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Berlin: Kunstaktion: Kopfstände für mehr Leben im Kiez

Breitbeinig stehen die Computerspieler auf dem Board vor der Muskauer Straße 12. Mit Pedalen steuern sie einen gefräßigen Döner, der sich auf der Leinwand im Schaufenster hin und her bewegt.

Breitbeinig stehen die Computerspieler auf dem Board vor der Muskauer Straße 12. Mit Pedalen steuern sie einen gefräßigen Döner, der sich auf der Leinwand im Schaufenster hin und her bewegt. Die Scheibe wurde zum Spielfenster. Und das Spiel ist an Kuriosität kaum zu überbieten: Bei eingefangenen Tomaten stöhnt und schmatzt der Döner unverhofft, dagegen erscheint beim Zusammenstoß mit Bockwürsten und Pommes "Game over". "Video Hollywood", so heißt das Computerspiel in der ehemaligen Videothek Hollywood, ist beliebt im Kiez: "Mittlerweile gibt es Kids, die als Experten durchzocken", sagt die Künstlerin Melanie Human. Ihr Projekt ist bei der "Kunst-Kette II" im Wrangelkiez dabei, die noch bis morgen sechs verwahrlosten Läden kulturelles Leben einhaucht.

Der Verein "Urban Dialogues" versucht, mit zwölf Kunstprojekten auf den Ladenleerstand hinzuweisen. Mit Installationen, Aktionen und Performances will man Eigeninitiativen der Anwohner anregen. "Wir fordern den Dialog zwischen Künstlern und Nachbarn, Mietern und Hauseigentümern heraus", sagt Petra Wilgenbus, Sprecherin des Vereins. "Der Leerstand gilt als Symptom für negative soziale und wirtschaftliche Faktoren." Über 60 ungenutzte Läden gebe es. Und es ist kaum Besserung in Sicht: Das Gebiet rund um die Wrangelstraße zählt zu den Gebieten mit der höchsten Arbeitslosenquote in Berlin. Viele besser gestellte Familien sind in den letzten Jahren weggezogen. Geblieben sind vielfache soziale Probleme im Nordosten Kreuzbergs. Auf engstem Raum leben hier verschiedene Kulturen nebeneinander.

Ein wenig von dem alten Flair des Künstlerviertels will "Urban Dialogues" wiederherstellen. Als Stadtkunstverein, unterstützt von EU-Mitteln, möchten sie "mal wieder was Abgefahrenes in der Gegend veranstalten", so Wilgenbus. Nach schleppenden Beginn sei die Resonanz jetzt ganz gut: "Es kommen Leute, die Läden mieten wollen." Ein Erfolg für den Verein, der schon seit 1998 mehrere derartige Aktionen in Berlin veranstaltet hat.

Im Kiez sind die künstlerischen Eingriffe mittlerweile im Gespräch. Denn sie fallen auf. So rennt Jörn Wenig während seiner Performance jeden Abend um 9 Uhr durch den Laden in der Falckensteinstraße 10, turnt und verrenkt sich, greift kräftig in die Saiten seiner E-Gitarre. Grünes Licht und Urwaldgeräusche untermalen das Schauspiel. Während vor dem Schaufenster noch einige rätseln, haben ein paar Jugendliche weniger Geduld: Sie kommentieren die Performance in spöttelndem Ton. Auch der "Einstrich-Fahrradladen" von Christian Roosen gegenüber stößt noch vielfach auf Unverständnis. Die gezeichneten Fahrräder, als Projektionen in allen Variationen im Schaufenster zu sehen, sind den Jugendlichen schleierhaft. "Und was heißt das?", fragen sie. Christian Roosen lacht: "Sonnabend und Sonntag zeichne ich live, dann können es die Leute irgendwann nachmachen. Mal sehen, was rauskommt."

Henning Kraudzun

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