zum Hauptinhalt

Berlin: Krankenstände: Hauptstadt krankt am öffentlichen Dienst

Der Berliner wird immer öfter krank. Außerdem ist er häufiger arbeitsunfähig als Bewohner aller anderen Bundesländer - und wenn er einmal krank ist, dauert es auch noch länger, bis er wieder gesund ist.

Der Berliner wird immer öfter krank. Außerdem ist er häufiger arbeitsunfähig als Bewohner aller anderen Bundesländer - und wenn er einmal krank ist, dauert es auch noch länger, bis er wieder gesund ist. Zu diesen wenig erbaulichen Erkenntnissen kommt der "Gesundheitsreport 2000", den die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) gestern vorstellte. So waren 1999 in Berlin im Schnitt 4,9 Prozent der DAK-Versicherten krank; bundesweit waren es 3,5 Prozent. Und während die durchschnittliche Genesungszeit bei 11,7 Tagen lag, waren es in Berlin 14,1 Tage. Noch auffälliger aber ist, dass der durchschnittliche Krankenstand in Berlin von 1997 bis 1999 um mehr als ein Drittel gestiegen ist.

"Die Zahlen geben wenig Anlass zur Hoffnung" kommentierte der DAK-Landesgeschäftsführer Herbert Mrotzeck die Daten: "Mitte der 90er Jahre dachten wir, dass sich der Krankenstand auf relativ niedrigem Niveau einpendelt - doch dieser Eindruck war trügerisch." Um Aufschluss über Situation und Ursachen der Arbeitsunfähigkeit zu bekommen, hat die DAK in Berlin die Daten von 120 000 Mitgliedern auswerten lassen. Dennoch ist die Analyse nicht repräsentativ - traditionell sind überdurchschnittlich viele DAK-Versicherte Angestellte in der Dienstleistungsbranche, dem Gesundheitswesen sowie im öffentlichen Dienst. Zwei Drittel sind Frauen - auch das ist bei anderen Krankenkassen umgekehrt.

Den höchsten Krankenstand verzeichnet die DAK im öffentlichen Dienst: Dort sind statistisch täglich 6,7 Prozent der Beschäftigen arbeitsunfähig. An zweiter Stelle folgt das Gesundheitswesen mit 5,8 Prozent. Hier sind vor allem Schwestern und Pfleger bei der DAK versichert. Platz Drei belegen Mitarbeiter von Organisationen und Verbänden. Als besonders gesund erwiesen sich Mitarbeiter in der Datenverarbeitung.

Den Eindruck, der hohe Krankenstand habe vor allem mit der spezifischen Berliner Beschäftigten-, Alters-, oder Geschlechtsstruktur zu tun, wies DAK-Landesgeschäftsführer Mrotzeck von sich: Selbst unter Einbeziehung der Abweichungen sind die Berliner noch wesentlich häufiger und länger krank als im Bundesgebiet. Im Ländervergleich steht Baden-Württemberg mit einem durchschnittlichen Krankenstand von 2,9 Prozent am besten da; gefolgt von Bayern mit 3,1 Prozent. Insgesamt ist die gesundheitliche Lage in den neuen Bundesländern schlechter als im übrigen Bundesgebiet.

Einen Aufschluss über die Ursachen geben die Daten nicht. Auch bei der DAK kann man nicht ausschließen, dass unter anderem die Rücknahme der Kürzung der Lohnfortzahlung 1998 wieder zu mehr Krankschreibungen geführt habe. Viel spreche aber auch dafür, sagte Mrotzeck, dass die Internationalisierung und der wachsende Wettbewerb auch unter Berlins Beschäftigten zu einem verstärkten Leistungsdruck führe: "Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit wirken sich immer auch auf die Gesundheit aus." Eine stärkere Beobachtung verdient nach Ansicht der DAK aber auch der konkrete Arbeitsplatz.

Dafür spricht auch die Aufschlüsselung der häufigsten Ursachen für Krankschreibungen: So ist mehr als jeder fünfte Tag, an dem jemand krank geschrieben ist, auf Muskel- und Skeletterkrankungen - Bandscheibenvorfälle, Ischias, Rückenschäden - zurückzuführen. Dies sei ein deutliches Zeichen, dass der Einzelne sich mehr um seine Körperhaltung kümmern müsse, so Mrotzeck - aber auch ein Auftrag an die Arbeitgeber, gesunde Arbeitsplätze zu schaffen. Platz 2 belegen Erkrankungen der Atmungsorgane - Bronchitis, Grippe, Schnupfen -, die zwar häufiger sind als Muskelerkrankungen, dafür aber in der Regel nach ein paar Tagen vorbei sind.

Bereits auf Platz 4 der häufigsten Erkrankungen stehen in Berlin mit 9,6 Prozent psychische Probleme - bundesweit belegen sie den sechsten Platz. Den Schluss, dass das Leben in Berlin besonders häufig zu Neurosen oder Depressionen führe, hielt Mrotzeck allerdings für voreilig: So habe die Häufigkeit einer Diagnose immer auch etwas mit der Häufigkeit der Ärzte zu tun; gerade Psychiater aber ließen sich besonders häufig in der Großstadt nieder.

Jeannette Goddar

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false