt der Bewohner eines Hausbootes auf der Halbinsel Stralau in Friedrichshain. Auch er hatte schon Ärger mit Nachbarn. „Schade, dass sich die Leute hintenrum beim Amt beschweren, wenn sie Kaminrauch stört, statt einfach zu klingeln.“ Die Hausboote im Treptower Hafen gegenüber müssen weg. Die Treptower Festtage – abgesagt.

Beim Umweltamt haben sich nicht nur die Mieter der Wohnungen am Wasser beschwert, sondern einmal auch die Mitarbeiter vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk, erzählt der Chef des Inselbetriebs mit 15 Arbeitsplätzen. Eine der rund acht Großveranstaltungen im Jahr sei recht laut gewesen. Das habe die Mädchen vom EJF-Kinderschutzwohnheim gestört, die direkt neben dem Biergarten auf der Insel leben. Die Bühnentechnik wurde laut Szatkowski nie mehr benutzt.

Aber das Umweltamt hat seitdem den Schallmesspunkt, der sich seit 20 Jahren an der Tunnelstraße 40 befand, plötzlich direkt vors Heim verlegt – 400 Meter näher. „Ein Unding“, sagt EJF-Mitarbeiterin Rita Lehmann, „das ist so toll, was die Betreiber auch für Familien machen, wenn es die nicht mehr gibt, ist die Insel tot. Dann dürfte ja kein Wasserflugzeug starten und kein Dampfer mehr hupen.“

„Jetzt fängt der Verdrängungswettbewerb auch hier an, schlimm“, findet Biergartengast Peter Klein. „Man muss doch vor einem Umzug eruieren, ob es Krach gibt, das sind doch normale Begleitphänomene in der Stadt“, sagt Familienvater Tilmann Eing im Inselcafé. Wolfgang und Eva Geletzke aus Lichtenrade, er 70, sie 73, finden das „Verhalten der Leute auf Stralau kleinkariert“. Thommy Herms lebt seit drei Jahren dort – und fühlt sich nicht gestört. „Ich wohne eben mitten in Berlin, für mich ist das kein Lärm.“

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