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Krähen erobern die Hauptstadt.

© picture alliance / dpa

Krähen erobern Berlin: Achtung vor der Straßengang

Aasfresser! Galgenvögel! Räuber! Krähen hatten immer ein mieses Image. Zu Unrecht. Sie sind schlau, schlitzohrig und gute Imitatoren. Wenn man sie hegt, wie Tierärztin Renate Lorenz, werden sie häuslich. Berlin haben sie schon erobert: Tschüss, Tauben – die Rabenvögel kommen.

Keine einfache Übung, so zu tun, als sei man ein Krähe. Also: tief einatmen, sich ein bisschen breitmachen, mit den Schultern bedeutungsvoll hin- und herwackeln, als wolle man sich aufplustern, und dann, ganz rasch, eine zackige Verbeugung. Denn genauso begrüßen sich Krähen.

Tierärztin Renate Lorenz beherrscht die Zeremonie schon ganz gut. Sie hat das lange mit Hucky geübt.

Hucky, sprich: Hacki, ist ihre zahme Nebelkrähe. Der Vogel hat einen verkrüppelten Flügel, kann im Freien nicht überleben. Kinder haben Hucky vor zehn Jahren gefunden und in die Veterinärpraxis in Lichterfelde-Ost gebracht. Nun lebt das Krähentier – aschgraues Gefieder, pechschwarzer, kräftiger Schnabel – dort in einer Volière. Jedenfalls: Wenn Renate Lorenz ihren kleinen Tanz aufführt und ihm wie ein Rabenvogel hallo sagt, grüßt Hucky zurück und verbeugt sich gleich mehrmals.

Renate Lorenz, eine resolute 63-Jährige, begrüßt einen in Jeans und Arztkittel. Im Haus und drumherum hält sie einen netten Kleintierzoo: Kanarienvögel, Mäuse, eine zahme Elster, Schildkröten. Seit 28 Jahren lebt sie hier mit ihrer Familie, arbeitet in ihrer Tierarztpraxis im Parterre des Gebäudes am Oberhofer Weg.

Krähe Hucky gackert wie ein Huhn

Manchmal klingeln aufgeregte Passanten und rufen: „Vor ihrer Haustür gackern Hühner!“ Dann weiß Renate Lorenz, dass Hucky in der Volière am Eingang mal wieder die Hennen nachmacht, die ganz hinten im Garten scharren. „Krähen sind total sprachbegabt“, sagt sie. „Das sind die Papageien unter den heimischen Wildvögeln.“ In ihrer Praxis hat sie viele verletzt gefundene Rabenvögel wieder aufgepäppelt. Wenn sie denen Hackfleisch und gekochten Mais im Futternapf bringt, lässt sie sie nicht zu eng an sich heran. Schließlich sollen sie sich nicht – wie Hucky – an Menschen gewöhnen, sondern wieder ausgewildert werden.

Gestern war der Hucky krank . . . jetzt kräht er wieder, gottseidank. Tierärztin Renate Lorenz aus Lichterfelde hat Findling Hucky hochgepäppelt. Nun ist die Nebelkrähe eines ihrer Haustiere, der reinste Alleinunterhalter. Hucky imitiert Stimmen, kann krähen wie ein Hahn und gackern wie ein Huhn. Typisch für Rabenvögel. Sie sind klug und haben WG’s überall in der Stadt. Ob Hucky ein Weibchen oder Männchen ist, weiß auch Renate Lorenz nicht. Bei Krähen lässt sich das äußerlich nicht feststellen.
Gestern war der Hucky krank . . . jetzt kräht er wieder, gottseidank. Tierärztin Renate Lorenz aus Lichterfelde hat Findling Hucky hochgepäppelt. Nun ist die Nebelkrähe eines ihrer Haustiere, der reinste Alleinunterhalter. Hucky imitiert Stimmen, kann krähen wie ein Hahn und gackern wie ein Huhn. Typisch für Rabenvögel. Sie sind klug und haben WG’s überall in der Stadt. Ob Hucky ein Weibchen oder Männchen ist, weiß auch Renate Lorenz nicht. Bei Krähen lässt sich das äußerlich nicht feststellen.

© Georg Moritz

In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Rabenvogelpatienten zu. Wie Füchse oder Habichte zieht es die Krähen vom Land in die Stadt. In zwei verschiedenen Trupps erobern sie Berlin. Da gibt es die Dauerbewohner, genannt Nebelkrähen, individualistisch orientiert und kiezbewusst. Jedes Paar hält sich am liebsten in einem überschaubaren Territorium an seinem Nistbaum auf und duldet dort nur wenige andere Artgenossen.

Der zweite Trupp sind die Saatkrähen. Eine ruhelose, im Kollektiv lebende Art. Sommerfrischler in Sibirien, aber Wintergäste in Berlin. Jetzt, im November, sind sie wieder im Anflug, beziehen in Scharen ihre Kolonien am Alexanderplatz und Lustgarten, rund um den Flughafen Tegel oder im Tiergarten. Krähen-WG’s mit zehntausenden Tieren. Wie schwarz- graue Wolken steigen sie auf und segeln über Dächer und Wipfel.

Krähen sind kluge Tiere. Bei ornithologischen Intelligenzrankings ernten sie den höchsten Vogel-IQ. Das bringt ihnen Freunde ein. Zum Beispiel im Monbijoupark in Mitte, wenn die Leute aus den Büros dort mittags ein Päuschen machen und beim Krähenfüttern zuschauen. Die Journalistin Maike Grunwald etwa hat oft ein Tütchen Brot für die Krähen dabei. Sie kann die Vögel auseinanderhalten, erkennt sie an ihrer Figur und ihrem Gesicht. Die erkennen sie auch, flattern gezielt auf sie zu, gehen ein bisschen mit spazieren, stolzieren vor ihr her, versperren ihr frech, mit schiefgelegtem Kopf, den Weg. Damit sie weniger aufdringlich sind, bringt Maike Grunwald ihnen gerade bei, dass sie nur von einer Bank aus Futter bekommen. Ein paar haben das sofort kapiert.

Einst umschwärmten die schwarzen Vögel die Schlachtfelder

In alten Zeiten waren Krähen ungeliebt; Todesmythen begleiteten sie, weil ihre Schwärme Schlachtfelder und Richtstätten umflatterten. Aasfresser! Galgenvögel! Räuber! Man feuerte auf ihre Nester. Bis heute verscheuchen Bauern sie mit Schreckschüssen, um die Aussaat zu schützen – auch ein Grund, warum es die Vögel zu den Großstädten zieht. Außerdem bietet die Stadt mit ihren Fastfood-Buden und Mülleimern viel Futter. Die Tauben haben sie schon als größte Vogel-Community abgelöst und sind dabei, die Gurrer komplett zu verdrängen.

Berlin, ein Dorado für Krähen? „Die Beziehung bleibt schon ein wenig ambivalent“, sagt Vogelexperte André Hallau vom Naturschutzbund (Nabu). Hitchcock lässt grüßen, wenn die schwarzen Gesellen zu hunderten in den Bäumen rund ums Kanzleramt hocken. So sympathisch ihre Schlauheit, Schlitzohrigkeit, Neugier und ihr Einfallsreichtum sind, es kann auch nerven, dass sie sich an allem zu schaffen machen. Vor zwei Jahren pickten Krähen so lange die Dichtungen aus dem Dach des Hauptbahnhofes, bis es dort durchregnete. Oder sie warfen Dachkies vom Radisson-Hotel in Mitte aufs Glasdach darunter; die Scheiben gingen zu Bruch. „Sah aber aus, als hätten sie ihren Spaß daran“, erzählten Passanten, die ihnen zugesehen hatten.

Die Rabenvögel lassen Walnüsse von Autos knacken

Renate Lorenz sieht das gelassen. „Jeden Blödsinn mögen diese Viecher“, sagt sie lachend und wirft Hucky zerknülltes Papier zu. Der stürzt sich drauf wie eine junge Katze. Er mag gern Tauziehen mit Kugelschreibern. Oder er wirft sich mit dem Brustgefieder in den ersten Schnee und hat Spaß beim Schlittern. Für Hucky hat die Tierärztin Löcher in einen Baumstumpf gebohrt und Mehlwürmer hineingestopft. Und wenn Hucky sie nicht mit dem Schnabel kriegt, holt er sich eine Tannennadel als Werkzeug und pult sie raus. Krähen können übrigens Walnüsse knacken: Sie lassen sie aus der Luft auf den Steinboden fallen. In Kreuzberg kann man sogar die fortgeschrittene Variante beobachten: Krähen legen Nüsse bei Rot vor Ampeln – und warten, bis die Autos drüberfahren. Fasziniert ist Renate Lorenz auch vom Sozialverhalten ihrer Pfleglinge, etwa dann, wenn die sich gegenseitig mit ihren Schnäbeln behutsam das Gefieder kraulen. Es gibt sogar wilde Krähen, die Hucky Regenwürmer bringen und sie ihm in die Volière stopfen.

Diesen Zusammenhalt hat auch der Kreuzberger Tierjournalist Cord Riechelmann beobachtet. In seinem Buch über Krähen schildert er, wie im Viktoriapark ein Dutzend Krähen im Sturzflug einen Fuchs bedrängt, der sich eine flügge gewordene Krähe geschnappt hatte.

Ziel solcher Attacken können allerdings auch Menschen sein. Bekannt wurden etwa die Angriffe während der Brutzeit auf harmlose Fußgänger am Alex anderplatz. Vor allem im Mai, wenn die Jungvögel ihre ersten Hüpfer machen und dabei zu Boden plumpsen, kommt es immer wieder vor, dass Stadtbewohner sie retten wollen – und die Kräheneltern sich auf den Feind stürzen. „Lassen Sie die Kleinen liegen“, rät Tierärztin Renate Lorenz. Die werden von ihren Eltern und anderen Krähen auch am Boden weiter gut umsorgt.

Mehr Wissenswertes über die Raubvögel

Große Sänger

Kaum zu glauben: Die grau- schwarzen Krächzer gehören zu den engsten Verwandten der Paradiesvögel auf Neuguinea. Ihre frühesten Vorfahren lebten dort. Außerdem zählt die Familie der Rabenvögel (lateinisch: Corvidae) zu den Singvögeln und hier zur Ordnung der Sperlingsvögel. Das Etikett: Singvogel schützt sie seit 1979 vor Jägern. Damals wurde die Europäische Vogelschutzrichtlinie verabschiedet. Diese untersagt die Jagd auf alle Singvögel.

Gute Eltern

Krähenpaare bleiben sich jahrelang treu. Sie brüten jährlich im April. Aus den vier bis sechs grau-braunen Eiern schlüpfen die Jungen nach 16–18 Tagen. Gefüttert werden sie von beiden Eltern. Nach einem Monat sind die jungen Krähen flügge. Ihre ersten Hüpfer erproben sie auf Ästen. Man nennt sie in dieser Zeit „Ästlinge“.

Zwischennutzer

Tausende Saatkrähen verbringen den Winter am Rande des Flughafens Tegel. Im eiskalten Januar 2012 entdeckten sie einen wärmeren Schlafplatz als Baumkronen. Sie machen es sich auf dem Gestänge im Inneren eines riesigen Werbewürfels über der zentralen Öffnung der Tiefgarage bequem, wo die beheizte Luft aufsteigt.

Titelfiguren

Empfehlung für Vogelliebhaber: Das Buch „Krähen – Ein Porträt“ von Cord Riechelmann (Matthes&Seitz Berlin).

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