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Abgeordnetenhaus: Hält die rot-rote Koalition?

SPD und Linke haben im Abgeordnetenhaus nur noch eine Stimme Mehrheit. Hält die Koalition?

Nachdem Canan Bayram von der SPD zu den Grünen übergetreten ist, weil ihr angeblich die Frauen- und Integrationspolitik der Sozialdemokraten nicht mehr passte, schrumpft Klaus Wowereits Mehrheit im Abgeordnetenhaus auf eine Stimme. Auch bei den Linken gibt es mit Carl Wechselberg einen Wackelkandidaten. Jedoch hat er angekündigt, Rot-Rot nicht stürzen zu wollen. Dennoch stehen der Koalition harte Monate bevor.

Wie frauenfeindlich ist die SPD?

Michael Müller gab für viele SPD-Frauen den Prototyp des Machos. Nach dem Austritt Bayrams hatte der SPD-Landes- und Fraktionschef gesagt, die von der Abgeordneten genannten Gründe seien „verworren und abenteuerlich“. Dahinter stecke „nichts anderes als ein persönliches Problem“.

„Das ist genau die Haltung, die so viele unserer Frauen auf die Palme bringt“, sagt Eva Högl, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). „Hier geht es eben nicht um ein persönliches Problem, sondern um einen handfesten Konflikt.“ Die ASF-Chefin und Bundestagsabgeordnete hatte zusammen mit Bayram gefordert, die rechtswidrige Besetzung der BVG-Vorstandsposition, die ohne Ausschreibung erfolgt war, unverzüglich rückgängig zu machen. Högl sieht in Sachen Gleichberechtigung von Frauen noch erheblichen Handlungsbedarf bei der Berliner SPD. Von „Frauenfeindlichkeit“ will sie zwar nicht reden, von einem veralteten Rollenverständnis vieler Genossen schon.

Vera Junker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, pflichtet ihr bei: „Es gibt diese gönnerhafte Attitüde bei vielen Genossen, wenn es um sogenannte Frauen-Themen geht: In ihr Gesicht tritt ein ganz bestimmtes Lächeln, sie verschränken die Arme und lehnen sich zurück.“ Junker will aber anders als Bayram weiter gegen solches Verhalten ankämpfen, das sie auch bei führenden Genossen wie Wowereit, Müller oder dem ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin beobachtet. „Ganz und gar unerträglich“ sei das Vergewaltigungszitat von Innensenator Ehrhart Körting. „Dafür hätte er sich entschuldigen müssen, und zwar bei allen Frauen.“

Wo kam Rot-Rot schon früher ins Taumeln?

Wie schwierig es ist, die Fraktionsmitglieder auf Kurs zu halten, zeigte schon Wowereits Wiederwahl 2006. Erst im zweiten Wahlgang erhielt er die erforderliche Mehrheit, im ersten hatten sich zwei Abgeordnete der Koalition enthalten und ihn durchfallen lassen. Im zweiten Wahlgang wählte einer für, der andere gegen Wowereit. Zur Zerreißprobe wurde auch die Erbschaftsteuerreform, die im Bundesrat gebilligt werden musste. Berlin stimmte den Plänen der Bundeskoalition aus CDU und SPD zu, obwohl die Berliner Linke die Reform abgelehnt hatte. Die Fraktion warf den Sozialdemokraten daraufhin einen „Bruch des Koalitionsvertrages“ vor. Auch beim EU-Vertrag trug Rot-Rot seinen Richtungsstreit im Bundestag aus: Hier setzte die Linke eine Enthaltung des Landes durch. Wowereit erklärte die Linke daraufhin „in außenpolitischen Fragen für nicht koalitionsfähig“.

Was bedeutet die knappe Mehrheit?

Knappe Mehrheiten sind in Landesparlamenten gar nicht so selten, Ein-Stimmen- Mehrheiten allerdings schon. Wie problematisch es sein kann, nur die berühmte „eine Stimme über den Durst“ zu haben, musste Heide Simonis 2005 erfahren: Die SPD-Politikerin scheiterte bei der Wahl zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein an einem Abweichler in den eigenen Reihen, es folgte der Machtwechsel in Kiel.

Allerdings braucht eine Regierung nur selten wirklich alle Stimmen im Parlament; in der Regel nur bei Wahlen, beim Haushalt und bei Vertrauensabstimmungen. Denn wenn die „Kanzlermehrheit“, die Mehrheit aller Sitze, vorgeschrieben ist, gilt selbst Krankheit nicht als Entschuldigung. Im normalen Parlamentsbetrieb nutzt die Opposition fairnesshalber solche Ausfälle nicht aus. Ist ein Regierungsabgeordneter krank oder verhindert, verzichtet auch ein Oppositionskollege auf seine Stimme. Dieses „Pairing“ ist nirgendwo vorgeschrieben, aber guter Brauch in allen Parlamenten.

Knappe Mehrheiten haben jedoch aus Sicht der Regierenden auch ihre Vorzüge: Sie wirken disziplinierend. Die eigene Truppe weiß, dass sie sich keine Abweichungen leisten kann, ohne sofort die eigene Macht infrage zu stellen. Umgekehrt stärkt allerdings jede knappe Mehrheit auch den Einfluss des einzelnen Abgeordneten.

Welche Optionen gibt es für Wowereit?

Wie verschieden Mathematik und Politik sind, zeigt ein Blick auf die rechnerischen und die realen Alternativen in Berlin. Rechnerisch

könnten, falls die rot-rote Koalition zerbricht, sowohl die Grünen als auch die CDU einspringen. Praktisch haben die Grünen bereits dankend abgelehnt. Und die Gemeinsamkeiten zwischen der im Bundesvergleich sehr linken Berliner SPD und der vom konservativen Fraktionschef Frank Henkel geführten CDU gehen gegen null. Mindestens ebenso groß ist aus Wowereits Perspektive der Kontrast zur FDP. Als Trost bleibt ihm, dass die Lage bei Jamaika, also Schwarz-Gelb- Grün, ähnlich ist. Und als Option bleibt ihm wohl am ehesten, sich mit den Linken weiter gut zu stellen und die geschrumpfte Koalitionsmehrheit nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Denn darauf, dass vorzeitige Neuwahlen die SPD in eine komfortablere Lage bringen würden, kann Wowereit kaum hoffen.

Was sagt die Bundes-SPD?

Sie schweigt. Klaus Wowereit mag auf dem rechten Flügel der Partei nicht allzu viele Freunde haben. Doch die SPD- Rechte weiß auch, dass sich die Partei im Bundestagswahljahr keine weitere Debatte über Vor- und Nachteile rot-roter Bündnisse in den Ländern leisten kann – allzumal im Saarland und in Thüringen womöglich weitere Koalitionen mit der Linkspartei anstehen.

Und die SPD-Linke? Sie hat schon gar kein Interesse daran, Wowereit zu destabilisieren. Berlins Regierender Bürgermeister soll weiter in der ersten Reihe der SPD mitspielen, damit er in der kommenden Wahlperiode helfen kann, die Sozialdemokratie für Linksbündnisse im Bund zu öffnen. Dafür wäre Wowereit der natürliche Kanzlerkandidat. Sein Krisenmanagement wird nicht zuletzt deshalb auch im Willy-Brandt-Haus gespannt verfolgt.

In der Achtung von Parteichef Franz Müntefering würde Wowereit wahrscheinlich dann steigen, wenn es ihm gelänge, Wechselberg zum Eintritt in die SPD zu bewegen. Entsprechende Gespräche sollen bereits im Gange sein. Aber auch ein in aller Stille vorbereiteter Wechsel zu einer Koalition mit den Grünen müsste Wowereits Stellung in der Bundes-SPD nicht unbedingt schaden.

Die Chancen, eine derart heikle Operation erfolgreich zu bewältigen, sinken jedoch, wenn Rot-Grün öffentlich erörtert wird. Entsprechend groß war der Unmut in der SPD über den Berliner Bundestagsabgeordneten Klaus Uwe Benneter, der einer Koalition mit den Grünen das schnelle Wort geredet hatte. In Parteikreisen hieß es, Benneter wolle sich für einen guten Platz auf der Landesliste empfehlen, über deren Zusammensetzung die Hauptstadt-SPD in zwei Wochen entscheidet. Swen Schulz, Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Berliner Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte Benneters Äußerungen: „Für solche Empfehlungen habe ich kein Verständnis.“ ball, bib, ctr, das, has, obs

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