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KÜNDIGUNG RECHTENS: Gericht: Eine Kassiererin muss absolut korrekt sein

Der Supermarktkassiererin Barbara E., bekannt geworden als Emmely, war gekündigt worden, weil sie zwei Pfandbons in Höhe von 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Die Kündigung war rechtens, befand am Dienstag das Berliner Landesarbeitsgericht und wies die Berufungsklage der 50-Jährigen zurück. Jetzt will ihr Anwalt notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Das böse Wort fällt kurz nach der Urteilsverkündung. „Klassenjustiz“, ruft ein Zuschauer noch im Saal des Landesarbeitsgerichts am Magdeburger Platz. „Und was ist mit den Managern?“ Gerade hat die Vorsitzende Richterin Daniele Reber die Berufungsklage der Supermarktkassiererin Barbara E. gegen ihre fristlose Kündigung abgewiesen. Der Lebensmittelkonzern Kaiser’s-Tengelmann hatte E. im Februar 2008 nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen des Verdachts entlassen, zwei von Kunden verlorene Pfandbons im Wert von 82 und 48 Cent aus einem Büro entwendet und unberechtigterweise eingelöst zu haben.

Ihrem Arbeitgeber sei die Beschäftigung der Frau nicht mehr zuzumuten, sagt Reber in ihrer Begründung. Die Kammer sieht nicht nur „den dringenden Verdacht“, sondern hält es sogar für erwiesen, dass E. die Tat begangen hat. Von einer Kassiererin aber müsse ein Arbeitgeber „absolute Zuverlässigkeit und Korrektheit“ erwarten können. Nicht der Wert der unterschlagenen Bons sei maßgeblich für die Kündigung, sondern der „irreparable Vertrauensverlust“.

Der Fall hat längst Schlagzeilen gemacht. Unter dem Motto „Solidarität mit Emmely“ mobilisiert eine Initiative aus Gewerkschaftern und linken Gruppen immer wieder zu Demonstrationen. Die Unterstützer sehen in E. ein Opfer des Konzerns. Sie habe gemaßregelt werden sollen, weil sie sich maßgeblich an Streiks beteiligt hatte. Die Anwältin von Kaiser’s-Tengelmann, Karin Schindler-Abbes, wirft den Aktivisten hingegen vor, die Frau politisch zu instrumentalisieren – aus Protest gegen die Gesellschaft.

Bei einer Pressekonferenz in einem nahe gelegenen Nachbarschaftsverein sagt E. nach dem Urteil: „Ich bin erschüttert und enttäuscht.“ Es sei nicht so, dass sie die Tat begangen habe. Nur mühsam kann die Frau, die inzwischen von Hartz IV lebt, diese Sätze sagen, dann bricht sie in Tränen aus. Umso kämpferischer gibt sich ihr Anwalt Benedikt Hopmann: „Es wird ein langer, ausdauernder Kampf um die Rechte meiner Mandantin.“ Zunächst will Hopmann Beschwerde dagegen einlegen, dass das Landesarbeitsgericht eine Revision nicht zugelassen hat. Dann kündigt er an, Verfassungsbeschwerde einzureichen und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen: „Wir werden alles versuchen, dass dieses Urteil gekippt wird.“ Die herrschende Rechtsprechung sei skandalös.

Politische Reaktionen ruft das Urteil ebenfalls hervor. „Es macht wütend, wenn in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise ein Fehlbetrag von 1,30 Euro zum Verlust des Arbeitsplatzes führt, Milliardenverluste in Unternehmen dagegen mit Boni für Manager versüßt werden“, sagt Carola Bluhm, Vorsitzende der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. „Arbeitsrichter ohne Augenmaß“ kritisiert Doro Zinke, Vize-Landeschefin des DGB. Sie bezeichnet es als arbeitnehmerfeindlich, „wenn mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird“. Sigrid Kneist

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