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Michael Müller (SPD)

© Kai-Uwe Heinrich

Stadtentwicklungssenator Michael Müller: "Bürgerbeteiligung muss schon beim Planen beginnen"

Berlins Stadtentwicklungssenator Müller stand am Donnerstagabend in der Urania Rede und Antwort. Diskutiert wurde über Wohnungsbau, die A 100 und das Nebeneinander von Autofahrern, Radlern und Fußgängern.

Normalerweise wird Politikern eine 100-Tage-Frist zugestanden. Berlins neuer Senator für Stadtentwicklung und Umwelt stellte sich bereits am 50. Tag nach seinem Amtsantritt am Donnerstagabend einem großen Publikum. Das Interesse der Berliner war gewaltig. Bei der neunten Veranstaltung der Diskussionsreihe „Stadt im Gespräch – Berlin im Wandel“, die der Tagesspiegel gemeinsam mit der Architektenkammer in der Urania organisiert, musste wegen des großen Andrangs erstmals kurzfristig in einen größeren Saal gewechselt werden.

Innerhalb von nur zehn Minuten organisierten Urania-Chef Dr. Ulrich Bleyer und sein Team den Umzug von knapp 700 Besuchern. „Das schlägt alle Rekorde“ sagte der Präsident der Architektenkammer, Klaus Meier-Hartmann, zu dem Publikumsinteresse. „Ganz platt“ war auch Müller, für den der Andrang ein weiterer Beweis für den Anspruch der Berliner war, bei der Gestaltung ihrer Stadt mitzureden. Diese sollen künftig noch stärker einbezogen werden. Bürgerbeteiligung dürfe nicht erst beim Volksentscheid, sondern beim Anfang der Planungen beginnen. „Ich habe richtig Lust darauf, Stadtentwicklungspolitik zu machen und hoffe, Sie sind dabei“, sagte der bisherige Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus zu den Anwesenden.

Um neue Arbeitsplätze zu schaffen gelte es, neue Industrien anzusiedeln und dafür Flächen zur Verfügung zu stellen, ebenso wie für den Wohnungsbau. Laut Koalitionsvertrag sollen Liegenschaften künftig nicht mehr nach dem Höchstpreisgebot verkauft werden. Es soll sie auch für weniger Geld geben, wenn dafür mit dem jeweiligen Partner mehr für die Stadt erreicht werden kann so der Senator im Gespräch mit Dr.-Ing. Ursula Flecken von der Planergemeinschaft Berlin und dem leitenden Tagesspiegel-Redakteur Gerd Nowakowski. „Ich finde es spektakulär, dass es dieses Umdenken gibt“.

Mit den großflächigen innerstädtischen Entwicklungsflächen habe Berlin einen großen Vorteil gegenüber anderen Metropolen. Doch nur in der Europacity an der Heidestraße in der Nähe des Hauptbahnhofs sieht Müller die schnelle Entwicklung eines Gewerbestandortes, an dem auch der sozialverträgliche Wohnungsbau eine Rolle spielt. Beim Flughafen Tempelhof sprach er sich dagegen für eine Denkpause aus.

„Große Sorge“ bereitet dem neuen Senator, dass die Randbebauung des ehemaligen Airports zu einem „Bauchladen“ werden könnte. Zu viele Interessenten hätten dort bereits ihre Schilder angeklebt, von einer Wohnbebauung in Neukölln über eine Gesundheitsstadt in Kreuzberg bis hin zu Veranstaltungshalle, Alliiertenmuseum, Busbahnhof und Gewerbezentrum. Am hier geplanten Standort für die neue Landesbibliothek will er jedoch festhalten. Sie könne eine Anschubinvestition sein, so wie einst das Engagement des Landes auch Geburtshelfer für den Technologiepark in Adlershof war.

Beim nach der Schließung des Flughafens Tegel geplanten Industriezentrum für Zukunftstechnologien warnte Müller vor unrealistischen Zeitvorstellungen. Seriös betrachtet müsste man hier wie in Adlershof mit einem Entwicklungszeitraum von 20 Jahren rechnen.

Hinsichtlich der Verlängerung der Stadtautobahn A100 erwartet der Senator im Frühjahr den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts. Politisch sei das Projekt auf den Weg gebracht. „Ende 2012, Anfang 2013 kann es dann losgehen“. Die weitere Verlängerung nach Friedrichshain mache Sinn, sei aber „keine Entscheidung für heute und morgen“.

Gleichzeitig würdigte Müller das gute Nebeneinander von Autofahrern, Radlern und Fußgängern in der Stadt. Die Fahrradstreifen hätten die Radfahrer sichtbar zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern gemacht und sollen weiter ausgebaut werden. Dank eines trotz der S-Bahnprobleme guten ÖPNV gehe der Individualverkehr permanent zurück. Nach der Weigerung der Deutschen Bahn, die S-Bahn und ihre Züge zu verkaufen, sieht Müller jetzt nur noch die Möglichkeit einer Teilausschreibung einzelner Strecken.

Auch bei der Wohnungspolitik kündigte der Senator ein Umdenken an. Waren die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bisher aufgrund ihrer Schuldenlage gezwungen, Immobilien zu verkaufen, fordert der Senat jetzt das Gegenteil. „Wir wollen keine weiteren Privatisierungen sondern kaufen sogar zurück“, so Müller.

Er erwarte, dass die landeseigenen Gesellschaften bei der Mietgestaltung anders reagieren als private Eigentümer, betonte der Senator. „Sonst können wir sie auch verkaufen“. Es gelte, individuell auf die soziale Entwicklung in den Quartieren zu reagieren. Dennoch werde man Mietsteigerungen nicht völlig verhindern, sondern nur dämpfen können. Da junge und ältere Menschen kleinere Wohnungen als Familien mit Kindern benötigen, fordert Müller auch neue Wege bei der Gestaltung der Mietverträge. Solange bei jedem Umzug ein Neuvertrag notwendig ist, bei dem die Miete steigt, sei es nicht verwunderlich, wenn viele Ehepaare nach dem Auszug der Kinder in großen Wohnungen bleiben.

Den derzeitigen Leerstand von 80 000 bis 100 000 Wohnungen bezeichnete der Senator als „Skandal“. Diese müssten wieder verwertbar gemacht werden. Gleichzeitig stellte er angesichts der vorhandenen Hotelkapazitäten die Notwendigkeit der 15 000 Ferienwohnungen in Frage. Müller  kündigte an, dass der Senat einen neuen Anlauf für ein Zweckentfremdungs-Nutzungsverbot nehmen wird. In den 80er Jahren war man damit vor Gericht gescheitert, jetzt soll regional beschränkt in bestimmten Quartieren die anderweitige Nutzung von Wohnraum untersagt werden.

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