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Berlin: Kreuzberger fühlen sich abgeschrieben

Der Regierende Bürgermeister verärgert Lehrer und Eltern. Auch die Koalitionsparteien SPD und PDS distanzieren sich

Es waren nur wenige Sätze. Aber die hatten es in sich. Gefragt, ob er seine Kinder – hätte er welche – in einem Stadtteil wie Kreuzberg zur Schule schicken würde, antwortete Klaus Wowereit (SPD) am Mittwochabend in der Sendung „Links- Rechts“ des Fernsehsenders N24 mit „Nein“ und sagte: „Ich kann auch jeden verstehen, der sagt, dass er da seine Kinder nicht hinschickt.“ Eltern versuchten „selbstverständlich, für ihre Kinder das Beste zu haben“. Weiter sagte der Regierende Bürgermeister, der in Charlottenburg lebt: „Wir haben Schulen, die Probleme haben, beispielsweise in Vierteln mit hohem Ausländeranteil.“

Tags drauf schlagen die Emotionen hoch. Schulleiter, Eltern und Politiker auch der Regierungsparteien SPD und Linkspartei/PDS sind empört, viele Pädagogen äußern die Sorge, dass Wowereit mit wenigen Worten die mühsame pädagogische Arbeit von Jahren konterkariert, sagt Erhard Laube, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Schulleiter in der GEW. „Kreuzberg fühlt sich abgeschrieben“, sei das Gefühl vieler Direktoren.

Zwar habe Wowereit die Probleme richtig benannt, gestehen Laube und auch andere Praktiker ein. „Aber die Lösung liegt doch nicht darin, sich als Eltern für sein Kind andere Schulen zu suchen“, sagt Laube. Ähnlich sieht das Manuela Seidel, Direktorin der Jens-Nydahl-Grundschule, an der 94 Prozent der Kinder aus ausländischen Familien kommen. Einerseits habe Wowereit „den Kern getroffen“, denn viele Familien meldeten ihre Kinder außerhalb des Bezirks an oder zögen gleich ganz weg. Andererseits helfe ein „Pauschalurteil“ nicht weiter und trage eher dazu bei, dass noch mehr bildungsinteressierte Familien abwanderten. Die Schulleiterin wünscht sich von Wowereit statt abwertender Urteile Hilfe, um mit kleineren Klassen und besserer Förderung attraktiver für an Bildung interessierte Eltern zu werden.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) fordert eine Entschuldigung und sagt, Wowereit habe mit seiner Äußerung die engagierte Arbeit vieler Schulen „zunichtegemacht“. Schulz wies, wie auch andere Lehrer und Eltern, darauf hin, dass es im Bezirk manch problematische Schule gebe, aber auch viele Einrichtungen, die einen guten Ruf genießen. So werde in Kürze die Lemgo-Grundschule für ein gelungenes Schulprojekt mit der „Berliner Tulpe“ für deutsch-türkischen Gemeinsinn ausgezeichnet – im Roten Rathaus, den Preis soll Wowereit übergeben. Um weitere gute Beispiele kennenzulernen, lädt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Regierungschef zu einer „Kreuzberger Schulrundfahrt“ ein, „damit der sich ein Bild von der hohen Qualität der dort geleisteten pädagogischen Arbeit machen kann“.

Von einer „Bankrotterklärung“ des seit 2001 amtierenden Regierungschefs und des unter SPD-Regie stehenden Schulressorts sprechen nicht nur die Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne. Auch die eigene Partei distanziert sich außergewöhnlich scharf von Wowereit. „Gute und weniger gute Schulen gibt es in ganz Berlin – auch in Kreuzberg“, sagt SPD-Partei- und Fraktionschef Michael Müller. „Auch in diesem Stadtteil gibt es eine Reihe sehr guter Schulen mit engagierten Lehrern und Eltern.“ Innensenator Ehrhart Körting (SPD) stellt sich ebenfalls offen gegen Wowereit: „Wenn ich in Kreuzberg wohnen würde, dann würde ich meine Kinder auch nach Kreuzberg zur Schule schicken, da hätte ich keine Berührungsängste.“ Integrationspolitiker Udo Wolf (Linkspartei/PDS) spricht von einer „falschen Botschaft“. Wowereit sollte dafür werben, „die Probleme gemeinsam anzupacken“. Dazu könne die von SPD und PDS vereinbarte Gemeinschaftsschule ein Anfang sein, die langfristig das dreigliedrige Schulsystem ersetzen soll. „Das wird umso schwieriger, je mehr die bildungsnäheren Schichten die bildungsferneren Schichten alleine lassen.“

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der demnächst mit seiner Familie aus Moabit nach Kreuzberg ziehen will, pflichtet dem bei: „Gerade in Stadtteilen, die einen nicht so guten Ruf haben, braucht man besonders gute pädagogische Einrichtungen. Da gibt es noch eine Menge zu tun. Und da ist gerade Herr Wowereit gefordert.“ Der Regierende tue „vielen Schulen unrecht, in denen das Personal hochmotiviert ist und unter schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit leistet.“ Ähnliches ist von Kreuzberger Eltern zu hören, denen die Bildung ihrer Kinder wichtig ist und die in Vierteln mit hohem Anteil an Sozialhilfeempfängern und Migranten bleiben: „Eine verheerende Aufforderung an gutbürgerliche Eltern, Kreuzberg zu verlassen“, sagt eine Mutter, deren Sohn kürzlich die Niederlausitz-Grundschule in der Reichenberger Straße abgeschlossen hat. Ein Vater, dessen Kind auf die viel gelobte Hunsrück-Grundschule geht, sagt: „Die Schule ist vorzüglich, wir würden auch weiter hinfahren, wenn wir in Wilmersdorf lebten.“

Wowereit selbst wollte gestern zu der Kontroverse nichts mehr sagen, auch sein neuer Bildungssenator Jürgen Zöllner wollte keine Stellungnahme abgeben.

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