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Gestörtes Vertrauen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit setzt nicht mehr blind auf Stadtentwicklungssenator Michael Müller.

© dapd

Berliner SPD: Wie das Führungsduo Wowereit und Müller zerbrach

Klaus Wowereit und Michael Müller hielten die SPD lange als unzertrennliches Führungsduo zusammen Doch den Machtkämpfen im Senat scheint ihre Freundschaft nicht gewachsen. Ein Erklärungsversuch.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Freunde fürs Leben. Das gibt es auch in der Politik, aber nur selten. Bisher haben alle gedacht, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenator Michael Müller so ein trautes Pärchen sind. Jetzt heißt es auf einmal, das Tischtuch sei zerschnitten. Oder weniger dramatisch: Wowereit lasse in internen Konflikten, und davon gibt es viele, den SPD-Parteifreund hängen. Müller gehe es nicht unbedingt schlechter, aber auch nicht besser als anderen Senatsmitgliedern, deren Ideen und Projekte vom peniblen und widerborstigen Regierungschefs genehmigt, abgewürgt oder verschoben werden.

Vorbei die schöne Zeit. Seit drei Jahrzehnten kennen sich die beiden Berliner Sozialdemokraten. Als Müller in die SPD eintrat, saß Wowereit schon im Tempelhofer Kreisvorstand. Als Müller einige Jahre später in die Bezirksverordnetenversammlung gewählt wurde, war Wowereit Volksbildungsstadtrat. 1995 zogen sie gemeinsam ins Abgeordnetenhaus ein und als Wowereit 2001 Regierender Bürgermeister wurde, übernahm Müller den SPD-Fraktionsvorsitz und drei Jahre später führte er den SPD-Landesverband. „Wir haben ein irres Vertrauensverhältnis“, schwärmte Müller einst. Nie sei es gelungen, die beiden Spitzenpolitiker gegeneinander auszuspielen. Aber damit scheint es jetzt vorbei zu sein, und auch erfahrene Genossen zucken mit der Schulter. Nein, keine Ahnung, was da passiert sein könnte.

Aber es gibt Hinweise, die plausibel klingen. Erstens der Rollenwechsel: Seitdem Müller vor einem Jahr Senator wurde, ist er nicht mehr der umtriebige Koordinator, der dem Regierungschef den Rücken freihält, sondern im Kabinett nur noch einer unter Gleichen. Und das in einer Landesregierung, in der fast jeder gegen jeden kämpft. Es ist ein harter Fight um finanzielle Ressourcen, Prestige und politische Zukunftsaussichten. Mit einem Wowereit an der Spitze, der ein Meister des „Checks and Balances“ ist. Eines Systems, das die verschiedenen Interessen und Machtzentren, personifiziert in den Senatsmitgliedern, gegeneinander in freier Konkurrenz antreten lässt. Nur wenn sich das innere Gleichgewicht der Regierung auf diese Weise partout nicht einstellen will, greift er ein. Aber dann entschieden. Für sensible Gemüter, und zu denen gehört Müller, ist das kein ideales Lebensumfeld.

Hinlänglich bekannt ist auch, dass Wowereit seine Bündnispartner ab und zu wechselt, um die eigenen Ziele besser verfolgen zu können. Das musste beispielsweise der frühere SPD-Landeschef Peter Strieder erfahren. Seit 1996, erst in der großen Koalition, dann bei Rot-Rot, war er ein machtvoller Stadtentwicklungssenator. Aber im Dauerstreit mit dem Finanzsenator Thilo Sarrazin musste er schmerzvolle Niederlagen hinnehmen und lange vor Strieders Rücktritt von allen Ämtern 2004 verlagerte Wowereit seine Gunst im Senat auf Sarrazin und den Innensenator Ehrhart Körting.

Auch jetzt nimmt Wowereit wieder große Rücksicht auf den Finanzsenator, der seit 2009 Ulrich Nußbaum heißt, das Geld verteilt und so in alle Bereiche der Senatspolitik hineinregiert. Und das mit großer Freude und dem erklärten Willen, so viel Einfluss wie möglich auszuüben. Der Finanzsenator als verlängerter Arm des Regierenden. Aber weil Müller und Nußbaum größte Abneigung füreinander empfinden, bleibt der Stadtentwicklungssenator hier und da auf der Strecke. Und Wowereit hilft ihm nicht, den Dauerstress mit Nußbaum zu bewältigen.

Wahrscheinlich trübte auch die Art und Weise, wie Wowereit den Machtverlust des Parteifreundes im Sommer hinnahm, das Vertrauen. Im Kampf um den SPD-Landesvorsitz hatte der Regierende nur zaghaft für Müller geworben, sich aus dem erbitterten Streit weitgehend herausgehalten und auf dem Wahlparteitag gesagt: „Ihr wisst ja, ich bin flexibel“. Entsprechend dieser Maxime arrangierte sich Wowereit nicht nur mit dem neuen Vorsitzenden Jan Stöß, sondern auch mit dem neuen Fraktionschef Raed Saleh. Seitdem versucht ein Trio aus Wowereit, Saleh und Stöß, die sozialdemokratisch dominierte Regierungsmacht auszubalancieren. Die Achse Wowereit–Müller, die zehn Jahre alle Lasten aushielt, ist zerbrochen. Als in Berlin noch die Christdemokraten den Regierenden Bürgermeister stellten, gab es schon einmal so ein Duo: Eberhard Diepgen und der Fraktionschef Klaus Landowsky, der 2001 im Zuge des Bankenskandals alle Posten verlor. Diepgen allein hielt nicht mehr lange durch.

Geschichte wiederholt sich zwar nicht. Aber auch dieses Mal gibt es Auflösungserscheinungen und massive tektonische Verschiebungen im innerparteilichen Machtgefüge. Zwar hoffen die Genossen, dass Wowereit bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl 2016 durchhält. Aber sicher ist sich keiner. Es wäre schon schön, so hört man, wenn der Regierende Bürgermeister bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 und bis zur Eröffnung des Flughafens BER weitermache. Senator Müller wiederum hält sich offenbar, wie schon in früheren Jahren, die persönliche Option offen, in den Bundestag zu wechseln. 2006 hatte er eine Kandidatur im Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg erst in letzter Minute zurückgezogen. Und, bei aller gebotenen Vorsicht: Müller könnte wohl mit einem aussichtsreichen Platz auf der Berliner SPD-Landesliste rechnen, die erst im Mai 2013 beschlossen wird. Zeit genug, darüber nachzudenken.

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