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Die neu entdeckte Stadt. Wohin zuerst bei der Tour de Kultur? Zum 775-jährigen Stadtjubiläum konnten Besucher sich Berlin erst einmal auf einem begehbaren Stadtplan ansehen – eine viel beachtete Kunstaktion, als am Schlossplatz noch Rasen lag.

© Imago

Kurzzeittourismus mit Easyjet: Europa funktioniert jetzt wie Berlin

Vor zehn Jahren landete die erste Easyjet-Maschine in Berlin. Was keiner ahnte: Die Ära des Massen-Kurzzeittourismus begann. Billigflüge wurden zu den Ausflügen der Neuzeit, sie veränderten Berlin - zu seinem Vorteil?

Flugschauen waren einmal das Massenvergnügen. Auf dem Tempelhofer Feld experimentierte 1909 der Amerikaner Orville Wright mit seinen fliegenden Kisten, schließlich schaffte er mit einer Flugzeit von einer Stunde und 160 Metern Höhe einen neuen Weltrekord. In Frankreich und Italien strömten Hunderttausende zu den Darbietungen der Fliegerpioniere, die sich harte nationale Wettkämpfe lieferten. Reims und Brescia, wo Franz Kafka die „Aeroplane“ beschrieb, waren die magischen Orte der Luftkünstler. Heute sitzen die Massen im Airbus, vor allem im letzten Jahrzehnt hat sich die Vorstellung der Flugschau radikal verändert: nach Barcelona oder Istanbul zur Party fliegen und schauen, was abgeht, oder nach Paris ins Museum. Auch der stets unruhige, auf gepacktem Rollkoffer sitzende Kulturbürger gehört zur „Generation Easyjet“.

Niedrigschwelliger Kulturtourismus

Ein neuer, niedrigschwelliger Kulturtourismus hat sich entwickelt. Wir alle spielen in einer kulturellen Champions League, und niemand scheidet aus. Im Sommer zur Biennale nach Venedig, nächstes Wochenende zur großen El-Greco-Jubiläumsausstellung nach Madrid und Toledo, nach London in die Tate, auch Manchester, Liverpool und Lyon liegen um die Ecke. Und Berlin natürlich: Zu Ostern sollen zwei Millionen Gäste in der Stadt gewesen sein. Spanische Schulklassen, französische Reisegruppen gehören im Pergamonmuseum zum Alltag. Ob das Kurzreisen nun wirklich nachhaltig bildet oder bloß die Hostels, Hotels und Kneipen füllt und süchtig macht, mag offen bleiben. Nie zuvor gab es einen solch exzessiven Austausch und Privatverkehr im europäischen Rahmen. Europa mit dem Euro und den Low-Cost-Airlines ist eine Erfolgsgeschichte, die das Problem hat, allzu selbstverständlich vorausgesetzt zu werden.

In den großen Museen und Sammlungen begegnet man Werken, die das gemeinsame kulturelle Erbe repräsentieren, die Kunstrichtungen und Malerschulen aus Nord- und Süditalien, Flandern, Frankreich, den deutschsprachigen Landen. Die Bilder haben eine lange Geschichte und komplizierte Reisewege durch die Jahrhunderte. Sie sind dem Besucher auf vielfältige Art und Weise vorausgegangen, durch Verkauf, legalen oder illegalen Erwerb, als Diebesgut oder Kriegsbeute. Wenn die National Gallery London jetzt in einer prächtigen Schau 50 Werke des venezianischen Renaissancemalers Veronese zeigt, dann kommen die Bilder aus 19 europäischen und sechs amerikanischen Städten. Die Touristen folgen diesen Routen, vollziehen unbewusst die Historie nach.

Städtehopping an einem Tag

Reisen, rechnen. Ein Wochenende in Thessaloniki – der Flug nach Nordgriechenland dauert zwei Stunden – lässt sich preiswerter kalkulieren als ein paar Tage an der Ostsee. Man zahlt nur für den engen Sitz im Flugzeug, mehr Beinfreiheit und ein aufgegebener Koffer sind dann manchmal schon so teuer wie das Ticket selbst. Herrlich ein Drink auf der Dachterrasse des Elektra Palace an der Platia Aristotelous, einem der schönsten Plätze Europas, der sich von der Altstadt zur Meerespromenade hin absenkt!

Oder morgens mal nach Mailand-Malpensa, dann mit dem Mietwagen schnell über die Schweizer Grenze bei Chiasso ins Outletcenter Foxtown und am Abend zurück nach Berlin mit vollen Taschen. Das ist kein Managertag, sondern ein Betriebsausflug von Sekretärinnen.

In Schönefeld, zumal in der Easyjet-Baracke, herrscht im Grunde gar keine Flughafenatmosphäre. Es geht zu wie im Busterminal oder auf einer Autobahnraststätte. Die Menschen machen nicht den Eindruck, als brächen sie zu einer Fernreise auf, eher zu einem Ausflug. Nur die Maschinen nach Tel Aviv (auch dahin geht es jetzt billig) und Moskau werden mit größerem Sicherheitsaufwand und Bürokratie abgefertigt. Kürzlich erschrak eine Frau heftig bei der Bordkartenkontrolle, weil sie ihren Ausweis vorzeigen sollte. Die Passagierin hatte nur ihren Führerschein dabei, sie war auf dem Weg nach Italien: „Da braucht man keinen Perso, oder?“ Ihre Haltung ist bei all dem easy business verständlich. Ist doch Schengen! Wozu Kontrolle?

Hauptsache billig und schnell zu erreichen

Die demokratisierte und popularisierte Flugindustrie führt zu simplem Anspruchsdenken. Es muss billig sein, leicht und schnell zu erreichen. Nizza zum Beispiel ist kein Problem, aber Marseille fällt dann schon heraus, die Zugfahrt von Nizza dauert so lange wie der Flug von Berlin. Ein bekannter Berliner Schauspieler wohnt jetzt in Südfrankreich und pendelt, wenn er hier Vorstellungen hat. Nach Palermo sind die Verbindungen zuweilen schlecht (dann fliegt man nach Catania und nimmt einen Mietwagen).

Europa funktioniert auf diese Weise wie eine Großstadt, wie Berlin. Es ist mit einem dichten Netz von Flugverbindungen überzogen, aber wer nach Tirana will oder zum Teufelsberg, muss umsteigen, Zeit mitbringen oder laufen.

Aber manches hat sich nicht geändert, seit Alfred Kerr sich seine Gedanken über die Insel Usedom und die Berliner machte. Er schrieb im Sommer 1897, die Bahnverbindung war viel schneller und besser als heute, man startete am Stettiner Bahnhof: „Doch wehe – in Heringsdorf trifft er dieselben Gestalten, die er hier fliehen wollte. Und man verlässt den grotesken Ort mit Beschleunigung. Und dann erholt man sich in Berlin von den Strapazen der Sommerfrische.“

Man erholt sich in Berlin inmitten all derer, die mit dem Flieger aus Mailand, Madrid, Moskau und Peking gekommen sind. Dort aber wird ein Visum verlangt, und man lässt die Easy-Zeitzone weit hinter sich. Dort beginnt das Ausland.

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