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Kulturfabrik in der Lehrter Straße

© Volker Kuntzsch, georg+georg

Kulturfestival Wedding Moabit 2013: Graffiti in der Dusche

Wedding wird ebenso wie der Nachbarstadtteil Moabit oft nur mit sozialen Problemen gleichgesetzt. Dabei sind beiderseits des Kanals schon viele Künstler aktiv. Das "Kulturfestival Wedding Moabit" will sie einander näher bringen und das Kreative nach außen tragen.

In der Dusche hängt Kunst an der Wand. Man steht auf grauen Kacheln, die sich seicht zu den Abflüssen neigen, hinter den Leinwänden gehen weiße Fliesen bis zur Decke, das Licht kommt grell aus Neonröhren. Und mittendrin: Männlein auf Skateboards, Graffiti auf Holz, weitere Werke von Urban und Street Art.

Wir sind im Stattbad Wedding, diesem von außen so unansehnlichen Klotz in der Gerichtstraße. Man meint, das Chlor noch riechen zu können im Inneren des alten Bezirksschwimmbads. Längst aber ist es einer der wichtigsten Kulturstandorte des Wedding geworden. Kürzlich ist hier erst eine Skateboard-Ausstellung zu Ende gegangen, im kommenden Jahr soll das alte Schwimmbecken mit Hilfe eines großen Sponsors für drei Monate zur Halfpipe werden. Der Schwerpunkt liegt hier auf Kunst, die von der Straße kommt.

„Fragen? Wenn nicht, dann schnell weiter, wir haben viel vor.“ Eberhard Elfert ist der Guide für den Vormittag. Er hat guten Grund, ein bisschen zu drängeln. Zwei Stunden nur ist Zeit für die Tour durch einige der Veranstaltungsorte des an diesem Wochenende stattfindenden „Kulturfestival Wedding Moabit“. Von Freitag bis Sonntag werden über 100 Kunst- und Kultur-Events in den beiden Stadtteilen stattfinden. Und sie, die sich so nah und doch oft noch so fern sind, zusammenbringen. „Es ging darum, langfristig ein Netzwerk aufzubauen, um die kulturellen Aktionen zu bündeln“, sagt Elfert, studierter Kunsthistoriker und seit mehreren Jahren im Wedding aktiv.

Elfert ist mit seinem Kulturnetzwerk Wedding einer von drei Initiatoren des Festivals, die anderen sind die Kommunikationsagentur georg+georg und eben das Stattbad. Gefördert werden sie von dem Programm „Aktionsraum Plus“ des Berliner Senats. "Wir wollen Appetit machen", sagt Elfert, "auf die Kunst, die es hier schon gibt, die aber oft noch nicht wahrgenommen wird." Der Eintritt ist daher frei.

„Ich bin Wedding“

Es geht, grob gesagt, auch darum, zwei Berliner Orte, die allzu oft nur mit sozialen Problemen in Bezug gesetzt werden, von ihrer anderen Seite zu zeigen. Und den kreativen Akteuren, von denen es beiderseits des Hohenzollernkanals schon zahlreiche gibt, zu zeigen, was mit gemeinschaftlichem Auftreten nach außen möglich ist. „Wir wollen den Raum öffnen“, sagt Elfert, „die Leute mit ins Boot holen, deswegen ist das Festival dezentral und partizipativ.“ Im November ist ein Workshop für alle Beteiligten geplant, die Ausrichtung ist langfristig. „Wir wollen weniger kuratieren als Strukturen aufbauen.“

Die Botschaften, die Lust machen sollen auf das kiezübergreifende Happening, sind dabei bewusst simpel gehalten: „Ich bin Wedding“, hängt seit Wochen überall in Moabit aus, „Ich bin Moabit“ entsprechend im Wedding. „Ich bin Programm“, steht, man ahnt es bereits, auf dem Programmheft, das auf der Rückseite auch eine bunte Karte mit allen Locations fürs Wochenende bietet.

Vom Stattbad geht es auf die andere Straßenseite, Gerichtstraße 23, in den Kulturhof 3. Durch einen abbruchreifen Aufgang in den ersten Stock, und dann steht man plötzlich im Buenos Aires der 30er Jahre. Es ist plötzlich ganz still, keiner sagt was. Dieser Raum ist an dieser Stelle schlicht nicht vorstellbar, das ist es wohl. Auf knarzendem Parkett tritt man verlegen von einem Bein aufs andere, bestaunt die großen Spiegel, die alten Sofas, die Schwarzweiß-Bilder in ihren Goldrahmen und den großen Flügel in der Saalmitte. Willkommen im Tangoloft in Berlin-Wedding.

Konzerte im „Slaughterhouse“

Doch auch hier und nebenan in der wunderbar urigen Großküche der „Kochenden Welten“ reicht die Zeit kaum aus zum ausgiebigen Betrachten, denn schon lässt Guide Elfert alle in den Bus verfrachten, und es geht hinüber, die Fennstraße hinunter und links in die Lehrter Straße hinein nach Moabit. Vor der Kulturfabrik kommt der Bus schnaufend zum Stehen. Hier, in diesem 1911 als Fleischfabrik errichteten, in den 70ern geschlossenen und seit Ende der 80er von Aktivisten als Kulturraum zurückeroberten hohen, schmalen Gebäude, ist das Festival ebenfalls zu Gast: mit Konzerten im „Slaughterhouse“ im Keller, mit Filmen, die bei gutem Wetter hinterm Haus auf großer Leinwand vor vorbeirauschenden ICE-Zügen gezeigt werden, bei schlechtem drinnen im Off-Kino „Filmrauschpalast“.

Es geht dann noch an andere Orte, die Arminius-Markthalle in Moabit zum Beispiel, die Uferstudios an der Panke oder die Dankeskirche, ein Ort der Ruhe direkt an der Müllerstraße. Es gibt viel zu entdecken, von dem man nicht mal ahnte, dass es da ist. Interessierte können sich selbst ihren Plan zusammenstellen, von Freitagnachmittag bis Sonntagabend, im großen, weiten Kulturraum Wedding und Moabit. (Das ganze Programm unter: www.kf-wm.de)

Dem Autor auf Twitter folgen: @johehr.

Dieser Beitrag erscheint auf dem Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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