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Kreative Lösung. Nicht alle Berliner Kunst- und Kulturschaffende lassen sich durch Alkohol, Drogen und Parties von ihrer Arbeit ablenken.

© dpa

Kreativität in Berlin: Einfach weniger saufen!

In der Vorwoche druckte unsere Sonntagsbeilage einen Text, in dem ein in Berlin lebender australischer Musiker klagte, die Stadt halte ihn vom Kreativsein ab. Hier kontert nun ein in Berlin lebender amerikanischer Autor.

Man weiß, dass eine Party ihren Zenit überschritten hat, wenn man über sie in der „New York Times“ liest. Und nachdem Berlin in den letzten Jahren vielleicht einmal zu oft als hedonistisches Künstlerparadies gefeiert wurde, scheint es nun nicht länger das gelobte Land für weltreisende Bohemiens zu sein. Warum? Weil die Stadt sie offensichtlich zu faul macht.

Das zumindest ist die Kernaussage eines Artikels aus besagter „New York Times“ (auf Deutsch erschienen im Tagesspiegel vom 9. Dezember). Der sorgte in der vergangenen Woche für Aufruhr in Berlins kreativer Einwandererszene, indem er die trunkenen Taten einer hoffnungslosen australischen Band in der deutschen Hauptstadt detailliert beschrieb. In seinem Lamento beklagt Autor Robert Coleman, selbst Mitglied jener Band, dass die Stadt so billig und als Ganzes ein derartiger Riesenspaß sei, dass Künstler, Musiker und andere kreative Typen schlicht nicht in der Lage seien, hier kreativ zu arbeiten. Im Wesentlichen, so die Aussage, fehlt dort, wo man in einer drogeninduzierten Dunstglocke leben und dennoch das Geld für seine überschaubare Miete aufbringen kann, schlicht der nötige Erfolgsdruck.

Provinzielle Stimmungsmache

„Es gab zu wenig Grenzen – und uns fehlte die Willensstärke, um Nein zu sagen. Bald fing unsere selbst auferlegte Fünf-mal-die-Woche-Proben-Disziplin an zu bröckeln, weil immer gerade jemand verkatert oder auf Drogen oder schlicht verschwunden war.“ Während er kaum der erste Musiker sein dürfte, dessen Schaffen von Drogen und Alkohol verhindert wird, bringt die Leute in Rage, wie Coleman schlicht jener Stadt die Schuld für seine Schwäche zuweist, von der er hoffte, sie wäre eine kreative Oase für seine Band. „Eines Tages – ich starrte gerade eine Nudistin in der Hasenheide an – merkte ich, dass wir in einer Art Künstler-Paradox feststeckten. Nach Berlin gekommen waren wir wegen des Lifestyles, den die Stadt Künstlern bot, doch genau dieser Lifestyle warf uns nun aus der Bahn. Berlin ruinierte uns.“

Wie Coleman dann fortfährt, die pubertären Possen seiner Bandkollegen zu beschreiben, wird klar, warum es in Berlin in den letzten Jahren eine provinzielle und eigentlich unsinnige Stimmungsmache gegen verkünstelte Neuankömmlinge in Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln gab. Aber daneben, dass er den Fehler macht, seine eigene unproduktive Existenz auf alle hier lebenden Künstler aus anderen Ländern zu übertragen, präsentiert Coleman sich auch als klassisches Opfer des „Hypes“ um Berlin – indem er zugibt, er und seine Bandkollegen seien nichts mehr gewesen als „Kreativtouristen“ bei einem kurzen Zwischenhalt, um fix Berlins Coolness aufzusaugen.

Marc Young, Chefredakteur von www.thelocal.de
Marc Young, Chefredakteur von www.thelocal.de

© privat

Natürlich gibt es arbeitende Künstler in Berlin

„Unterdessen schien jeder, der uns begegnete, aus demselben Grund wie wir nach Berlin gekommen zu sein: um Kunst zu machen. Bloß hörte ich selten von anstehenden Ausstellungen oder Buchpremieren oder Konzerten.“ Hätte er sich einmal darum bemüht, seinen Kopf aus jenem Berg billigen Speeds zu erheben, das er und seine Buddies schnupften, könnte Coleman natürlich einige jener arbeitenden Künstler getroffen haben, die Berlin ihre Heimat nennen. Das sind dann nur keine alimentierten Pseudo-Hippies aus Brooklyn mit einer Halbjahreskarte fürs Berghain. Und sicher keine australischen Grünschnäbel, die denken, dass ein Aufenthalt in Berlin sie zum nächsten David Bowie oder Nick Cave macht. Nein, es sind echte Musiker wie der Engländer Chris Corner oder die Kanadierin Peaches, die hier leben, weil die Stadt sie inspiriert.

Mit ein bisschen Glück hat Colemans Dokumentation der eigenen Drangsal den angenehmen Effekt, ein paar andere Kreativtouristen von ihrem Weg nach Berlin und der Hoffnung, die Stadt werde ihrer Karriere Vortrieb geben, abzubringen. Und ganz nebenbei: Jeder weiß doch, dass die coolen Kids heutzutage sowieso alle nach Leipzig ziehen.

Marc Young ist Chefredakteur der Netzzeitung The Local, die auf Englisch über Deutschland berichtet. Den Text haben wir mit leichten Kürzungen von dort übernommen. Übersetzung: Johannes Schneider

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