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Berlin: Kuppel schlägt Adler

Der neue Bundestagsshop kommt ohne die fette Henne aus

Früher, ach, früher. Da konnte man im Bundestagsshop Unter den Linden noch richtig edle, fast staatsmännische Dinge erwerben: silbern glänzende Schreibtischuhren, schwarze Leder-Kollegmappen oder schicke Füllfederhalter. Überall war der Bundesadler drauf. Sogar beim Schlips. Wer den trug, der hatte quasi das Parlament am Hals, und ein Basecap mit dem Bundesadler auf dem Kopf – machte das nicht schon einen halben Abgeordneten, nach dem sich die Leute umdrehten unter der ewigen Sonne der Kanaren?

Vor einigen Monaten war der Shop im Haus der Bundestagsbüros Unter den Linden / Ecke Wilhelmstraße plötzlich von seinem Besitzer Bouvier geschlossen worden, es gähnte die Leere, weil auch die fetten Plüsch- Hennen mit unbekanntem Ziel verflogen waren. Aber gestern kam der zweite Anlauf zum neuen Aufschwung: Bundestagsdirektor Wolfgang Zeh höchstpersönlich eröffnete den Laden als „eine Mischung aus Souvenirboutique und Infopoint“, und siehe: Die Henne ist weg. Anstelle des Bundesadlers erblicken wir ein „neues, frischeres, weicheres Logo“, erfunden von Michael Stiebitz, einem der beiden Geschäftsführer der neu gegründeten Bundestag-Shop Service- und Betriebs GmbH. Was uns da auf T-Shirts und Taschen, Anstecknadeln, Zettelklötzen, Kugelschreibern, Notizblöcken, Whiskybechern, Party-Seideln und auch auf einem schwarz-rot-goldenen Regenschirm entgegenleuchtet, soll die Reichstagskuppel sein. Sie ähnelt in ihrer leichten Verfremdung einem Lampenschirm oder einem ausgefransten Basecap, solche Kopfbedeckungen hatte vielleicht ganz, ganz früher und ganz weit im Osten Timur und sein Trupp. Neben dieser Kuppel „in zeitgemäß reduzierter Form“ (Pressetext) behauptet sich als weiteres Logo das aus sechs Quadraten bestehende Berlin-Signet, das ebenfalls von den Shop-Leuten erfunden wurde. Sechs Bausteine sollen den Aufbau symbolisieren. Touristen, die sich das Brandenburger Tor aufs Regal stellen wollen, können dies je nach Größe für acht, 13 und 195 Euro mitnehmen. Oder einen Sekt mit der Kuppel auf dem Etikett, Weißer Burgunder Brut aus der Pfalz zu 12,50 Euro, dargeboten von der letzten Pfälzer Weinkönigin Anke Schmitt. Sie verschlug die Liebe nach Berlin. Im Bundestagsshop verkauft Anke Schmitt nicht nur Souvenirs, sondern sie verteilt – montags bis samstags von neun bis 20 Uhr – auch Informationsmaterial über die Arbeit des Parlaments. Darunter auch die attraktiv gemachte Illustrierte „Treffpunkt Bundestag“ und einen 328-Seiten-Wälzer über Geschichte, Funktion, Architektur und Kunst im Reichstagsgebäude. Das alles kostet ebenso wenig wie ein Besuch auf der Kuppel – ist unser Parlament hier nicht ein wenig zu großzügig? Sechs Millionen Leute haben in den letzten drei Jahren den Reichstag besucht und besichtigt – wie viel soziale Projekte könnten gefördert werden, würde jeder Besucher nur einen einzigen Euro Eintritt spendieren . . .

Und da sind wir wieder beim Geld und bei der Henne. Der Bundesadler ist aus dem Sortiment geflogen, weil seine Nutzung zu kommerziellen Zwecken Geld kostet. Die Stuttgarter Erben des Schöpfers des Bundesadlers, des Bildhauers Gies, kassieren, wenn jemand mit dem Adler Geschäfte macht; bei offiziellen Anlässen und auf Briefbögen ist unsere fette National-Henne kostenlos zu haben. Der Bundestagsdirektor gibt ohnehin der Kuppel den Vorzug und rückt sie symbolisch vor das Wappentier: „Für den Bundestag ist der Assoziationsfaktor der Kuppel stärker als der Adler.“ Lothar Heinke

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