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Berlin: Labinjo A. Shonubi (Geb. 1921)

„Wenn man in Rom ist, ist man wie die Römer.“

In einer Berliner Kirche geht ein fremder afrikanischer Mann auf Labinjo zu und küsst ihn auf den Kopf. Ein Zeichen der Ehrerbietung. Labinjo, nach drei Schlaganfällen im Rollstuhl, besitzt noch immer die erhabene Ausstrahlung eines Würdenträgers.

Er war eins von zwölf Kindern des Chief Aro, des dritten in der Rangfolge der traditionellen Herrscher der Kleinstadt Ikorodu im Südwesten von Nigeria. Der Chief bestimmte die Geschicke der Stadt mit und verdiente sein Geld mit dem Verkauf von Wasser. Labinjos Mutter war eine seiner zwölf Frauen.

Nach Abschluss des King’s College in der Hauptstadt Lagos reiste Labinjo zum Studium in die USA. Sein Vater, Freunde und Verwandte hatten ihm Geld gegeben. Sie glaubten fest daran, dass er nach ein paar Jahren reich zurückkehren würde. Doch vor der Karriere stand Labinjos Wunsch, fremde Welten zu durchdringen. „Wenn man in Rom ist, ist man wie die Römer“, sagte er und passte sich geschmeidig an. Erst in den USA, später in England, Österreich und Deutschland.

Seinen Umzug nach Wien hatte Labinjo einem Tipp auf dem Münchner Oktoberfest zu verdanken: „Die feschesten Madl gibt’s in Wien!“ In Wien erhielt er eine Einladung von den Eltern einer afrikabegeisterten Tochter zum Weihnachtsfest. Sie waren dem Aufruf gefolgt, nigerianische Gaststudenten einzuladen, eine gute Tat mit weitreichenden Folgen: Marieliese und der zwanzig Jahre ältere Medizinstudent Labinjo verliebten sich, heirateten und bekamen fünf Kinder. Marielieses Eltern brachen den Kontakt ab, für sie war das eine „unnatürliche Verbindung“.

Zehn Jahre lang lebten Labinjo und seine Frau nun ein Wiener Leben mit Kaffeehausbesuchen und Bällen. Labinjo debattierte hitzig über Politik und flirtete auf dem Tanzparkett. Nie zuvor war ein Afrikaner beim Wiener Opernball gesehen worden, der so wunderbar Walzer tanzen konnte!

Nach zwanzig Jahren im Ausland, kurz nach Vollendung seines Studiums, kehrte Labinjo 1969 nach Nigeria zurück. Beim Willkommensfest streute er großzügig und zum Entsetzen seiner Frau das bisschen Geld in die Menge, das die beiden besaßen. So gehörte es sich, so dankte er denjenigen, die sein Studium finanziert hatten. Vormittags arbeitete Labinjo nun als Arzt in einer Frauenklinik, nachmittags und abends versorgte er Menschen in seiner eigenen Praxis, vor allem jene, die bestenfalls mit Ziegen oder Yamswurzeln bezahlen konnten.

Außerdem kümmerte sich Labinjo um Ehestreitigkeiten und Geldnöte seiner elf Geschwister. Nach dem Tod des Vaters war das seine Aufgabe als ältester Sohn. Immerhin hatte er sich von der Nachfolge des Chief Aro freikaufen können, die noch mehr Arbeit bedeutet hätte. Den Habitus eines Chiefs jedoch behielt er bei. „No means no“, war seine laute Reaktion auf leisen Widerspruch. Auch rechtfertigte er sich nie für seine kleinen und großen Ausflüge: „Ich gehe, wohin meine Füße mich tragen“. Dass sie ihn, zum Beispiel, zu seiner zweiten Ehefrau Kate und einem weiteren Sohn trugen, erfuhr Marieliese erst, als dieser sieben Jahre alt war.

Mehrere Einbrüche in ihr Haus in Lagos und ein zweiter Schlaganfall Labinjos bewogen das Paar 1996, nach Berlin in die Nähe der ältesten Tochter zu ziehen. Zu deren Erstaunen kannte sich Labinjo im Ostteil der Stadt viel besser aus als sie selbst. Zur DDR-Zeit war er als Arzt mit der nigerianischen Damen-Handballmannschaft hier gewesen. Gebrechlich, aber würdevoll, versuchte sich Labinjo beim Berliner Ball der Auslandsösterreicher noch einige Male am Walzer. Und auch sonst gebot er seinen schwerfälligen Füßen, ihn dorthin zu tragen, wohin es ihm beliebte: zu seinen Freunden in die Schlaganfall-Selbsthilfegruppe, auf Reisen zu seinen Kindern, die auf drei Kontinenten leben. Und weil die Religion immer wichtiger für ihn wurde, regelmäßig in die Gospel Believers Church am Südstern. Candida Splett

Candida Splett

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