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Rainer-Michael Lehmann: Berliner FDP-Politiker wechselt zur SPD - ein Deal?

UPDATE Der FDP-Abgeordnete Lehmann tritt aus seiner Fraktion aus und will zur SPD wechseln. Er begründet dies mit der "sozialen Kälte" seiner Partei. Die FDP hält dies für vorgeschoben und fordert Lehmann auf, sein Mandat zurückzugeben.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Christian Gaebler, bestätigte am Dienstagvormittag, Rainer-Michael Lehmann habe in einem Brief um Aufnahme in die SPD-Fraktion ersucht. In demselben Schreiben habe er angekündigt, in die SPD eintreten zu wollen.

Der FDP-Landesvorsitzende Markus Löning wusste am Dienstagvormittag noch nichts von dem angekündigten Wechsel. Aufgrund der Medienberichte habe er vergeblich versucht, Lehmann zu erreichen, sagte Löning zu Tagesspiegel.de. "Wenn es stimmt, dann fordere ich ihn auf, sein Mandat zurückzugeben. Schließlich wollten seine Wähler, dass die FDP im Abgeordnetenhaus vertreten ist."

Auch FDP-Fraktionschef Christoph Meyer wurde von Lehmanns Schritt überrascht. Ein Brief oder eine E-mail von Lehmann lagen am Dienstag vormittag in der Fraktion einem Sprecher zufolge nicht vor. Meyer erklärte am Dienstag, Lehmanns inhaltliche Gründe für den Austritt seien "vorgeschoben". Der für die Sozialpolitik zuständige Abgeordnete habe in der Fraktion "nicht ein einziges Mal" die Sozialpolitik der FDP-Fraktion im Bundestag oder im Abgeordnetenhaus kritisiert. Die sozialpolitischen Sparvorschläge der FDP-Fraktion folgten den Ideen Lehmanns. Meyer wörtlich: "Er hatte nie auch nur die geringsten Schwierigkeiten, auch einen scharfen sozialpolitischen Kurs mitzutragen, solang er stellvertretender Fraktionsvorsitzender sein konnte".

Senftleben: "Lehmann knatschig"

Meyer geht davon aus, dass Lehmann mit dem Wechsel zur SPD Konsequenzen aus innerparteilichen Problemen zieht. Der FDP-Bezirksverband Pankow hatte Lehmann nicht mehr für den Landesvorstand nominiert. Seine Aufstellung als Listenkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus sei fraglich gewesen, so Meyer. "Es ist bezeichnend, dass sich Lehmann ausgerechnet in einer Phase, in welcher der sozialdemokratische Filz in dieser Stadt - auch im Sozialbereich - immer stärker zutage tritt, den Sozialdemokraten anschließt", erklärte der FDP-Fraktionschef, der in anderthalb Wochen als Landeschef der Berliner FDP kandidiert.

Die FDP-Abgeordnete Mieke Senftleben bezeichnete Lehmanns Schritt als "unglaublich". So stimme nicht, was Lehmann laut Medienberichten über die Sozialpolitik der Fraktion gesagt haben soll. Dass die FDP-Fraktion das Projekt der Stadtteilmütter kippen wolle, treffe nicht zu. Allerdings sei Lehmann nach der Neuwahl der FDP-Fraktionsführung vor einingen Monaten "knatschig" gewesen, weil er nicht wieder stellvertretender Fraktionschef geworden war.

Senftleben glaubt an eine Absprache zwischen der SPD-Fraktionsführung und Lehmann - der werde in Kürze Nachfolger des von Filzvorwürfen belasteten SPD-Abgeordneten Ralf Hillenberg als Vorsitzender des Petitionsausschusses, vermutet Senftleben. "Es ist alles nur ein Deal", so die FDP-Abgeordnete.

Der 49-Jährige Lehmann hatte zuvor seinen Schritt mit der Ausrichtung der FDP begründet. In der Fraktion mache sich ein Geist sozialer Kälte breit, so der seit 1992 als Bürgerberater in Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen tätige Politiker.  Er könne die Angriffe der Partei auf den Sozialstaat nicht länger mittragen, sagte Lehmann mit deutlicher Anspielung auf die jüngsten, von Parteichef und Außenminister Guido Westerwelle losgetretenen Debatten um "spätrömische Dekadenz" im deutschen Sozialsystem. Lehmann, der seit 1987 erst in der LDPD dann in der FDP war, bezeichnete sich selbst als sozialliberal. Seit 1994 war er Mitglied des Landesvorstandes der Berliner FDP.

Löning sagte weiter, er selbst sei entgegen anderslautenden Meldungen bislang nicht von Lehmann informiert worden und habe den abtrünnigen Parteifreund auch noch nicht erreichen können. "Sollte er seinen Austritt mit der Sozialpolitik der Berliner FDP begründen, dann ist das ein starkes Stück", sagte Löning weiter. "Denn diese Politik hat er in den vergangenen Jahren selbst formuliert."

Ausgleich für Hillenberg?

Der mögliche Wechsel zur SPD wurde am Morgen des Tages bekannt, an dem sich Ralf Hillenberg womöglich äußert. Der Bauplaner und sozialdemokratische Abgeordnete war wegen der Howoge-Affäre unter starken Druck geraten und soll deswegen von der SPD-Fraktion ausgeschlossen werden. Hillenberg will aber sein Abgeordnetenhausmandat voraussichtlich behalten.

Wenn Hillenberg die Fraktion verlässt, verringert sich die Mehrheit der rot-roten Regierungskoalition, und sollte Hillenberg künftig mit der Opposition stimmen, hätten SPD und Linke nur noch eine Stimme mehr, so wie die CDU/FDP-Landesregierung in Schleswig-Holstein.  Fraktions- und Parteichef Michael Müller hatte bereits am Montag erklärt, dass der Senat auch mit einer Stimme Mehrheit regieren könnte. Lehmann könnte dieses Defizit für Rot-Rot nun jedoch ausgleichen.

„Höre gut zu und sei jederzeit bereit für einen guten Kompromiss“

In der Fraktion wirkte er zuletzt als Sprecher für Arbeit, Soziales, Senioren, Migration und Frauen. Sein Motto auf seiner Internetseite der FDP-Fraktion, auf der er heute Morgen noch firmierte: „Höre gut zu und sei jederzeit bereit für einen guten Kompromiss.“

Ein gesundes Gemeinwesen brauche aktive Bürger, die sich in Eigenverantwortung um ihre Angelegenheiten kümmern – aber auch um die Belange anderer, schreibt Lehmann weiter in seinem Internet-Profil. "Daher schätze ich jegliche Form von bürgerschaftlichem Engagement. Ehrenamt auf freiwilliger Basis ist besser als jede Bevormundung." Sein Credo klingt überaus liberal: "Der Staat muss nicht überall mitmischen. Er sollte nur die Rahmenbedingungen aufstellen, die es den Menschen ermöglichen, sich weitestgehend zu entfalten und einzubringen."

Ein ganz besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit seien aber die Interessen von Menschen mit Behinderungen, sozial Schwachen und Migranten, schreibt Lehmann. "Diese Menschen haben meist keine starke Lobby. Ich setze mich deshalb für eine größtmögliche Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben ein.

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