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Berlin: Kümmern – oder verkümmern

Volkspartei kann sich die Berliner CDU seit der Wahl kaum noch nennen. Die Debatte beginnt, wie es wieder aufwärts gehen kann

3000 Visitenkarten ist Mario Czaja im Wahlkampf los geworden. Rund 2000 Mal hat er bei den Leuten im Wahlkreis 5 an der Tür geklingelt, sich als CDU-Abgeordneter vorgestellt. So seltsam empfinden Wähler, so wunderlich ist Politik, dass Mario Czaja, 31, ein Direktmandat für die CDU geholt hat – das einzige in einem Bezirk, in dem ansonsten ausschließlich PDS-Politiker gewonnen haben. 6515 Wähler stimmten für Czaja, den adretten jungen Mann in Anzug und Krawatte. 2001 holten die Sozialisten hier 52, 9 Prozent der Stimmen.

Kaulsdorf-Mahlsdorf ist Stadtrand. Hier stehen neben vielen kleinen alten Häusern mit großen Gärten viele kleine neue mit kleinen Gärten. Rentner dämmern in der Sonne, Frauen schieben Kinderwagen über die noch nicht asphaltierten Straßen. Was einen CDU-Politiker attraktiv macht – dazu haben die Leute hier eine Meinung. Der Mann, der seine Wacholderhecke in der Mittagssonne trimmt, sagt, Czaja sei „der Einzige, der hier aktiv geworden ist“, der habe „wirklich was gemacht“.

Der Grauhaarige hat den Eindruck, dass Czaja ernst nimmt, was die Leute hier mit Sorgen und Ärger erfüllt – und das ist alles, was mit dem Ausbau der kleinen sandigen Nebenstraßen zu tun hat. Ein Enddreißiger, der mit seinen beiden Jungen unterwegs ist, geht noch ein bisschen weiter. Er gibt gleich zu, dass er Czaja gewählt habe. Gewiss, das sei wohl auch „Strategie“ gewesen, dass sich Czaja so auf das Thema Straßenausbaubeitrag konzentriert habe. Aber er habe sachlich argumentiert, nicht auf Protest gesetzt, sondern gesagt, wie man anderswo in Deutschland die Bürger an den Straßenausbaukosten beteilige, aber nur in Berlin durch das Berliner Straßengesetz von oben festgelegt ist, wie kommunale Straßen noch in Kaulsdorf auszusehen haben. „Czaja ist durch jede Straße gegangen“, sagt der Mann, „er ist immer ansprechbar.“ Er habe sich gekümmert.

Kümmern – das ist es. Das Wort führen alle im Mund, die in der CDU nach der historischen Wahlniederlage mit 21,3 Prozent Wege aus der Krise suchen. Von der Herrlichkeit einer Volkspartei, die 1999 im Westteil noch alle Wahlkreise gewann, ist nichts übrig geblieben. Die Union ist 2006 nur noch dort erfolgreich gewesen, wo es den Berlinern noch relativ gut geht, im Südwesten oder im Norden; wo „die Sonne noch scheint“, wie es ein Beobachter beschreibt. Weit zurückgefallen ist die CDU dagegen im Zentrum und überall dort, wo es nicht so gut geht.

Um wieder mehrheitsfähig zu werden, braucht der neue CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger neue Konzepte. Czaja hat, wie er sagt, seit 1995 „an den Siedlungsthemen gearbeitet“. Michael Braun, CDU-Wahlkreisgewinner in Steglitz-Zehlendorf, spricht von „Kümmer-Kompetenz“. Mag sein, dass die CDU noch in den neunziger Jahren erfolgreich war, weil die Wähler Überbauthemen wie „Wirtschaft“ und „Sicherheit“ bei Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky in den besseren Händen glaubten – Diepgen sprach damals gern vom „Unternehmen Berlin“, das er voranbringen wollte. Heute diagnostiziert Czaja, „das Profil fast aller Parteien“ sei „verwaschen“.

Braun sieht das genauso. Zwei Wahlkämpfe lang, vor der Bundestagswahl 2005 und in diesem Jahr, hat er erfahren, was die Leute wollen: Dass man „vor Ort“ sei und man Lösungen für die Jugendkriminalität in der Thermometersiedlung anbiete. Dass man „soziale Brennpunkte“ wie Zehlendorf-Süd aufsuche, wo vor einem Jahr der kleine Christian ermordet worden ist – und am runden Tisch Ideen entwickle. Braun hält für unabdingbar, dass sich die CDU öffne für alles, was mit dem Wohnumfeld zu tun habe. Wenn keiner große Ideen für die Stadt hat und die Leute den Politiker weder große Ideen noch große Problemlösungen zutrauen, kommt es auf die kleinen Fragen, das Kommunale an.

Michael Braun hat mit 50 Jahren sein ganzes Politikerleben lang die Konkurrenz der Grünen kennengelernt. „Wir sind doch wahrgenommen worden wie der ADAC“, sagt er halb scherzend. Heute setze man sich dafür ein, dass Wähler in den kleinen Straßen des noch immer wohlhabenden Südwestens Geschwindigkeitsbegrenzungen wollten. Dass eine Volkspartei auch einen Überbau brauche, gesteht er zu: Friedbert Pflüger, der neue Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, müsse die Linien fortentwickeln, die man im Wahlkampf entlang den Themen Arbeit, Bildung, Sicherheit gezogen habe.

Für den Erfolg war die kommunale Kompetenz wichtiger. „Drama um das Centre Bagatelle“, liest man im Schaukasten des CDU-Parteiblatts „Unser Frohnau“ am Ludolfinger Platz. Das Centre Bagatelle ist ein gefährdetes Kulturhaus, dem neuerdings die Lotto-Gelder fehlen. Das Parteiblatt „Unser Frohnau“ ist, auch oder gerade weil es sehr kiezig wirkt, Ausdruck der Kümmerkompetenz, die Brauns Wahlkreisgewinner-Kollege Frank Steffel entwickelt hat. 9338 Stimmen hat Steffel im Wahlkreis Reinickendorf 6 gewonnen. Mehr hat in Berlin keiner geschafft.

Steffel ist – im übertragenen Sinn – dort, wo Czaja noch hinwill: Er steht seit vielen Jahren für den Wahlkreis. In der Gegend um die S-Bahn-Station Frohnau ist ein gepflegter Konservatismus zu Hause – die Art von Bürgerlichkeit, die sich in einem schönen Haus mit Garten ausdrückt. Steffel weiß, wie wichtig es ist, „Bindungen“ an die Wähler herzustellen. Schon sein Großvater sei in dem Fußballverein gewesen, dem er selbst auch angehört.

Doch Sympathien werden auch hier nicht verschenkt. Auch die „grüne Zahnarztgattin“ muss gewonnen werden, wie Steffel sagt. Und bürgerliche Wähler sind nicht mehr auf eine Partei fixiert. So sagt ein Mann in einem Modegeschäft, die Mehrwertsteuer-Erhöhung habe ihn derart geärgert, dass er die Wahl zum Abgeordnetenhaus genutzt habe, um die CDU zu strafen. Eine Mutter sagt, bei der CDU fühle sie sich „sicherer“. Sie meint damit alles, was mit der Zukunft zu tun hat, von der Bildung für ihre kleine Tochter bis zur Wirtschaft. Gerade die, sagt ein anderer Geschäftsbesitzer, „funktioniert“ in Reinickendorf noch, weil die Bürgermeisterin Marlies Wanjura und eben ein Frank Steffel sich dafür engagieren.

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