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Kirsten Heisig sorgt auch nach ihrem Tod für Diskussionen über den Umgang mit kriminellen Jugendlichen.

© ddp

Kritik an Heisigs Buch: "Vorschläge drücken Hilflosigkeit aus"

Die verstorbene Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig wird als Kritikerin geschätzt, doch die von ihr angeregten Reformen sind umstritten. Fachleute halten ihre Forderungen für falsch oder nicht umsetzbar.

Sie hat wichtige Impulse gegeben und zurecht neue Ansätze im Umgang mit kriminellen Jugendlichen gefordert – darin sind sich alle einig. Allerdings stellt die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig in ihrem neu erschienenen Buch „Das Ende der Geduld“ Forderungen auf, die einige Fachleute für falsch oder nicht umsetzbar halten.

So fordert sie beispielsweise schärfere Sanktionen, wie etwa geschlossene Heime für straffällige Kinder und die Kürzung von Kindergeld für Familien. Monika Herrmann (Grüne), Jugendstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg, hält von beidem nichts. „Solche Forderungen drücken absolute Hilflosigkeit aus“, sagt sie. Durch die Kürzung von Kindergeld würden vor allem Kinder bestraft, „das macht die Armen nur noch ärmer“. Auch mit geschlossenen Heimen würden Kinder, die Opfer der Verhältnisse geworden seien, erneut zu Opfern gemacht. Hermann plädiert für präventive Arbeit in Kitas und Jugendeinrichtungen.

In ihrem Buch fordert Heisig außerdem, Bezirke wie Neukölln in kleinere Einheiten zu unterteilen, wo die Kooperation zwischen den beteiligten Ressorts und zuständigen Ämtern besser funktioniert. „So einen runden Tisch gibt es längst“, sagt eine Verantwortliche aus dem Jugendamt Neukölln. Allerdings sei ein intensiver Austausch zwischen den Behörden oft aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht machbar. So dürften Schulen dem Jugendamt zwar alles erzählen, umgekehrt sei das jedoch nicht der Fall.

Die Jugendrichterin beschreibt zudem, dass Jugendämter häufig mit arabischen Großfamilien konfrontiert seien, die den Ordnungshütern drohen, sie zu erschießen, wenn sie ihnen ein Kind wegnehmen. Das seien jedoch Einzelfälle, betont die Sprecherin aus dem Neuköllner Amt. „Morddrohungen gegen uns gibt es immer wieder, allerdings nicht nur aus arabischen Familien.“ Auch deutsche Väter würden hin und wieder zum Messer greifen oder ausrasten.

Zwischen einer Straftat eines Jugendlichen und der Reaktion des Staates dürften nicht Monate verstreichen, forderte Kirsten Heisig und stieß deshalb das Neuköllner Modell an – ein Strafverfahren, bei dem junge Täter nach kleineren Delikten schnell vor Gericht kommen. In ihrem Buch fordert sie weiter, dass die Justiz anschließend die Entscheidung des Gerichts auch schneller umsetzen solle. Vor allem Freizeitarreste für ein Wochenende werden von den Jugendlichen oft zu spät angetreten, schreibt Heisig.

Wie lange die Vollstreckung eines Arresturteils im Durchschnitt dauert, kann Justizsprecherin Petra Carl, nicht sagen. Nach dem Schuldspruch müsse die Behörde eine Woche lang warten, bis es rechtskräftig ist. Dann bekomme der Betroffene eine Ladung von der Jugendarrestanstalt, der er zu folgen habe. Wenn der Verurteilte nicht reagiert, zögere sich die Vollstreckung hinaus. „Nur in Einzelfällen kann man sie unmittelbar nach dem Richterbeschluss in Arrest geben“, sagt Carl.

Heisigs knapp 200 Seiten umfassendes Buch soll aufrütteln und neigt bisweilen zu Übertreibungen. So schreibt Heisig, dass 214 der rund 550 Berliner Intensivtäter aus Neukölln stammen, obwohl die Staatsanwaltschaft für 2009 lediglich 128 solcher Täter auflistet. Auch die Angabe, dass 90 Prozent der Berliner „Schwerkriminellen“ einen Migrationshintergrund aufweisen und vor allem aus arabischen Familien stammen, wird durch die Kriminalitätsstatistik nicht belegt. Quellenangaben macht Heisig nicht.

Ali Maarouf ist Projektleiter im Deutsch-Arabischen Zentrum in Neukölln und kannte Richterin Heisig persönlich. Er schätzt ihr Engagement sehr. Allerdings fürchtet Maarouf, dass die zugespitzten Thesen zu einem pauschal schlechten Urteil über arabische Familien führen. Besagte Großfamilien, die ihre Kinder zu kriminellen Handlungen anstiften, gebe es schon. „Aber es sind nur einzelne.“ Maarouf kenne in Berlin vier solcher Familien, arbeite aber mit hunderten zusammen. Und bei dem kriminellem Nachwuchs handle es sich oftmals um Kinder aus Familien, die hier leben, aber keinen sicheren Aufenthaltsstatus und nicht viel zu verlieren haben. Die Eltern – häufig Kurden aus dem Libanon – seien mit ihren Kindern schlichtweg überfordert. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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