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Kunsthalle in Berlin: Langes Schlangestehen für die Mitmachausstellung

Noch bis heute Mittag sind die Bilder zu sehen, die für eine Mitmachausstellung Unter den Linden abgegeben wurden. Ein Rundgang zeigt: Es gibt kaum Stümperhaftes, wenig Kitsch – und viele der Künstler sind sogar Profis.

Ein Coup, zweifellos. Drinnen Gedränge, draußen eine Schlange, auch noch in der Nacht, so lang, als würde Picassos lange verschollenes Frühwerk gezeigt. Friedhelm Hütte, der Chef der Kunstabteilung der Deutschen Bank, hat einiges losgetreten, als er Berlins namenlose Künstler einlud, ihre besten Bilder Unter den Linden 24 Stunden lang auszustellen. „Macht Kunst“ heißt das Ganze, und die Künstler haben gemacht: 2146 Bilder wurden gebracht, 344 werden jetzt gezeigt, in einer Halle, die nun von oben bis unten zugehängt ist mit allen Stilen, die die Kunstgeschichte der letzten 200 Jahre hergibt.

Hütte findet das gut. Er lobt vor Kameras und Mikrofonen die „anarchische Vielfalt“ der Bilder und wundert sich darüber, welch große Formate in Berliner Ateliers und Wohnzimmern offenbar nur auf Befreiung warteten. Das war das Risiko: Hätten die Künstler nur Kleinformate angeschleppt, wäre ganz oben nichts mehr zu erkennen gewesen.

Doch da oben hängen reichlich große Sachen, Hüttes Hänge-Puzzle ist aufgegangen, auch wenn Arbeiter kurz nach der Eröffnung noch das eine oder andere austauschen. Und die meisten dieser Bilder sehen nach professioneller Arbeit aus. „Mich hat bei der Annahme überrascht, wie viele ausgebildete Künstler und Kunststudenten dabei waren“, sagt Hütte, „ich schätze 80 bis 90 Prozent.“ Deshalb gibt es kaum offensichtlich Stümperhaftes, wenig Kitsch, keine Sado-Maso-Grazien in Airbrush-Technik vom Autoblech, keine Ansichtskartenfotos, keine Zigeunerinnen, keine röhrenden Hirsche.

Überraschenderweise stellt auch kaum ein Künstler Betroffenheitskunst oder plakative Gesellschaftskritik zur Schau. Nur ein geringer Teil der Bilder ist vollabstrakt, es gibt Monochromes, Collagen, flache Objekte, viele Berlin-Motive in unterschiedlichen Verfremdungsstufen, dazu ein paar lakonische Spielereien wie einen vergrößerten Bon von Aldi, Olivenöl, 3,79 Euro, vielen Dank.

Statistisch bemerkenswert: Audrey Hepburn taucht gleich zwei Mal auf, was bei so vielen Bildern ohne jegliche Vorgabe nicht unbedingt zu erwarten war. Auch die gleich doppelte Präsenz eines traurigen Clowns mit Trompete überrascht: einmal stiert er graublau ins Leere, das andere Mal liegt er benebelt vor einer Wellblechhütte, wo ihm ein Radler zwei Flaschen Bier anbietet. Wenn auch die jeweils beabsichtigte Symbolik im Gedränge dunkel bleiben mag, so ist doch der Wille zur künstlerisch wertvollen Aussage den meisten Stücken deutlich anzumerken. Manches sieht so aus, als hänge es schon seit Jahren für diesen Moment bereit, anderes wirkt, als sei es erst nach dem Aufruf blitzartig auf die Paketpappe gehauen worden, eher platt als flach.

Manch Schmerzensmann wendet seine hohlen Augen christusähnlich zum Himmel, aber Schmerzen bleiben die Ausnahme, sind womöglich schon ausgestanden wie bei den Gerippen, die als Anklage gegen das Weltengetriebe einen monumentalen Grabstein umgeben.

Erotik taucht nur in Spurenelementen auf: eine Odaliske, altmeisterlich gemalt, wendet dem Betrachter ihren nackten Hintern zu, gleich daneben kämpfen zwei impressionistisch gepinselte Sumo-Ringer mit beträchtlich runderen Rundungen um Aufmerksamkeit. Ein Motiv fällt völlig aus der Reihe: Eine Frau dokumentiert empört das Hausverbot, das ihr vom Rektor der Universität der Künste erteilt wurde und bei dem es offenbar weniger um Kunst als ums Verhalten geht – es ist wohl das einzige Bild, in dem der Urheber persönlich wird.

Nicht allzu viele Fotos hängen dazwischen, fast alle der Fadheit des Ferien-Schnappschusses mehr oder weniger entrückt. Konzentrierte südländische Schachspieler, Berliner Dächer und Gewässer, viele auf verschiedene Arten bearbeitete Motive bis hin zum – mutmaßlichen – Selbstporträt.

Und wer ganz genau hinsieht, der findet auf Kopfhöhe im hinteren Raum auch das Bild Nummer 1. Es ist ein kleinformatiges Foto, auf dem der Künstler Oliver Behrmann zu sehen ist. Er sitzt an einem Bauzaun vor der Kunsthalle, neben sich ein Schild: „Bin am Warten, um als erster mein Kunstwerk abzugeben.“ Der Betrachter sieht: Das hat jedenfalls funktioniert. Ob er am Ende auch der erste in der Gunst der Besucher sein wird, die ihr Lieblingsbild auswählen durften? Es stellt sich am heutigen Dienstag heraus.

Noch bis zum heutigen Dienstag um 12 Uhr, Unter den Linden / Ecke Charlottenstraße. Der Eintritt ist frei. Die übrigen eingereichten Bilder werden ab 28. April, 12 Uhr, in der Alten Münze, Molkenmarkt 2 in Mitte, gezeigt – wieder für 24 Stunden.

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