zum Hauptinhalt
071030kurden

© ddp

Kurden und Türken: ''Wir leben hier Tür an Tür''

In Kreuzberg herrschen Erschrecken und Ratlosigkeit nach den Angriffen von Türken auf Kurden. Hass und Verbundenheit liegen nah beieinander.

Kurdistan Schroeder hat von ihren Eltern aus dem Nordirak einen Vornamen bekommen, der kurdischer nicht sein könnte. Und von ihrem Ehemann den Nachnamen, der deutscher nicht sein könnte. Die zierliche 29-Jährige ist Sozialarbeiterin in Neukölln. Hier wird sie mit ihren schwarzen Locken oft für eine kurdische Türkin gehalten. Dabei kann sie gar kein Türkisch, sondern nur, wie es der Name verspricht, Kurdisch und Deutsch.

Den Vornamen, der im Nordirak durchaus gängig ist, empfinden viele Türken aus ihrem Umfeld in Berlin als Provokation. Kurdistan Schroeder bekam das bereits als Schülerin an einem Kreuzberger Gymnasium zu spüren: In der Umkleidekabine stand eines Tages „Kurdistan, wir bringen dich um“. Aber auch Erwachsene reagieren unangenehm. Erst kürzlich fragte eine türkische Vereinsleiterin aus Neukölln, ob sie nicht noch einen zweiten Vornamen hätte. „Ich spreche deinen Namen so ungern aus.“

Zwar bezeichnet sich Kurdistan Schroeder selbst als „unpolitisch und nicht patriotisch“, doch im Wort „Kurdistan“ steckt aus türkischer Sicht schon eine politische Forderung. Die Forderung nach einem eigenen Land für das kurdische Volk, dessen Siedlungsgebiet sich auf vier Staaten erstreckt. Die Forderung nach Autonomie – ein Tabuthema in der Türkei. Kurdistan Schroeder weiß das nur zu gut.

Doch trotz der heftigen Reaktionen auf ihren Namen, würde die Sozialarbeiterin nicht sagen, dass Kurden und Türken in Deutschland Probleme miteinander haben. „Die meisten Einwanderer sind unpolitisch, sie wollen in Frieden leben.“ Dass sich Türken und Kurden per se hassen, sei eine Unterstellung von Außenstehenden. Die meisten fühlen sich einander sogar sehr verbunden, so Schroeder „Sie feiern die gleichen Feste, essen das gleiche Gericht und sehen gleich aus.“ Die Kurdin schmunzelt: „Meine Eltern hätten es durchaus vorgezogen, dass ich einen Türken heirate statt eines Deutschen.“

Hinzu kommt: Viele Türken brächten Verständnis für die Probleme der Kurden auf. „Nicht alle sind aus ökonomischen Gründen hergekommen“, so Schroeder, „viele haben die Türkei aus politischen Gründen verlassen“. Und die seien oftmals auf der Seite der kurdischen Minderheit. Das bestätigen auch die Mitglieder im namenlosen „kurdischen Moscheeverein“, der am Sonntag von den nationalistischen Türken mit Steinen und Flaschen beworfen wurde. Bisher lebten Kurden und Türken friedlich in Kreuzberg, sagen sie einstimmig. Das sei der erste Anschlag gewesen, den sie auf ihren Treffpunkt auf dem Kottbusser Damm erlebt haben. Etwa vierzig Männer sitzen deshalb verstört an ein paar Tischen, trinken Tee und bereden, was erst vor wenigen Stunden passiert ist. Im Hintergrund läuft kurdisches Fernsehen.

„Beim nächsten Mal müssen wir uns vielleicht verteidigen“, sagt Kasim Baba. Der Mann im Anzug scheint eine Respektperson zu sein, denn die Männer an seinem Tisch schweigen, wenn er spricht. Baba ist Mitglied im „Kurdistan Komitee Berlin Brandenburg“. Die Krawalle vom Wochenende halten hier alle für eine Reaktion der türkischen Nationalisten auf ihre eigene Demonstration. Und die Männer am Vereinstisch beschuldigen die türkischen Medien, die Leute aufzuhetzen. Über Satellitenschüsseln und türkische Zeitungen würden sie die Familien mit Horrorgeschichten von Opfern terroristischer Kurden versorgen. Tag für Tag. Fest steht für alle: „Vor dem Konflikt in der Türkei gab es keine Spannungen mit den Türken“, sagt Baba noch einmal.

Am Kottbusser Tor nimmt wieder alles seinen normalen Gang. Vereinzelt reden die Leute über das, was vorgefallen ist. „Ich habe gehört, dass zwei Jugendliche Schusswaffen bei sich hatten“, sagt Kadir Aktürk in seiner Dönerbude. Trotzdem hält er die aggressiven Jugendlichen für harmlos: „Das sind alles Spinner, gelangweilte Jugendliche, die das als Spiel betrachten.“ Er weiß, dass ihr Auftritt dem Zusammenleben von Kurden und Türken schadet. „Wir leben hier Tür an Tür, Laden an Laden“, sagt der Imbiss-Besitzer. Er könne ein wenig kurdisch, weil viele seiner Kunden Kurden seien.

Am Schauplatz vom Vortag lungert Aydin mit einem Freund herum, ein 22-jähriger Türke im grauen Kapuzenpulli. Aydin will zugesehen haben, wie türkische Jugendliche am Sonntag vor dem kurdischen Kulturzentrum randalierten. „Das waren einfach nur fanatische Kids“, sagt auch Aydin. Er selber habe kein Problem mit Kurden, „nur mit der PKK“ – die Unterscheidung ist im wichtig. Also war das ein PKK-Verein, der mit Steinen und Flaschen beworfen wurde? „Nein, ein Kurden-Verein. Aber ein paar von denen werden schon von der PKK sein.“

Ferda Ataman

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false