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Nachdenklich. Bei der Abstimmung zeigte sich Künast selbstkritisch. Sie habe Fehler gemacht, sagte sie. Und will es trotzdem nochmal wissen.

© DAVIDS

Künasts Kampf: Die totale Demontage wollte niemand

Erst im zweiten Wahlgang wurde die ehemalige Spitzenkandidatin in den Parteirat gewählt – die Grünen hadern mit ihrer Frontfrau.

Von Sabine Beikler

Immer wieder schaut sie auf ihr Handy und knetet ihre Finger. Renate Künast sitzt in der ersten Reihe, die Plätze links und rechts von ihr sind frei. Sie ist nervös. Die Wahl des Parteirats, für den sie kandidiert, kann für ihre politische Zukunft entscheidend sein. Die Stimmung unter den 155 Delegierten im Umweltforum in der Kreuzberger Jerusalemkirche ist vor der Wahl nicht eindeutig einzuschätzen. Einen „Dämpfer“ werde sie wohl kassieren, sagen grüne Spitzenpolitiker. Doch dass Künast, die zunächst für einen der Frauenplätze antritt, mit nur 48,3 Prozent im ersten Wahlgang das zweitschlechteste Ergebnis unter 13 Frauen bekommt und somit das Quorum nicht schafft, macht viele Delegierte zunächst sprachlos. Echtes Mitgefühl zeigen aber nur wenige.

Wird sie noch einmal antreten? Keiner weiß es. Um Künast herum schart sich eine kleine Runde, darunter ihr Vertrauter Volker Ratzmann, der Ex-Fraktionschef, der heute als Bundeskoordinator in der baden-württembergischen Landesvertretung arbeitet. Eine Spitzenpolitikerin aus dem Realo-Flügel sagt: „Wenn sie noch einmal antritt und nicht gewählt wird, ist es das Ende von ihr.“

Einige Realos schimpfen über die Parteilinke und sehen sie verantwortlich für das schlechte Abschneiden von Künast. Doch die Parteilinke macht unter den Delegierten weniger als 40 Prozent aus. „Es ist die erste Gelegenheit nach der Wahl, in der sich der Frust individuell entlädt“, sagt der grüne EU–Abgeordnete Michael Cramer. Ein früherer Grünen-Funktionär spricht von einem „vergifteten Landesverband“. Die Folgen des Machtkampfes zwischen der Parteilinken und dem Reformerflügel in der Fraktion sind ein gutes Vierteljahr nach der vorsichtigen Befriedung noch deutlich spürbar.

Vor allem aus ihrem eigenen Realo-Flügel flacht die Kritik an der ehemaligen Spitzenkandidatin auch ein halbes Jahr nach der Berlinwahl nicht ab: Künast habe viel zu wenig Selbstkritik geübt und eigene Fehler nicht eingestanden. Ein Spitzenpolitiker aus der Bundesebene sagt: „Sie hat ein schlechtes Jahr hinter sich. Und daran war sie maßgeblich beteiligt.“ Dass sich das Realo-Lager gegen ihre Frontfrau stellt, stimmt sogar die Parteilinke solidarisch mit der Bundestagsfraktionschefin. „Wenn ihr Flügel sie fallen lässt, sollten die Parteifreunde immerhin fair mit ihr umgehen und es ihr offen sagen“, sagt zum Beispiel Monika Herrmann, Bezirksstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg. Damit meint sie die Bundes- und Landesebene.

Künast tritt noch einmal an. Und sie präsentiert sich in ihrer zweiten Bewerbungsrede erstaunlich demütig. Das kennt man von ihr nicht. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Ich will das ehrlich aufarbeiten“, sagt sie. Sie sei „für Berlin und für euch im Bundestag. Deshalb bitte ich nochmal um eure Stimmen.“ Sie möchte gern im Parteirat mitarbeiten, „weil mir der Landesverband am Herzen liegt“. Der Wahlgang beginnt.

Das Ergebnis ist vorhersehbar gewesen. Mit 76,4 Prozent erzielt sie das beste Ergebnis. Dafür erhält sie auch anständigen Applaus. Eine totale Demontage der Realpolitikerin wollte niemand. Doch der Dämpfer, den Künast erlitten hat, prädestiniert sie nicht für eine Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013. Als sie Anfang März bei der Bundesklausur der grünen Realos ihre Überlegungen zum Kurs der Partei vortrug, rührte sich kaum eine Hand zum Applaus. Und auch in Berlin hält sich die Begeisterung bei den Realos für Künast in Grenzen. „Wer geht schon los und hängt erneut Plakate für Renate“, sagt eine Spitzenpolitikerin, „nach so einem Berliner Wahlkampf, der für die Tonne war.“ Im Herbst wird die Entscheidung fallen, ob Künast als Spitzenkandidatin ins Rennen geht.

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