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Berlin: Kurz vor Kriegsende ermordete die SS an der Friedrichstraße zwei junge Soldaten

Bahnhof Friedrichstraße, Durchgang unter den Stahlträgern der Brücke. Oben donnern die Züge, unten fährt die U-Bahn.

Bahnhof Friedrichstraße, Durchgang unter den Stahlträgern der Brücke. Oben donnern die Züge, unten fährt die U-Bahn. Neben uns rollt die Straßenbahn. Menschen hetzen und hasten durch dieses Wirrwarr im Zentrum einer der verkehrsreichsten Stellen der Stadt. Und plötzlich wird eine Geschichte erzählt. Die Vergangenheit erhebt sich aus dem Dunkel, Fantasie lebt auf: "Kurz vor Beendigung des verbrecherischen Hitlerkrieges wurden hier zwei junge deutsche Soldaten von entmenschten SS-Banditen erhängt".

So stand es all die Jahre und Jahrzehnte auf einer Tafel an der Wand zwischen den Schaufenstern der Bahnhofsbuchhandlung unter der S-Bahn-Brücke an der Friedrichstraße, manchmal lagen Blumen davor oder sogar ein Kranz. Die Tafel gehörte zum Leben dieser Gegend wie der Tränenpavillon um die Ecke, wie der Tag und Nacht (von Menschen, nicht von Autos) überfüllte Taxi-Stand und, eben, wie der Buchladen, der einen großen Teil seines Umsatzes dem Wunsch der Besucher aus dem Westen verdankte, die Reste der als "Eintrittsgeld" erworbenen Ostmark-Beträge wieder los zu werden.

Die Tafel erzählte davon, dass am 24. April 1945 zwei deutsche Soldaten am Fenstergitter eben jener Bahnhofsbuchhandlung erhängt wurden, weil sie sich weigerten, den Krieg fortzuführen. Das Ende der beiden, die von SS-Leuten wenige Tage, bevor in Berlin die Waffen schwiegen, als Deserteure behandelt wurden, muss viele Menschen aufgewühlt und erregt haben: Gleich nach dem Krieg wurde eine provisorische Gedenktafel an die Eingangswand zur Buchhandlung genagelt. Im September 1952 schließlich erreichte die damalige Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), dass eine dauerhafte, stabile Tafel angebracht wurde.

Anfang 1990, als zahlreiche Gedenktafeln von Bilderstürmern der Wende entwendet wurden, verschwand auch dieser, im Geist der Zeit entstandene Text. Seither bemühte sich das Aktive Museum Faschismus und Widerstand um die kahle Stelle und brachte drei Ersatzgedenktafeln aus Plexiglas an. Auch diese Tafeln wurden entwendet, "es handelt sich hier offensichtlich um eine politisch motivierte Tat", sagt das Aktive Museum. Gemeinsam mit der rührigen Gedenktafelkommission des Bezirkes Mitte hoffte man auf eine dauerhafte Lösung nach dem Umbau des S-Bahnhofs.

Nun zeigt sich: Die Deutsche Bahn hat ihr Versprechen gehalten. Die neue Tafel, fest gefügt im Verbund mit dem dunkelroten Klinker-Mauerwerk des hellen und modernen Bahnhofs, ist aus Bronze und trägt unter der alten Inschrift neben der Jahreszahl "1952" den Zusatz "Erneuert 1999". Die Vergangenheit ist wieder da - nicht ganz: Anstelle der Buchhandlung gibt es ein Geschäft für edle Textilien unter der Bahnbrücke.

Lo.

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