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Berlin: Kyrillische Küche

Russland und Kasachstan präsentieren ihre Kulinaria und neue Bundesländer werben mit Ost-Produkten

Schaufenster des Westens? Das war einmal. Ostdeutsche Regionalmesse? Schon eher. In Wirklichkeit ist die Grüne Woche aber nahe daran, eine Art Osteuropa- und Vorderasien-Ausstellung mit ein paar regionalen Akzenten zu werden. Kasachstan präsentiert sich inzwischen auf einer Fläche, die ungefähr dem Stand der Schweiz entspricht, und die Schweiz ist damit, anders als die anderen Nachbarn Deutschlands, außergewöhnlich großzügig. Dennoch ist es schwer, in der königsblau grundierten Präsentation konkrete kasachische Produkte auszumachen; das Ganze signalisiert dem tütenbewehrten Passanten vor allem: Hier werden große Geschäfte gemacht und keine Häppchen verteilt.

Russland dagegen bietet alles und noch viel mehr. Die Halle verdient den Begriff: bombastisch. Mehrere Kapellen musizieren gleichzeitig, unglaublich viele Männer in dunklen Anzügen wuseln herum – dies ist das heimliche Herz der Messe. Regionen stellen sich vor, von denen in Deutschland noch niemand gehört hat, Dosen, Tüten und Flaschen werden zu adretten Pyramiden aufgerichtet. Wer allerdings Näheres über den Inhalt erfahren will, sollte zumindest kyrillische Buchstaben beherrschen.

Wer hier fremdelt, ist in der falschen Halle. Die deutschen Bundesländer dagegen bieten Vertrautes ohne Ende. Die letzten Polizeiorchester, eine bedrohte Spezies, finden hier stets ein geschütztes Ökotop, und sogar der Rock’n’Roll der späten 50er Jahre ist inzwischen zur Volkskunst geworden: Dort, wo sich Schleswig-Holstein ausbreitet, kreischt ein Gitarrensolo. Es handelt sich um die gereiften Musiker der Band „Die Melker“, hören wir, und ein besonders prägnanter Refrain aus ihrem Programm geht so: „Und geht’s mal schlapp, das Geld wird knapp: Die Gülle stirbt nie.“ Schließlich singt die Band noch vom segensreichen Wirken des Runkelkopfroders, der den Runkelrübenbauern offenbar eine ganz neue Lebensqualität geschenkt hat - und wir stehen wieder ganz auf der heimischen Scholle.

Ob es gleich notwendig ist, „Schrotbrot wie einst in der DDR“ anzupreisen, sei dahingestellt, aber immerhin ist Nostalgie ein wichtiger Grund, diese Messe zu besuchen. Ein anderer könnte Neugier sein, beispielsweise auf die faszinierenden Bestien, die von der deutschen Fischwirtschaft ausgestellt werden, den kreischroten Erdbeergrouper, den mürrisch blickenden Steinbeißer oder die dicken Rosenberg-Garnelen. Ob es die denn auch zu essen gebe? „Nö“, heißt es, „die sind nur zum Ansehen da. Aber unsere Köche machen heute Seelachs, den Trendfisch des Jahres“. Seelachs, aha. Ob die anderen Nicht-Trendfische liegen bleiben, bis sie stinken?

Im Trend liegt auch der Kleingarten. Die spießige Laubenpieperei scheint Vergangenheit, ein Forum widmet sich dem Thema „Junge Familie im modernen Kleingarten“, die Holzhütte firmiert als „Gartenlounge“, und unter den Beeten scheint schon das Feuer der Revolution zu glimmen: „Eine andere Welt ist pflanzbar!“ droht ein Dokumentarfilm, unverblümt, falls dieses Wort hier angebracht ist.

Wer sich über solche Perspektiven erregt, kann sich am Stand der deutschen Rentenversicherung den Blutdruck messen lassen. Anschließend vielleicht noch ein Happen vom feinen brandenburgischen Wellness-Fleischkäse?

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