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Berlin: Länger lesen

Die neue Buchhandlung Kiepert ist eröffnet

Die drei Geschäftsräume wirkten wie ein Blumenladen: Zwei Dutzend Sträuße füllten jede Freifläche und verwandelten sie bei sommerlichen Temperaturen in ein Treibhaus. Doch die floristischen Kreationen vom Jungfernsträußchen im Wasserglas bis zum üppigen Gebinde waren Glückwünsche treuer Literaturfreunde an die mutigen Unternehmerinnen: Am Wochenende haben Ursula Kiepert und Tochter Regine ihre neue Buchhandlung eröffnet.

Mit dem berühmten Vorgänger ihres Mannes Robert habe das nichts zu tun, versichert die 77-jährige Seniorchefin: „Ich habe die Räume gesehen, fand sie toll und bin einfach reingesprungen.“ Aber nicht nur die Adresse Hardenbergstraße 9a, vom früheren Standort am Ernst-Reuter-Platz nur einen Steinwurf entfernt, lässt Erinnerungen an den legendären Büchertempel wach werden.

Auch die Inneneinrichtung kommt Lesern bekannt vor. Die graugrün lasierten Regale stammen aus der Konkursmasse des alten Ladens, wie Robert Kiepert erklärt. Ebenso die frei stehenden Pulte mit den Terminals für das Bestellsystem, die den Kunden erlauben, sich mit ihren Wünschen von allen Seiten an die Angestellten anzupirschen. Über dem Eingang prangt der neongrüne Schriftzug „Kiepert Bücher“. Nur die diskret abgewinkelten Lettern „U&R“ verraten, dass dieser Laden andere Inhaberinnen hat. Beide waren am Geschäft, das im vergangenen Jahr schloss, nicht beteiligt und daher von der Insolvenz nicht betroffen. Was nicht bedeutet, dass sie nicht vom Fach wären: Ulrike Kiepert gehört der Fachbuchversand Eberbeck. Ihre 45-jährige Tochter Regine besitzt die Reisebuchhandlung Schropp. Mit ihren Branchenkenntnissen haben sie für 200 Quadratmeter Verkaufsfläche ein Sortiment maßgeschneidert.

Im hinteren Saal finden Studenten der Technischen Universität Standardwerke der Geisteswissenschaften: Ein Regal leuchtet im Sonnengelb der Reclam-Hefte, die regenbogenfarbenen Rücken der Suhrkamp-Bücher füllen eine ganze Wand. Der mittlere Raum bietet Material zum Fremdsprachenlernen. Selbst für Liebhaber exotischer Idiome: Etwa einen „Schnellkurs Schwedisch“ oder „Einstieg Arabisch“. Vorne ist Belletristik zu haben; Reich-Ranicki steht hier einträchtig neben Stefan Effenberg. Allerdings fast ausschließlich in Taschenbuchbänden, erläutert Ulrike Kiepert: „Da steht das Gleiche drin wie in gebundenen Ausgaben, doch sie sind leichter und besser zu transportieren.“ Und für die Jungakademiker der TU erschwinglicher.

Passend zur Langen Nacht der Wissenschaften, die zur selben Zeit stattfand, eröffneten Kieperts am Samstag mit einem langen Abend der Lesungen von André Kubiczek, Elke Schmitter, Sten Nadolny und Jens Sparschuh. Mangels Stühlen mochte nicht jeder den vierstündigen Lesemarathon durchstehen; es herrschte ein Kommen und Gehen wie auf einer Vernissage. Das ließ denen, die blieben, Luft zum Atmen: Das Ladenlokal konnte Hunderte von Gästen kaum fassen. Auch Kasse gemacht wurde schon am ersten Tag kräftig. Ulrike Kiepert wird es freuen – sie hat ihre Altersversorgung in die Ausstattung investiert. Sollte das Konzept nicht aufgehen, ist ihr nicht bange: „Dann bleibt mir immer noch meine Rente.“

Mo. bis Fr. 10 bis 20 Uhr, Sa. 10 bis 16 Uhr.

Oliver Heilwagen

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