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Berlin: Lach- und Sachgeschichten

An der fünften Grundschule Mitte richtet sich der gesamte Unterricht an einem Fach aus: am Sachkundeunterricht

Schulen machen sich fit für die Zukunft - und der Tagesspiegel ist dabei. Nach dem schlechten Abschneiden Berlins bei der Pisa-Studie besuchen wir Schulen, die Eigeninitiative groß schreiben. In dieser Folge unserer Serie sind wir in der fünften Grundschule in Mitte, der staatlichen Deutsch-Portugiesischen Europa-Schule.

Die Schule: Es ist halb drei nachmittags, in der Grundschule neben der Charité ist auch um diese Uhrzeit immer noch viel los. Kinder tanzen in der Turnhalle. In der Aula proben andere ein Stück auf der Bühne. In den Klassenzimmern wird gemalt, Klavier gespielt, Yoga geübt. An dieser Schule bleiben Kinder gerne auch am Nachmittag. Seit 1997 beherbergt der Backsteinbau in der Hannoverschen Straße die Deutsch-Portugiesische Europa-Schule. Hier treffen Kontinente aufeinander: Die portugiesische Sprache bringt Kinder europäischer, südamerikanischer und afrikanischer Eltern zusammen. Von den insgesamt 300 Kindern sprechen 120 Portugiesisch als Muttersprache. Sie lernen Deutsch, die anderen Kinder Portugiesisch. Lehrer aus beiden Ländern unterrichten die jeweilige Partnersprache. Betreut werden die Kinder bis 16 Uhr von 12 Erzieherinnen. „Schwierigkeiten zwischen den Kulturen gibt es kaum, eher zwischen Mädchen und Jungen“, sagt Rektorin Helga Grafenhorst. Sie setzt sich dafür ein, dass Kinder neben intellektuellen auch soziale Fähigkeiten entwickeln. Jeden Montag können Schüler mit ihrem Klassenlehrer über Konflikte sprechen.

Damit die Lehrer auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen können, findet vor dem Unterricht eine halbe Schulstunde Förderunterricht statt. In den 20 Minuten werden sowohl Lerndefizite ausgeglichen als auch neue Lernanreize vermittelt.

Um Lernerfolge zu verbessern, entwickelte das Kollegium ein Modell mit ganzheitlichem Ansatz. Der Sachkundeunterricht ist Mittelpunkt und Orientierung für die anderen Fächer. Beschäftigen sich die Schüler in Sachkunde mit dem Thema Herbst, lernen sie im Sprachunterricht die entsprechenden Vokabeln, lesen Texte zum Thema, malen dazu und sammeln Kastanien. In wöchentlichen Sitzungen richten Lehrer einer Jahrgangsstufe ihren Unterricht am Fach Sachkunde aus. „Lehrer dürfen sich nicht mehr nur als Wissensvermittler verstehen, sondern auch als Organisatoren von Lernprozessen“, sagt Lehrerin Barbara Ernicke.

Das Besondere : Seit Beginn des laufenden Schuljahres bieten 15 Künstler und Musiker des Kunstvereins Friedrichstadt elf verschiedene Kurse für Kinder an der Deutsch-Portugiesischen Grundschule an. Am Nachmittag tanzen die Schüler Aerobic, hören Geschichten und malen. Sie basteln mit Naturmaterialien oder entwerfen Trickfilme am Computer. Diese Kurse finden im Rahmen des einjährigen Pilotprojektes Pro Artis statt. Unter dem Motto „Spielerisches Lernen“ haben Künstler Kursinhalte entwickelt, die sich an den Lehrplänen orientieren und das ganzheitliche Lernen ergänzen.

Oliver Brosmann bietet Kindern in seinem Theaterkurs die Möglichkeit, durch Rollenspiele sich selbst und andere kennen zu lernen, kulturelle und soziale Unterschiede zu entdecken. Ganz nebenbei verbessern Kinder durch szenisches Spiel ihren sprachlichen Ausdruck und werden an Theaterliteratur und Musik herangeführt. „Mein Ziel ist, Kindern durch Theater einen Zugang zu Kultur, Kunst und Gesellschaft zu verschaffen, ihre Interessen stehen dabei immer im Mittelpunkt“, sagt der 33-jährige Schauspieler.

Einmal pro Woche gehen Schüler mit der Künstlerin und Kunsthistorikerin Juliana Tatcheva auf Entdeckungsreise in Berlin: Sie erkunden Stadt und Natur, besuchen Museen und Ausstellungen.

Beim Aerobic-Tanz toben sich die Schüler aus. Wenn Ilona Bürger mit den Aufwärmübungen beginnt, herrscht Ruhe im Saal. „Tanz ist ein Ausdrucksmittel – und gut für das Körpergefühl und die motorische Entwicklung“, sagt die 55-Jährige. Begleitet von der Pianistin Polina Vassilieva studiert die frühere Tänzerin des Metropoltheaters mit den Kindern eine Choreografie für das „Dschungelbuch“ als Weihnachtsstück ein. Der Klarinettist Nikolaj Abramzon leitet den Chor

„Die Resonanz von Eltern und Lehrern auf das Kursangebot ist sehr gut“, sagt Elke Pitter. Je nach Inhalt besuchen bis zu 20 Kinder einen Kurs. „Die Angebote der Künstler sind eine große Bereicherung der Schule, die Kindern lernen mehr, auch voneinander, haben Spaß und finden neue Herausforderungen“, sagt Rektorin Helga Grafenhorst, die seit 26 Jahren im Schuldienst ist. Neben den Nachmittagsangeboten arbeiten einige Künstler auch direkt mit Lehrern zusammen und gestalten den Schulunterricht auch am Vormittag mit. Mit speziellen Kenntnissen über historische Instrumente und mittelalterliche Musik ergänzt der Musiker Jean Walther beispielsweise den Musikunterricht.

Die Eltern : Finanziert wird das Pilotprojekt Pro Artis vom Bezirksamt Mitte und gefördert durch den Europäischen Sozialfonds. Wie es nach einem Jahr weitergeht ist aber ungewiss. Die Schule könnte für Materialkosten aufkommen, beim Honorar der Künstler sind die Eltern gefragt. „Die Kurse sind für die Kinder ein tolles Angebot, so sitzen sie nicht zu Hause herum - wenn der Unterricht bezahlbar bleibt, würde ich dafür Geld ausgeben“, sagt Holger Hundeiker. Seine Tochter Daria (7) ist bei den Stadterkundungen dabei. Auch Maritta Marquardt würde für den Tanzunterricht ihrer Tochter Marie zahlen. „Es wäre schade, wenn es die Kurse nicht mehr gäbe“, sagt sie.

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