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Die Schlacht um Berlin endete in einer Parterrewohnung in Tempelhof. Auf diesem Bild hisst ein Soldat die sowjetische Flagge auf dem Reichstag.

© dpa

Kriegsende vor 70 Jahren: Die Schlacht um Berlin endete in Tempelhof

In einer Wohnung in Tempelhof wurde erst die Eroberung des Reichstags befohlen und dann die Schlacht um Berlin beendet. Später erforschten Bewohner des Hauses die Geschichte – unter ihnen der Vater von Michael Müller.

Berlin, Anfang Mai 1945: Große Teile der Stadt liegen in Schutt und Asche, es gibt nichts mehr zu verteidigen. Die kopflose Hydra kämpft allerdings immer weiter. Volkssturm, Hitlerjungen, SS-Einheiten und Reste regulärer Truppen widersetzen sich mit „Fanatismus und Fantasie, mit allen Mitteln der Täuschung, der List und Hinterlist“, so der Befehl zur Verteidigung der Reichshauptstadt vom 9. März. Immer wieder werden Deserteure und Defätisten an Laternen aufgehängt.

Von Süden und Südwesten in die Stadt eindringend hatte der sowjetische Armeegeneral Wassili Tschuikow seinen Gefechtsstand in einer Parterrewohnung im Tempelhofer Schulenburgring eingerichtet. Von dort befehligte er die Truppen vom 26. April bis zum 4. Mai. Ausschlaggebend für die Wahl des Hauses war die Lage nahe zum Flughafen und zur Innenstadt. Und, dass das Haus kaum beschädigt war. Vier Wohnungen im Haus wurden beschlagnahmt und anschließend unversehrt den Nutzern übergeben.

Von Tempelhof in den Reichstag

Hier also sollte Deutschland den Krieg offiziell für beendet erklären, hier gab sich das Dritte Reich geschlagen, hier begann die neue Zeit. Am Ende wurde die Kapitulation am 8. Mai in Karlshorst unterschrieben, wo sich heute ein Museum befindet – hier wird heute, 70 Jahre später, des Kriegsendes gedacht. In Tempelhof allerdings spielte sich zuvor ein weithin unbekannter Verhandlungskrimi ab.

Denn in der Parterrewohnung am Flughafen wurde am 30. April die symbolisch wichtige Eroberung des Reichstagsgebäudes befohlen. Am gleichen Tag nahm sich Adolf Hitler das Leben. In den frühen Morgenstunden des 1. Mai erschien hier schließlich eine deutsche Delegation, angeführt vom letzten Chef des Generalstabes, Hans Krebs. Lange, mehrfach durch Telefonate mit Marschall Schukow unterbrochene Verhandlungen scheiterten schließlich an der Frage der bedingungslosen Kapitulation. Krebs sprach von Hitlers Testament und einer neuen Regierung, er präsentierte auch eine Kabinettsliste und stellte Bedingungen. Etwas anderes als eine Kapitulation könne er nicht entgegennehmen, erwiderte Tschuikow wieder und wieder. Spöttisch fügte er hinzu: „Ich will weder Ihre Stärke herabmindern noch unsere Stärke übertreiben, doch die Berliner Garnison beneide ich nicht. Ich habe Stalingrad verteidigt, damals befand ich mich aber in einer etwas günstigeren Lage als Sie jetzt.“

Befehl auf Schallplatte

Krebs verließ das Haus; seiner und Goebbels’ Plan eines Seperatfriedens mit der Sowjetunion war gescheitert. Beide nahmen sich im Führerbunker das Leben, Goebbels riss auch seine gesamte Familie mit in den Freitod.

Als Nächster erschien der Befehlshaber des Verteidigungsbereiches Berlin, General Helmuth Weidling, im Schulenburgring. Er erklärte sich bereit, einen Befehl an die Resttruppe zu geben, der einer Kapitulation gleichkam: „Im Einvernehmen mit dem Oberkommando der sowjetischen Truppen fordere ich Euch daher auf, sofort den Kampf einzustellen.“

Ein junger Deutscher, Stefan Doernberg, war mit seinen Eltern in die Sowjetunion emigriert und kehrte im Stab Tschuikows nach Berlin zurück. Er tippte den letzten Befehl Weidlings, der, sofort auf Schallplatte aufgenommen, aus Lautsprechern durch die Stadt hallte und so die Hydra letztlich zur Aufgabe ihres Kampfes brachte. Als Weidling mit „ehemaliger General der Artillerie und Befehlshaber Verteidigungsbereich Berlin“ unterzeichnen wollte, da er ja bereits gefangen genommen war, korrigierten ihn die Sowjets, dass er erst nach Unterzeichnung dieses Befehls nicht mehr Befehlshaber sei. Weidling starb 1955 in sowjetischer Gefangenschaft.

Im Detail war dieses Geschehen bisher nur Insidern bekannt, doch seit dem letzten Wochenende ist der 2. Mai zu einer Art inoffiziellem Gedenktag Berlins geworden. Am vergangenen Sonnabend fand nicht nur eine Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus statt, sondern vorher wurden vor dem geschichtsträchtigen Haus in Tempelhof auch viele Kränze niedergelegt. Daran nahmen der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der russische Botschafter Wladimir M. Grinin und die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler teil.

Der lange Weg zum Gedenken

Frühere Veranstaltungen, die auf Bemühungen einiger Hausbewohner zurückgingen, waren von der offiziellen Politik missachtet worden. Vor allem der Besuch des sowjetischen Botschafters Pjotr Abrassimow im Schulenburgring überforderte die West-Berliner Politik – man schrieb das Jahr 1982 und in Bonn war man noch weit davon entfernt, den 8. Mai 1945 nicht mehr als „Tag der Kapitulation“ Deutschlands zu begreifen, sondern als den „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus.

Dass es in diesem Jahr erstmals eine offizielle Feier am 2. Mai nicht nur im Abgeordnetenhaus, sondern auch im Schulenburgring gab, dürfte mit einem biografischen Zufall im Leben des derzeitigen Regierenden Bürgermeisters zusammenhängen: Jürgen Müller, der Vater Michael Müllers, gehört zu jenen Hausbewohnern, die seit den späten 70ern die Geschichte des Hauses erforscht hatten. Die Familie Müller war 1978 in das Haus gezogen. Im gleichen Jahr war die Besitzerin des Hauses, Anni Goebels, Tochter des Erbauers Franz Werner, gestorben. Sie hatte einem Mieter, dem damaligen Berufsschullehrer Joachim Dillinger, von der Geschichte des Hauses erzählt.

Noch 1975 war sie von dem Schriftsteller Jewgeni Dolmatowski besucht worden. Er hatte 1945 die Verhandlungen in ihrer Wohnung zwischen Tschuikow und den deutschen Generälen übersetzt. Frau Goebels gab ihrem Besucher einen Brief an General Tschuikow mit. „Wir waren sehr froh, dass der Friede zustande kam“, heißt es darin, und dass sie sich wünscht, „dass die Freundschaft zwischen Deutschland und der U.d.S.S.R. weiterhin sich festigt und in Berlin Ruhe und Friede bleibt.“

Uwe Soukup

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