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Innere Sicherheit. Die bewahrt sich Frank Henkel am Dienstagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

© dapd

Update

Berlins Innensenator: V-Mann-Affäre: Frank Henkel hat ein Problem

Gab es eine Absprache, Erkenntnisse über einen V-Mann mit NSU-Kontakten zurückzuhalten? Das behauptete Innensenator Henkel am Dienstag. Später widersprach die Bundesanwaltschaft, und Henkels Problem wuchs. Nun hat er reagiert - und spricht von "semantischen Spitzfindigkeiten".

Authentisch, das wollte er immer sein. Und ausgerechnet er wird jetzt der Lüge bezichtigt. Berlins Innensenator Frank Henkel hat einen Fehler gemacht – und vermutlich weiß nicht mal er selbst, was ihn dazu verleitet hat. Die Bundesanwaltschaft hat einer zentralen Aussage von Henkel in der Affäre um einen V-Mann aus dem Umfeld des Terror-Trios NSU widersprochen. Es habe keine „Absprachen über Zeitpunkt und Form der Übermittlung der Erkenntnisse“ über den V-Mann an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages gegeben, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Dienstag mit. Zuvor hatte Henkel in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus gesagt, die Polizei habe die Bundesanwaltschaft im März über den Fall des V-Mannes unterrichtet und sei dann gebeten worden, die Informationen „bis auf Weiteres nicht weiterzugeben“.

Lässt sich dieser Widerspruch erklären? Am frühen Mittwoch, im ZDF-Morgenmagazin, versucht Henkel dem Eindruck entgegenzutreten, es gebe einen Widerspruch zwischen seinen Aussagen und denen der Bundesanwaltschaft. Es werde ein Widerspruch aufgebaut, der keiner ist, sagt Henkel und spricht von "semantischen Spitzfindigkeiten". Indirekt wies er die Verantwortlichkeit allerdings gleichzeitig an die Polizeispitze weiter: Er müsse sich darauf verlassen können, dass ihm "wahrheitsgemäß berichtet" werde.

Auf die Frage von Moderatorin Dunja Hayali, ob es die Verabredung mit der Bundesanwaltschaft schriftlich gebe, antwortete Henkel: "Ich habe es nicht schriftlich". Im übrigen solle man vielleicht von einer "Vereinbarung" statt von einer "Verabredung" sprechen. Zur Frage, ob er der Bundesanwaltschaft eine Lüge unterstelle, sagte er: "Nein, ich hantiere nicht mit Schuldzuweisungen." Seine bisherige Verteidigungslinie, es sei darum gegangen, das Ermittlungsverfahren und das Leben des V-Mannes zu schützen, bekräftigte Henkel im Interview. Ausweichend antwortete er auf die Frage nach einem möglichen Rücktritt: "Es geht nicht um mich persönlich." Er wolle nun volle Transparenz schaffen.

Transparenz, darum ging es auch schon am frühen Dienstagnachmittag im Berliner Abgeordnetenhaus, bevor die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft bekannt wurde. Henkel muss sich erklären. Dem Innenausschuss soll er Rede und Antwort stehen, man wünscht zu wissen, was es auf sich hat mit der jahrelangen Zusammenarbeit des Landeskriminalamtes und eines mutmaßlichen Unterstützers des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU – Thomas S. Und vor allem: Warum Henkel, der Innensenator, der davon doch angeblich schon im März 2012 wusste, nie darüber sprach.

Wie er da sitzt, im dunkelblauen Anzug, die hellblaue Krawatte mit den dünnen, noppenartigen Tupfen akkurat auf das weiße Hemd gebunden, die Haare straff nach hinten gekämmt, da wirkt Frank Henkel wie einer, der demonstrieren will: ich bin beherrscht. Ich werde mich hier nicht aus der Ruhe bringen lassen. Als solle der staatsmännische Dress signalisieren: Andere können pöbeln und sich gehen lassen, ich tue das hier und heute garantiert nicht.

Vielleicht hat er sich am vergangenen Donnerstag falsch ausgedrückt, in aller Öffentlichkeit. Derart falsch, dass manche Leute nun von einer „Lüge“ sprechen, andere zumindest von der Unwahrheit, und alle gemeinsam von einer heftigen Krise der Berliner CDU. Der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux hatte dem Innensenator Frank Henkel, wie es üblich ist im Abgeordnetenhaus, eine komplizierte Frage gestellt. Dabei ging es um eben diese Informationen des Berliner Landeskriminalamtes über die rechte Terrorzelle NSU. Henkel antwortete, er sei „genauso wie Sie heute damit konfrontiert worden“.

Bildergalerie: Die NSU-Verbindung nach Berlin

Das ist jetzt wichtig, Wort für Wort. Der Vorwurf der Lüge lässt sich damit belegen – und ebenso lässt sich darauf die Verteidigungsstrategie begründen, die Henkel und seine Vertrauten in der Berliner CDU nun anwenden.

Im Innenausschuss, flankiert von der Polizeivizepräsidentin, vom Staatssekretär, vom Chef des Landeskriminalamts und vom Leiter der Staatsschutzabteilung, hält Henkel durch. Sollte in der vergangenen Woche die Öffentlichkeit den Eindruck bekommen haben, der Innensenator reagiere in der V-Mann-Geschichte fahrig, so versucht Frank Henkel nun genau das Gegenteil zu präsentieren. Mitten im Feuer der Kritik einer wütenden Opposition.

Die Grünen-Abgeordnete Clara Herrmann, gewohnt kämpferisch, attackiert Henkel gleich zu Beginn mit Verbalgranaten. „Ihr skandalöses Verhalten kritisieren nicht nur wir, das kritisiert auch die Bundeskanzlerin“, ruft Herrmann, obwohl Angela Merkel am Berliner Parteifreund namentlich bislang nicht herumgemäkelt hat. Henkel blickt halbhoch in den Raum, über die Grüne hinweg, er scheint sich zu sammeln. Nur der rechte Fuß wippt ein wenig hinter dem linken, der steht fest und unverrückbar auf dem Teppichboden. „Welche Konsequenzen haben Sie aus den Vorgängen gezogen?“, Clara Herrmann wird lauter. Henkel nickt knapp Polizeichefin Margarete Koppers zu, der rechte Schuh des Senators bohrt sich mit der Spitze in den Teppich. Dann ist die Grüne durch. Das Tribunal geht weiter.

Nun kommt Udo Wolf, der Sprecher der Linksfraktion im Ausschuss. „Warum, Herr Henkel, haben Sie das Parlament belogen? War es einfach Schlampigkeit?“ Der Senator schraubt seinen Füller auf. „Oder war es ein Modell von Geheimschutzideologie?“ Henkel schreibt kurz auf ein Stück Papier, vielleicht will er die Vokabel „Geheimschutzideologie“ festhalten. Auch Wolf redet von „Skandal“. Henkel nimmt einen Schluck Wasser. Mehr Regung gibt es nicht. Die kommt erst, als das lauteste Trommelfeuer überstanden ist. Als der Pirat Christopher Lauer, Sprecher der dritten Oppositionskraft, umständlich über einen „Zeitstrahl“ redet. Jetzt greift Henkel zu einer Flasche Cola Light – und nimmt einen großen Schluck. Wenn die Piraten kommen, ist das Schlimmste überstanden. Henkel erlaubt sich ein erstes Lächeln.

Er sagt: „Welches Interesse sollte ich haben, Dinge zu verschleiern, die lange vor meinem Amtsantritt lagen?“

Warum sollte Henkel denn lügen?

Innere Sicherheit. Die bewahrt sich Frank Henkel am Dienstagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.
Innere Sicherheit. Die bewahrt sich Frank Henkel am Dienstagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

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Es steht fest, dass Henkel nicht erst am vergangenen Donnerstag zum ersten Mal davon gehört hat, dass der Berliner Verfassungsschutz einen V-Mann führte, der Informationen über die NSU-Terroristen hatte. Davon wusste Henkel ja angeblich seit Monaten, ebenso angeblich kümmerte sich Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers um den Vorgang und die Weiterleitung der Informationen an den Generalbundesanwalt. Dass Henkel von dem V-Mann-Vorgang also am vergangenen Donnerstag gänzlich überrascht worden wäre, trifft nicht zu. Also eine Lüge?

Frank Henkel habe – das ist die Verteidigungsstrategie, die seine Vertrauten seit dem Dienstagmorgen ausarbeiten – mit dem „Vorgang“ gemeint, er habe erst am vergangenen Donnerstag davon gehört, dass der NSU-Untersuchungsausschuss über die Tätigkeit und die Informationen des Berliner V-Mannes nicht informiert worden war. Soll heißen: Henkel hat nicht gelogen. Er war überrascht – daher der Versuch, Lux zu vertrösten mit den Worten „intensiv prüfen“ und „ich denke auch, dass das einer genauen Aufarbeitung bedarf“.

Sogar gute Parteifreunde wissen und sagen, dass das keine gelungene Performance war. Henkels indisponierte Reaktion und der Glaube, er könne sich aus dem Informationschaos einfach herausreden, sei im günstigsten Fall mit „Unerfahrenheit“ zu erklären, heißt es. Warum sollte Henkel denn lügen?, fragen andere. Dass es einen V-Mann gab, dass dessen Informationen womöglich nicht richtig bewertet worden sind, habe Henkel nicht zu verantworten, sondern sein Vorgänger im Amt, Ehrhart Körting. Der wiederum sagt, dass er vom V-Mann Thomas S. nichts gewusst habe – selbst wenn der Hauptteil von S.’ zehnjähriger Tätigkeit in Körtings-Amtszeit fällt.

Eine Lüge – und sei es, weil man sich nicht anders zu helfen weiß? „Dass passt eigentlich gar nicht zu ihm“, sagt einer, der ihn ganz gut kennt. Henkels Senatskollege Mario Czaja sagt: „Ich bin mir sicher, dass er nicht mit Absicht irgendetwas falsches gesagt hat.“

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Wie auch immer: Henkel bietet derzeit das Bild eines Politikers, der „seinen Laden nicht im Griff hat“. Das sei der Eindruck, den man haben müsse, sagen sogar seine Freunde in der CDU. Tatsächlich spürt der Mann, der die Berliner CDU wieder aufgerichtet hat, in diesen Wochen vielleicht zum ersten Mal die Härten des Regierens. Es war Henkel und seinen Mitstreitern wie Monika Grütters und Thomas Heilmann zu verdanken, dass die Union bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus vor fast genau einem Jahr mit 23,3 Prozent der Stimmen auf Platz zwei landete, deutlich vor den Grünen mit Renate Künast. Denn Vormann Henkel hatte aus dem Polit-Trümmerhaufen namens Berliner CDU seit Ende 2009 eine Berliner-Mitte-Partei gemacht. Henkel, Grütters, Heilmann standen für eine Union, die frei nach dem Modell Angela Merkel alles Konservative hinter sich ließ, liberale Wähler ansprechen will und in der Bildungs-, der Arbeits- oder der Integrationspolitik nicht auf Ausgrenzung sondern aufs Einbeziehen, auf Gemeinsamkeit und Lokalpatriotismus setzt. Das funktionierte auch deshalb so gut, weil die Henkels, Grütters und Heilmanns das neue Mittige und Liberale personifizierten. Und Spitzenkandidat Henkel hatte Freude am Wahlkampf und an seiner Verantwortung, weil er auf seine Weise eben war wie Wowereit: authentisch und ganz bei sich. Die Krisen, mit denen er als CDU-Frontmann zu tun hatte, regten allenfalls Parteifreunde auf. Henkel schlichtete, wenn er konnte. Wenn nicht, klärten sich die Dinge auch. Vielleicht hofft er, dass das auch dieses Mal funktioniert.

Die Entwicklung, die jene V-Mann-Affäre nun nimmt, wird allerdings auch in der Berliner SPD mit einer gewissen Sorge verfolgt. Noch in der vergangenen Woche konnten sie sich dort über Frank Henkels neue Probleme freuen. Denn das jüngste Zerwürfnis Henkels mit der ehemaligen Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz – das mit ihrem Rücktritt endete – wurde als isoliertes CDU-Problem angesehen. Jetzt ist die Situation eine andere. Die V-Mann-Affäre ist nicht nur Henkels Sache. Sie könnte zu einem Problem für den gesamten Senat und damit auch für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit werden. „Die Lage ist nicht einfach“, heißt es bei der SPD.

Kommt Henkel aus dieser Nummer wieder raus?

Innere Sicherheit. Die bewahrt sich Frank Henkel am Dienstagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.
Innere Sicherheit. Die bewahrt sich Frank Henkel am Dienstagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

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Am Montagabend trat Henkel vor dem SPD-Landesvorstand auf. Es war eher Zufall, weil Anlass seines Besuchs nicht die V-Mann-Tätigkeit von Thomas S. war, sondern Übergriffe, mutmaßlich von Rechtsextremen, auf SPD-Einrichtungen in Berlin. Und doch musste Henkel sich vor allem Fragen zu den NSU-Ermittlungen gefallen lassen. Einig sind sich die Sozialdemokraten im Fall Henkel allerdings nicht. Da sind jene wie die SPD-Obfrau im Bundestags-Untersuchungsausschuss und Berliner Sozialdemokratin Eva Högl, die schon von „Rücktritt“ sprach; und solche wie den Innenexperten der Berliner SPD, Thomas Kleineidam, der Henkel so hart verteidigt wie keiner aus der CDU: „Ich kann kein Fehlverhalten Henkels erkennen.“

Im Innenausschuss fordert am Dienstag ebenfalls kein Redner der Opposition Frank Henkel zum Rücktritt auf. Keiner spricht von einem extra Untersuchungsausschuss. Die Vorwürfe gehen nicht über das, was ohnehin schon bekannt war, hinaus. Frank Henkel kommt, so ist nach der ersten Dresche durch die Opposition zu vermuten, aus der Nummer wieder heraus. Wenn auch mit Kratzern.

Seine Sicht der V-Mann-Geschichte besteht aus zwei Dritteln Verteidigung und einem Drittel Gefühl.

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Der Fall der Terrorgruppe NSU sei eine „schwere Wunde in unserem nationalen Selbstverständnis“, sagt er. Getroffen sei nun auch „unsere Stadt, von der wir lange glaubten, sie sei verschont geblieben“. Er sehe es nun als seine Aufgabe an, „Irritationen aus der Welt zu räumen“. Dazu spannt er die Bundesanwaltschaft ein. Die sei, das sagt Henkel noch einmal vor dem Ausschuss, im März sofort über den V-Mann Thomas S. unterrichtet worden und habe gebeten, die Informationen „bis auf Weiteres nicht weiterzugeben“. Denn andere Beschuldigte im komplexen Ermittlungsverfahren zu den Verbrechen des NSU könnten, sollte etwas durchsickern, Aussagen absprechen, Beweismaterial vernichten „und im schlimmsten Fall flüchten“, trägt Henkel aus seinem Manuskript vor. Außerdem sei eine „unmittelbare Information an den Untersuchungsausschuss nicht verantwortbar“ gewesen, ohne das Leben des V-Mannes zu gefährden.

Der Senator hebt die Stimme. „Ich befand mich in einem schwierigen Ziel- und Interessenkonflikt.“ Und an diesem Punkt kommt das Gefühl. Als es um den Konflikt der Notwendigkeiten geht: einerseits der Bundesanwaltschaft zu helfen und andererseits das Abgeordnetenhaus und den Untersuchungsausschuss auf dem Laufenden zu halten. Den hätte er „gegebenenfalls anders auflösen können“, sagt Henkel. Wie aber, das sagt er erstmal nicht. Ein Grüner aber ruft schon „hört, hört“. Henkel verspricht mehr Sensibilität. Und er hält daran fest, trotz der Kritik aus Opposition und Medien, einen Sonderermittler zu installieren. Am Rande der Sitzung ist zu hören, dass noch in dieser Woche ein Name feststehen könne.

Die Akten, in denen die Informationen über V-Mann Thomas S. zu finden sein sollen, hat Henkel nun jedenfalls pünktlich am Dienstagmittag an die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag überliefern lassen. Bis 13 Uhr hatten die ihm Zeit gegeben, er hielt sich daran. Zwei dicke Ordner kamen in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags an, deklariert als „Verschlusssache Geheim“. Schon am Dienstagnachmittag hatten die Mitarbeiter der Geheimschutzstelle erste Kopien für die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss angefertigt – die nun zu den ohnehin schon durchzuarbeitenden Unterlagen in Sachen NSU noch etliche Seiten mehr zu lesen bekommen.

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