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Berlin: "Künstliche Intelligenz": Das ungeahnte Zartgefühl eines Roboters

Das Marx-Wort, wonach die Philosophen die Welt zwar verschieden interpretiert hätten, es nun aber darauf ankäme, diese zu verändern - dies eherne Wort sie ließen stahn - aus Gründen der Pietät wie die des Denkmalschutzes. Unter diesen ist ja das große Ganze oder ganze Große der Humboldt-Universität genommen worden.

Das Marx-Wort, wonach die Philosophen die Welt zwar verschieden interpretiert hätten, es nun aber darauf ankäme, diese zu verändern - dies eherne Wort sie ließen stahn - aus Gründen der Pietät wie die des Denkmalschutzes. Unter diesen ist ja das große Ganze oder ganze Große der Humboldt-Universität genommen worden. Der Marxsche Klugschnack auf glatter Wand auf halber Treppe steht keineswegs im aktuellen Gegensatz zur derzeit hier ausgebreiteten "Künstlichen Intelligenz." So eine Universität sollte ja jederzeit jedermann zugänglich sein, nicht, um sich dort etwa einzuschreiben, sondern einfach so. Einkehr also auch um einer Tasse Kaffee willen. Nicht in der Mensa, die im hinteren Seitenflügel liegt, sondern vorne überm Marx-Spruch. Es bedient ein Roboter. Er heißt "Clever". Ob er wohl mal? "Jooaa, können wir machen". Und sie machten dem Robby Beine.

Ihm wurden die entsprechenden Anweisungen gegeben, ohne die ein Funktionär ja nie funktioniert. Denn bei der künstlichen Intelligenz eines Roboters oder Funktionärs kommt es ja nicht auf individuelle Einsichtsfähigkeit im lateinischen Sinne an, sondern aufs Funktionieren auf höhere Weisung hin. Ein längeres Kolleg über "Transormationen auf Zielplattform" konnte gerade noch abgewimmelt werden (ach bitte, machen Sie sich doch meinetwegen keine Umstände). Und der junge Däne, der uns den Kaffee vom Cleverle servieren ließ, bewies Humor. Obendrein war es ja gewiss auch seine Aufgabe, "The Learning Service Robot Clever" glaubhaft zu machen. Auch dürfte er es gewohnt sein, immer wieder um das Roboter-Spielchen gebeten zu werden.

"Clever" bekam also auf ein ihm eingebautes Tablett die leere Tasse gestellt. Er machte sich sogleich, wie wir erläutert bekamen, ein "Bild von der Tasse". Dann vollführte er eine kleine gleitende, ja fast anmutige Drehung um seine eigene Achse und steuerte geradewegs auf mich zu. Ich blieb stehen. Er wich aus. Ich trat wieder in seinen Weg. Er blieb höflich. Er kam vorm Kaffeautomaten zum Stillstand. Bewegte seinen "Kopf" Richtung Spenderdüse, nahm also Maß, reckte sich, streckte seine Greifzange mit der Tasse aus. Nahm wieder in gleitender Gleichmäßigkeit Maß, diesmal Richtung Automatenknopf. Währenddessen fragte ich den dänischen Geduldsmenschen, ob denn auch das zarteste Porzellan dem Clever-Zugriff unbeschadet standhielte. Ei gewiß doch, er könne auch nach Eiern greifen ohne sie zu quetschen. Wie zartfühlend doch künstliche Intelligenz sein kann.

Nun war ich besonders gespannt, ob Clever aus der Menge der Umstehenden mich auch herausfindet, mich mit dem bestellten Kaffee bedienen wird. Er hatte inzwischen den Automaten-Knopf gedrückt, der Kaffee fauchte in die Tasse. Neben mir stand ein anderer Mann. Wir wurden uns einig, es Clever zu überlassen, wen er nun bedienen werde. Er soll merken, dass natürliche Intelligenz im Gegensatz zur künstlichen, sich auf Höflichkeit versteht, die wir natürlich für uns beanspruchten; denn wir waren in heiterer Laune. Die Tasse wurde mir gereicht. Ein winziges Rütteln genügte, sie aus der Zange in meine Hand zu geben. Die Zuteilung klappte vorzüglich, ja, fast möchte ich sagen: zärtlich. So fängt das eben immer an. Wir erwarten kalte Abläufe und bekommen heißen Kaffee. Wir wissen, dass unsere Autos von Robotern zusammengebaut werden, aber von der "Zärtlichkeit" des sogar eierschonenden Zugriffs - wer wusste schon davon. Und dennoch bleibe es anderen überlassen, sich durch 1038 Seiten des Handbuchs der Künstlichen Intelligenz durchzufressen. Mir genügt eine Tasse Kaffee.

Ekkehard Schwerk

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