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Die bunte Seite der Nacht. Die Mitglieder der Künstlergruppe Karmanoia vor den Resten ihres begehbaren Wunderlandes.

© Kitty Kleist-Heinric

Labyrinth des Lebens: Das "Peristal" soll wieder eröffnet werden

Das „Peristal“ führte tausende Besucher in eine verrückte Traumwelt – und manchmal auch zu sich selbst. Vergangenes Jahr wurde der psychedelische Abenteuerspielplatz geschlossen. Nun soll er mit einer Crowdfunding-Kampagne neu entstehen.

Die meisten lachten, manche weinten, andere kamen verändert aus den verschlungenen Gängen des „Peristal“ hervor. Andrija Belosevic erinnert sich an einen prolligen Kerl, der schon so breitbeinig im Warteraum gesessen hatte. Als Belosevic kam, um ihn mit verbundenen Augen am Arm in das Labyrinth zu geleiten, wehrte der sich mit den Worten „Bist du schwul oder was?“. Als der Gast schließlich zurückkehrte – von welchen verzweigten Pfaden, wird sein Geheimnis bleiben –, lief er schnurstracks auf Belosevic zu, nahm seinen Kopf in beide Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Isch glaube, isch muss mein ganzes Leben überdenken“, sagte er und ging.

Rund 44.000 Besucher haben die Mitglieder der Künstlerplattform Karmanoia gezählt, die sie durch ihr magisches Labyrinth geschleust haben: verzweigte Gänge mit kleinen Räumen, fantasievoll dekoriert und voller Entdeckungen. Vier Jahre lang begaben sich im Friedrichshainer Club „Zur wilden Renate“ junge und alte Menschen auf die Reise, Eltern mit Kindern, Berlin-Besucher aus aller Welt. Die knapp 80-jährige Oma von Karmanoia-Mitbegründer Tim Schneider war zweimal da und zwängte sich durch die schmalen Gewölbe auf zwei Etagen. Um einen „Verlust von Ort und Zeit“ sei es in den Untiefen gegangen, sagt Schneider. Doch vergangenes Jahr schloss der psychedelische Abenteuerspielplatz. Der Mietvertrag sollte geändert werden – für die Leute von Karmanoia nicht mehr tragbar.

Das Labyrinth soll 2016 wieder fertig sein.
Das Labyrinth soll 2016 wieder fertig sein.

© Kitty Kleist-Heinrich

Jetzt haben sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, für ein neues Peristal. Bis zum 21. März sollen 25.000 Euro zusammenkommen, damit die Gruppe aus Künstlern und Handwerkern sich Arbeitsräume finanzieren und die Planung für das Labyrinth starten kann. Mit öffentlichen Aktionen wollen sie auf die Kampagne aufmerksam machen. Im April 2016 soll das Labyrinth dann fertig sein – keine Wiederauflage, sondern gänzlich neu erdacht.

Peristal Nummer drei

Und diesmal soll es bleiben. Es wird bereits Peristal Nummer drei sein. Das erste war im ehemaligen Karmanoia- Hauptquartier in Neukölln, das auch Theater, Bar, Club und Restaurant beherbergte. Auch hier waren über vier Jahre hinweg zehntausende Besucher in das Labyrinth gekommen, das damals vor allem aus Papier und Stoffen bestand.

Für Peristal Nummer zwei arbeiteten die Erbauer monatelang: Sie mauerten, schweißten, sägten, malten, planten Dramaturgie, Licht, Ton. In das entstandene Wunderland stürzten sich manche Besucher unerschrocken hinein, anderen schlotterten schon vorher die Knie, erzählt Karmanoia-Mitglied Heikita Streitmatter. Kamen die einen schon nach drei Minuten zurück, waren andere erst nach drei Stunden wieder draußen – allesamt begeistert. „Aber wenn dann deine Freunde drei Stunden drin bleiben, fragen sich die anderen schon, was sie verpasst haben“, sagt Streitmatter. Besonders Jugendliche seien oft durchgerast und hätten danach von ihren Freunden zu hören bekommen: „Wie sonst auch. Du guckst nie nach links und rechts, dabei gibt es so vieles zu entdecken!“ Der individuelle Weg durchs Labyrinth als eine Parabel auf das Leben.

Reste des Vorgängers

Jetzt lagern die Deko-Überreste in einem Keller auf dem Clubgelände. Er wirkt wie ein Berg Schutt, der Peristal- Friedhof, grau und verstaubt. Sieht man genauer hin, ragt hier der Hals eines Kontrabasses hervor, dort der Kopf einer Schaufensterpuppe neben einem Kunststoffbein. Bemalte Tierschädel, Türen in verschiedensten Formen und Größen beschwören die einst hier erbaute Welt.

Es ist bereits das dritte "Peristal".
Es ist bereits das dritte "Peristal".

© Kitty Kleist-Heinrich

Von hier gehen die schmalen Gänge des unteren Teils von Peristal Nummer zwei ab. „Der war böse“, sagt Schneider. Er wandelt mit Belosevic und Streitmatter durch ihren einstigen Wirkungsraum – es lässt sich nur noch erahnen, wie es hier einmal aussah. Mal geht es durch ein Loch in der Wand, mal ist der Untergrund seltsam weich: ein Meer aus verrottenden Kuscheltieren. Das Bein eines Teddybären ragt in die Luft, daneben blickt einen der Kopf eines Stofflöwen an. Plötzlich zur Rechten ein Gitterfenster, das den Blick in ein Relikt des Labyrinths freigibt, auf den Rücken eines erschreckend echt anmutenden Mannes, in einer Art Zelle neben einer Holzpritsche sitzend. Er betrachtet ein Landschaftsbild.

Mit der dunklen Seite spielen

Sie hätten mit der dunklen Seite des Menschen gespielt, sagt Schneider. Existenzangst. Angst, die Kontrolle zu verlieren. Niemand musste durch diesen düsteren Teil des Labyrinths – es gab genug anderes zu entdecken, auf insgesamt 180 Quadratmetern. Doch wer es wagte, den erwartete „ein fast therapeutisches Ereignis“, wie Schneider es nennt.

Peristal Nummer drei wird sich mit einem neuen Thema beschäftigen. Schneider deutet nur an: „Es soll dieses Mal darum gehen, den Menschen in seinem Potenzial zu unterstützen. Um Revitalisierung.“ Ansonsten bleiben die Pläne natürlich geheim. Nur so viel: Das zweite Peristal war dreimal so groß wie das erste – für das dritte schwebt den Karmanoia-Künstlern ein ähnlicher Zuwachs vor.

www.startnext.com/peristal

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