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Berlin: Kreativer Untergang

Die Künstler müssen ganz schnell raus aus der Patzenhofer Brauerei. Der Bezirk hat erhebliche Baumängel entdeckt. Einer der Mieter hat das Amt erst drauf gebracht

Von Susanne Leimstoll

Es war kein guter Tag für Daniel Künzel. Am Donnerstag teilte das Bauamt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg dem Pächter der Patzenhofer Brauerei an der Landsberger Allee 54 mit, die Liegenschaft sei ab sofort geschlossen – aus bau- und brandschutzrechtlichen Gründen. „Ich stand total unter Schock, ich habe bitterlich geweint“, sagte Künzel gestern am Telefon. Der Mann mit Hang zu großen Emotionen hatte allen Grund zur Verzweiflung. In dem Gründerzeitensemble hat er Ateliers an 70 Maler, Musiker, Designer vermietet, und diese Mieteinnahmen wären voraussichtlich noch bis zum Jahresende geflossen. Erst dann hätte die Immobilie, von Kunst und Künstlern befreit, dem aktuellen Investor, der Berliner Estavis AG, übergeben werden müssen. Die will dort auf 8400 Quadratmetern Wohnungen und Gewerbeeinheiten bauen.

Pech vor allem für die Kunstschaffenden der Initiative LA 54, eine Art kleines Tacheles. Sie dürfen ihre Ateliers laut Bauamt nur noch zum An- und Abtransport betreten. Dabei nächtigen einige von ihnen dort bisher sogar. Seit Monaten befinden sie sich im Streit mit Pächter Daniel Künzel und der Estavis, die Fabrik sollte nicht kampflos aufgegeben werden. Die neue Situation hat ihnen ausgerechnet einer ihrer Mitstreiter eingebrockt, ein Galerist aus dem Haus. Der war gegen Künzel im Streit um nicht gezahlte Mieten juristisch vorgegangen und hatte dem Ordnungsamt dann gesteckt, was nur wenige Bewohner wussten: Dass es in der alten Brauerei Mängel gibt, die eine Vermietung eigentlich ausschließen. Bezirksbürgermeister Franz Schulz bestätigt: Im Brandfall gibt es praktisch keine Rettungswege, allenfalls einen mangelhaften, Treppenhäuser seien nicht absturzsicher, der technische Brandschutz nicht intakt. Schulz: „Die Estavis hätte Künzel vor Vermietung sagen müssen, er habe einen Bauantrag zu stellen.“ Künzel, der das Areal schon vom Vorbesitzer gepachtet hatte, hätte die Räume, ohne die Auflagen zu erfüllen, also nicht vermieten dürfen. Einige Maler oder auch der Kurator der Initiative, Paulus Fuger, wussten das offenbar. Sie hatten ihre Mietzahlungen eingestellt. Andere, wie der Kolumbianer Javier Ramirex, hatten sich der günstigen Mietkonditionen wegen mit Künzel gut gestellt. Alle hofften, das Projekt der Estavis würde sich noch einige Monate verzögern und sicherten ihre Räume und Flure soweit möglich. Künzels Angebot, mit der Räumung der LA54-Ateliers verbindlich in ein von ihm gekauftes Ausweichquartier in der Genslerstraße 14 in Hohenschönhausen zu einer Miete von fünf Euro pro Quadratmeter zu ziehen, wollen viele nicht annehmen. „Wir haben was gegen solche Knebelverträge“, sagt ihr Sprecher Gustav Kleinschmidt. Die Initiative wandte sich an Berlins Atelierbeauftragten Florian Schöttle und Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Doch beide konnten den Künstlern keine Hoffnung auf ein Bleiberecht machen. Dabei hatte Schulz noch versucht, den Investor von einer Luxussanierung abzubringen und eine einvernehmliche Regelung zu erreichen. Doch die Estavis steckt mindestens 43 Millionen in das Areal, da stehen Künstler nicht auf dem Finanzierungsplan. Gespräche mit den Mietern fanden nicht statt.

Gestern konnte Daniel Künzel seine Tränen wieder trocknen. Es lohne sich zwar nicht, 10 000 oder 20 000 Euro in die vom Amt geforderten Sicherungsmaßnahmen zu stecken, wenn ohnehin Ende des Jahres geräumt werden müsse. Die Estavis habe aber noch am Donnerstagabend zugesagt, unbürokratisch zu helfen. Das Quartier in Hohenschönhausen soll schnell renoviert, eine Heizung eingebaut werden. Außerdem will das Unternehmen die Umzugskosten jener Künstler übernehmen, die mitkommen wollen. „Dieser Investor hat eben das Herz am rechten Fleck“, sagt Künzel. Seine erklärten Feinde sind nun jene Bewohner, die juristisch gegen ihn vorgehen. Ihnen unterstellt er „den kriminellen Versuch, mich ins Gefängnis zu bringen“.

Fragt sich, was aus dem geplanten Tag der offenen Tür und zwei für den heutigen  Sonnabend angekündigten Ausstellungseröffnungen wird. Um 19 Uhr sollte etwa die Schau der Fotografin Halina Hildebrand beginnen, die den untergehenden Künstlerstandort dokumentiert und auch einige der Maler-Querulanten in ihren Ateliers zeigt. Bezirksbürgermeister Franz Schulz sagt, Publikum in die Räume zu lassen, wäre nicht nur ordnungswidrig, sondern fahrlässig. Der Pächter sei gehalten, dies zu verhindern.

Die Künstler ließen sich gestern in ihren Vorbereitungen nicht stören. Die meisten wussten noch gar nichts vom Besuch des Bauamtes.

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