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Berlin: Kunst mit Toten: Alles nur eine Frage der Wahrnehmung

"Mit Mord kann ich künstlerisch gut umgehen", sagt Patricia Pisani. Vor der Künstlerin liegt eine Mappe mit ihren Arbeiten - darunter manche düstere Installation.

"Mit Mord kann ich künstlerisch gut umgehen", sagt Patricia Pisani. Vor der Künstlerin liegt eine Mappe mit ihren Arbeiten - darunter manche düstere Installation. "Das perfekte Verbrechen" zum Beispiel. Pisani hat Polizeifotos von Ermordeten bearbeitet, die Spuren des gewaltsamen Todes wegretuschiert - und sie den Originalen gegenübergestellt. Der Kopf einer erschossenen Frau, aus deren Schläfe Blut quillt, wird ohne die Verletzung zum Porträt einer Schlafenden. Das Foto eines misshandelten und erdrosselten Menschen wird retuschiert zum Passbild eines müde dreinblickenden Mannes.

In der Arbeitsmappe findet sich ein weiteres morbides Projekt. Oder ist es ein Hoffnungssymbol? Eine Betonsäule hängt von einer Kirchendecke, ihr unteres Ende ist abgebrochen. Genauso gut könnte die Säule aber auch nach unten wachsen, wie ein Stalagtit. Alles nur eine Frage des Wahrnehmung. "Meine Themen sind Körperlichkeit, Zerbrechlichkeit und Tod." Man glaubt der 42-jährigen Künstlerin, was sie sagt - so zierlich, wie sie da am Arbeitstisch in ihrem Kreuzberger Atelier sitzt, ganz in Schwarz, auch die gescheitelten Haare tiefschwarz, dazu die Lippen graubraun geschminkt. Dann plötzlich dieser Bruch, der Schalk in den dunkelbraunen Augen: "Ich bin einfach zu faul, Farben zu kombinieren. Das ist so schwierig, deshalb trage ich am liebsten Schwarz."

Vielleicht ist es diese Mischung aus Sensibilität für den Tod und ironischem Abstand, die Pisani qualifizierte, ein geschichtsträchtiges Denkmal zu entwerfen. Gemeinsam mit acht Künstlerkollegen wählte der Stadtentwicklungssenator Patricia Pisani aus, in einem kleinen Wettbewerb Vorschläge für ein "Deserteurs-Mahnmal" einzureichen. Das Mahnmal soll an die 232 in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges in der Charlottenburger Murellenschlucht erschossenen Wehrmachtsdeserteure und "Wehrkraftzersetzer" erinnern. Vielleicht ist es aber auch ihre Herkunft, die es Pisani möglich macht, ein urdeutsches Trauma künstlerisch anzupacken. Pisani stammt aus Buenos Aires und kam erst vor zehn Jahren nach Deutschland. "Ob ich ein ähnliches Denkmal in Argentinien hätte machen können?", fragt sie sich. "Wohl eher nicht, da wäre ich einfach zu nahe dran." Pisani mag es lieber distanziert, ironisch distanziert - so lautet auch ihr künstlerisches Credo. Hinterfragen, was man sieht, zeigen, was man nicht sieht. Sie macht keinen Hehl daraus, was sie vom Militärdienst hält: "Das sollen die machen, denen das Spaß macht." Diejenigen, die es nicht machen wollen, sind in ihren Augen keine Feiglinge: "Ich halte von so einer Art Patriotismus nichts." Und wer zur Wehrmacht Nein sagte, der war sogar ein Held, sagt Pisani.

Ihr Entwurf für das Denkmal basiert auf Verkehrsspiegeln. Hundert dieser aus dem Straßenverkehr bekannten Hilfsmittel, die unübersichtliche Stellen überschaubar machen, sollen den Spaziergänger auf dem Weg von der Glockenturmstraße zum Platz der Erschießungen begleiten. Verkehrsspiegel, kann etwas noch fremder sein auf einem einsamen Waldweg? Genau das beabsichtigt Pisani: Aufmerksamkeit durch Verwunderung. "Vorsicht, Gefahr!", sollen die Zeichen signalisieren - und letztlich doch wieder das tun, wozu sie ursprünglich gedacht waren: Unsichtbare Stellen einsehbar machen. Denn der authentische Ort der Hinrichtungen liegt in einem Polizeisperrbezirk und darf nicht betreten werden. Die Spiegel am Sperrzaun reflektieren den Ort bis zum Spazierweg. Er wird "virtuell zugänglich."

Jetzt steht Pisani als Siegerin des Wettbewerbes fest, ihr Entwurf wird für 300 000 Mark realisiert. "Mein bisher größtes Projekt", sagt die Künstlerin stolz. Und das lukrativste. Auch darüber freut sich Pisani, denn Installationen taugen nur bedingt, um sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Man kann sie nur schwer verkaufen, und Pisanis Werke sind oft zu provokant für Sponsoren. Deshalb hält sich die Künstlerin mit befristeten Dozentenstellen und Stipendien über Wasser. Gemälde ließen sich leichter verkaufen, aber: "Das Einzige, was ich nicht bin, ist Malerin." Unsicher, ob es ihr peinlich ist, dann überzeugt, dass auch das zu ihrer Biografie gehört, erzählt Pisani von ihrem ersten Werk, das sie verkaufen konnte. Mit 16, ein Stillleben mit Blumen und Früchten. "Der Käufer hielt es für einen Pferdekopf."

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