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Berlin: Kuno Emanuel Beller (Geb. 1919)

Nicht um Leistung geht es, sondern um Ermutigung

Fünf Milliarden ließ sich der Staat das Abwracken alter Autos kosten, knapp 22 Milliarden sind vorläufig für das Kampfflugzeug Eurofighter veranschlagt. Zehn Milliarden Euro bräuchte es für 900 000 Krippenplätze – aber das Geld fehlt. In Bildungsfragen herrscht eine große Fahrlässigkeit.

Nicht jedes Kind ist so klug, wie seine Eltern es sich wünschen, und nicht jedes Kind ist so dumm, wie es durch unser unterfinanziertes Erziehungssystem gemacht wird.

Insbesondere in den ersten drei Lebensjahren entscheidet sich viel für die Zukunft, sei es, weil viele Eltern ihre Kinder vernachlässigen, sei es, weil viele sie viel zu früh einem viel zu großen Druck aussetzen. Ein Kleinkind, das täglich vor die Glotze gesetzt wird, vereinsamt ähnlich wie eins, das auf altklug getrimmt wird – bei beiden besteht die Gefahr, dass sie in späteren Jahren ihr Gegenüber niederknüppeln, sei es mit Worten oder Fäusten.

Krippenerziehung kann helfen, aber es herrscht ein Glaubenskrieg: In Erziehungsfragen weiß jeder alles besser, umso wichtiger sind Fakten.

Kuno Beller war es, der den Diskussionen über die frühkindliche Erziehung ein verlässliches wissenschaftliches Fundament gab, eins, das auf Beobachtungen und nicht auf Hypothesen gründet.

Es ist eine Dreiecksbeziehung zwischen Erziehern, Eltern und Kind, in der es auf jeden ankommt.

Die Erzieher müssen, so Bellers Rat, von der Versorgungshaltung, bei der Kinder zuweilen geradezu störend wirken, wegkommen hin zu einer Erziehungshaltung. Das Kind soll spüren: „Die Betreuerin weiß, was ich mag und gut kann.“ Dabei hilft den Erziehern die von Kuno Beller entwickelte Entwicklungstabelle: Von der Geburt bis zum 72. Monat sind 649 Beobachtungsmerkmale gelistet.

Das Kind seinerseits hat das Recht, nicht als permanent unmündiges Wesen behandelt zu werden. Grundlegend ist nicht die Frage, was das Kind können muss, sondern was es kann. Das verändert die Perspektive von Grund auf, denn statt Leistung, Leistung, Leistung zu fordern, heißt es: Ermutigung, Ermutigung, Ermutigung.

Die Eltern wiederum müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihr Kind in eine Krippe geben, wohl aber, wenn sie nicht darüber nachdenken, wie sich dieser Eingewöhnungsprozess am konfliktärmsten gestalten lässt. Kuno Bellers „Berliner Modell“ empfiehlt: das Kind nicht einfach an der Tür abgeben, sondern anfangs dabeibleiben.

Ein „weicher“ Übergang des Kindes aus der vertrauten, familiären Lebenswelt in die Gemeinschaft vieler und zunächst fremder Kinder und Erwachsener fördert eine schnelle Eingewöhnung und mindert das schlechte Gewissen, sein Kind abgegeben zu haben. Je besser die Eltern von sich denken, desto besser denkt das Kind von sich.

So einleuchtend die Empfehlungen Kuno Bellers scheinen, so groß war anfangs der Widerstand beim Personal in den Krippen. „Ein Schmarr’n“ seien diese neuen Ideen, bei der Stärke des Kindes anzusetzen und seine Selbstständigkeit zu fördern. Aber Kuno Beller konnte mit Widerständen schon immer gut umgehen.

Er war in Wien aufgewachsen, in Praternähe, und musste als Heranwachsender miterleben, wie aus Nachbarn plötzlich Feinde wurden. Wie werden Menschen zu dem, was sie sind? Diese Frage ließ ihn fortan nicht mehr los.

Nach der Besetzung Österreichs floh er zunächst in die Schweiz, dann gemeinsam mit der Familie in die Vereinigten Staaten. Er hatte die Pflicht, das Geld für die Überfahrt aufzutreiben. Also ging er nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, das Geld bei Bekannten zu borgen, einfach ins Bankhaus Julius Baer, fragte nach dem Direktor und bat ihn um Unterstützung. Der Direktor hörte sich die Geschichte an, öffnete die Schublade und reichte ihm das Geld.

Kuno Beller studierte Psychologie in Amerika, insbesondere Entwicklungspsychologie: Wer die Menschen verstehen will, muss sich um das Verständnis des Kindes mühen.

Er bekam einen Ruf nach Berlin, wurde der bundesweit einzige Inhaber eines Lehrstuhls für Kleinkindpädagogik.

Sein Lieblingsplatz war fortan sein Büro. Was ihn neben seinem bedingungslosen Arbeitseinsatz auszeichnete, war eine konstitutionelle Bewegungsunlust – ausgenommen sein Faible für Kaufhäuser. Er besaß an die 300 Krawatten und wusste von jeder einzelnen, wo er sie gekauft hatte. Ein gutes Aussehen war ihm wichtig, was gewagte Farbkombinationen bei der Wahl der Einzelkomponenten Hose / Sakko durchaus einschloss.

Als im Alter die Sehkraft schwand, ließ er sich vorlesen. An ein Ende seiner Arbeit wollte er nicht, konnte er gar nicht denken. Sein größter Traum, dass nicht nur wenige, sondern viele sein Werk fortführen; seine größte Enttäuschung, dass der von ihm aufgebaute Lehrstuhl Sparplänen zum Opfer fiel. Gregor Eisenhauer

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