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Chris Zschaber und seine Krawatten.

© Mike Wolff

Krawattenladen in Prenzlauer Berg: Die Befreiung des Halses

Ladenbesitzer Chris Zschaber fordert: Krawattenzwang abschaffen! Damit alle wieder gerne Schlips tragen – nicht nur an der Kehle.

Vorsicht, nicht zu lange hinschauen, Schwindelgefahr. Da glitzert und funkelt es auf blauer Seide, kleine Blümchen tanzen übers Polyester und weiße Kreisel drehen sich auf violettem Hintergrund. Dieses Kaleidoskop befindet sich nicht in einem Kinderspielzeug, sondern in Prenzlauer Berg, genauer gesagt im Laden von Chris Zschaber in der Greifswalder Straße 9. Und die Muster sind nicht auf ausgeflippten Hippieklamotten aufgedruckt, sondern auf einem vermeintlich ernsten Kleidungsstück. Krawatten in allen Formen und Farben hängen an den Stangen in Zschabers Laden. Auch was die Materialien angeht, geht es hier keinesfalls streng zu: Hinter der Ladentheke hängen eine Frotteekrawatte für den stilvollen Saunagang, ein Modell aus Badeanzugsstoff für den modebewussten Schwimmer und eine abwischbare Krawatte als Lätzchenersatz. Denn: „Man kann gar nicht früh genug anfangen“, sagt Zschaber.

Sein jüngster Kunde ist zarte vier Jahre jung. Eigentlich sollte er nur eine Krawatte zur Einschulung seiner Schwester bekommen. „Jetzt trägt er sie Tag und Nacht, sogar beim Fußballspielen und Skateboardfahren“, erzählt Zschaber. Blau musste sie sein, denn der kleine Trendsetter ist Hertha-Fan. Nur etwas kürzen musste Chris Zschaber die Krawatte natürlich.

Ob gehäkelt oder abwischbar: Die Möglichkeiten für neue Krawattendesigns sind endlos.
Ob gehäkelt oder abwischbar: Die Möglichkeiten für neue Krawattendesigns sind endlos.

© Mike Wolff

Ursprünglich schnitt der Garten- und Landschaftsbauer eher Hecken als Stoffe. So wurde er auch zur Schnittschutzkrawatte aus schnittfestem Stoff inspiriert. Seine Krawattenleidenschaft entwickelte sich aus seinen häufigen Flohmarktbesuchen, bei denen er eigentlich eher auf der Suche nach Schallplatten für sein Hobby als DJ war. Aber an den bunten Stoffstreifen, die immer schön auf der Stange aufgehängt im Wind flatterten, konnte er einfach nicht vorbeigehen. „Für ’ne Mark hab ich die einfach mitgenommen“, erinnert er sich. Mehr als 3000 Krawatten sind so zusammengekommen.

Hauptsache "oll"

Aber sein Laden ist mehr als ein Ausverkauf: Chris Zschaber ist ausgezogen, die Krawatte zu befreien. Vom Image des würgenden Zwangs, vom Büromuff und Kaufhauslangeweile. „Wenn es nach mir ginge, würde es keinen Krawattenzwang geben“, sagt er. Krawatten sollen wieder Spaß machen. Partykrawatten sollen die Leute tragen und nicht nur Männer können sie sich um den Hals binden. Und sowieso – wieso immer nur eine Krawatte auf einmal, wenn es so viele schöne und bunte Halsbinden gibt?

Beim Krawattenverleih auf dem diesjährigen Fusion-Festival konnten Festivalbesucher für einen Euro so viele Krawatten an einem Wochenende ausprobieren, wie sie wollten. Von wegen gehobener Anlass – die Krawattenträger banden sich Zschabers Schmuckstücke einfach um den Hals und zogen los. „Die kamen teilweise fünf- bis sechs- mal am Tag wieder, so nach dem Motto: Diese Krawatte hat mich gut durch die Nacht gebracht, aber jetzt brauch ich mal was Seriöses zum Frühstück.“ Von schlichten Nadelstreifen bis zum geigenden Nashorn findet man bei ihm alles, was es an Klassikern und Scheußlichkeiten auf dem Krawattenmarkt gibt.

Seine Philosophie spiegelt sich am besten in seinem bestverkauften Stück wider: der Punker-Krawatte. Die ist allerdings gerade aus. Das Rezept für die rebellische Halsbinde: abgetragener Stoff, „je oller desto besser“, den Zschaber noch mit Schmirgelpapier nachbearbeitet. Vielleicht noch ein Brandloch, ein paar Nieten, fertig. Waschanweisung? „Die wird nie gewaschen.“

Tasche aus Weihnachtskrawatten

Doch Chris Zschaber geht noch weiter. Nicht nur neuen Stoff in bekannterer Form, auch neue Formen aus altem Stoff gibt es bei ihm. Seine Visitenkarten etwa sind aus Krawattenresten genäht, aus Weihnachtskrawatten hat er eine Tasche gemacht. „Das fand ich so schön bescheuert“, sagt er zu dem Stück, auf dem unter anderem ein Weihnachtsmann Golf spielt. Denn wer sagt, dass man Krawatten immer um den Hals tragen muss? Aneinandergenäht können sie auch als Rock herhalten, immer schön mit den Spitzen nach unten genäht, sodass sich ein gezackter Saum ergibt. Auch Hemden oder Hosen schneidert Zschaber, der von sich selbst sagt, dass er „nur ein bisschen“ nähen kann. Die Kleidungsstücke näht er als Einzelstücke. Die Kunden sollen selbst in den Laden kommen und sich ihre Krawatten individuell aussuchen.

Überhaupt zieht das Konzept Individualisten an. Regelmäßig kommen Musiker in den Laden, die noch eine Krawatte für den abendlichen Auftritt brauchen. Auch Performances gab es schon ein seinem kleinen Ladengeschäft. „Irgendwann fingen die an, herumzustöbern und dann ist hier jeder mit mindestens einer Krawatte rausgelaufen“, erzählt Zschaber. Zwischendurch kommt ein Freund in den Laden, Typ Sponti mit Dreiviertel-Jogginghose und Flip-Flops. Er hat sich eine Krawatte mit Stecknadeln an den T-Shirt-Ausschnitt gesteckt – neue Ideen vom Produkttester. „Man braucht nicht unbedingt ein Hemd für die Krawatte“, findet Zschaber. T-Shirt oder Rollkragenpullover tun es auch. Auch Gummizüge oder Einhakkrawatten sind bei ihm erlaubt. „Ursprünglich wurden die für Fahrkartenkontrolleure entwickelt, damit die nicht erwürgt wurden.“ Überhaupt, öffentlicher Nahverkehr. Neben den Punker-Krawatten ging bei den Berlinern vor allem ein Modell weg wie warme Schrippen: „Die BVG-Krawatten waren ganz schnell weg.“

À la cravate, Greifswalder Str. 9, Prenzlauer Berg. www.alacravate.de

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