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Debatte um geschlossene Heime: Droht ein Koalitionskrach mit der Linken?

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit will mit Drogen handelnde Kinder in geschlossene Heime schicken. Das teilen nicht alle in der rot-roten Koalition. Wird das Thema zum Streitfall?

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Sie werden aufgegriffen, bleiben ein paar Stunden in einer Betreuungseinrichtung und verschwinden dann wieder, um Drogen zu verkaufen. Das ist in Berlin und anderen Städten die Realität einiger Kinder. In den vergangenen Tagen haben in Berlin vor allem ein Elf- und ein 13-Jähriger von sich reden gemacht. Seitdem wird wieder über geschlossene Heime diskutiert. Lange Zeit galt das vor allem bei Sozialdemokraten und Linken als Tabu. Doch jetzt hat sich Berlins Regierender Bürgermeister und SPD-Vize Klaus Wowereit festgelegt: Er fordert geschlossene Heime für straffällige Kinder. Unterstützung bekommt er von einigen Experten. Die stellvertretende Jugendamtsleiterin in Neukölln, Marion Thurley, würde solche Einrichtungen zum Beispiel begrüßen. Denn in Berlin gebe es für eine geschlossene Unterbringung keine Plätze. Sollte Wowereits Ruf erhört werden, könnte alles ganz schnell gehen: Das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) verhandelt bereits mit Hauseigentümern im brandenburgischen Rauen über den Aufbau einer Einrichtung. „Pro Jahr gibt es in Berlin etwa sechs bis acht Fälle, die so eine Einrichtung nötig hätten, vorwiegend Jungen“, sagt EJF-Leiter Siegfried Dreusicke. Pläne für ein Haus, in dem Jugendliche unter 14 Jahren untergebracht werden können, liegen schon vor.

Wie reagiert die Berliner SPD?

Die Berliner Genossen sind etwas überrascht und nicht sehr glücklich über die Forderung Wowereits nach „geschlossenen Heimen für schwer erziehbare und schwer kriminelle Kinder und Jugendliche“. Den Begriff der „geschlossenen Unterbringung“ wollen nicht nur die Jugendpolitiker, sondern auch der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller in der öffentlichen Debatte vermeiden, weil er negativ besetzt ist. „Ein Zurück zu den geschlossenen Heimen der siebziger Jahre wollen wir nicht“, sagte Müller am Freitag dem Tagesspiegel. Der richtige Weg seien Einrichtungen mit strengen Regeln und einem verbindlichen Tagesablauf, in denen die Kinder nicht nach Lust und Laune ein- und ausgehen könnten. Es gehe darum, die straffällig gewordenen Minderjährigen aus dem „alten Milieu“ herauszuholen. Das Heim im brandenburgischen Frostenwalde sei dafür ein Beispiel. Allerdings fordert jetzt auch Müller, schneller und konsequenter zu handeln. Es könne nicht sein, „dass Kinder mehrfach aus einem Heim abhauen“. Es müssten sofort der richtige Heimplatz gewählt, notfalls mehr Plätze geschaffen und die Zusammenarbeit zwischen den Berliner Behörden verbessert werden.

Die Berliner SPD-Jugendexpertin Sandra Scheeres ist „genervt über diese Nummer mit den geschlossenen Heimen“. Sie sei strikt gegen ein Wegsperren von Kindern. „Wir wollen keine Einrichtungen mit Gittern vor den Fenstern.“ Sondern eine Intensivbetreuung rund um die Uhr weit weg vom Schuss, um die Kinder „aus den Fängen der Erwachsenen, die sie in die Kriminalität treiben, herauszuholen“. In verschiedenen Einrichtungen in Brandenburg sei dies möglich, so Scheeres. Die Frage sei eher, ob dort genügend Plätze vorhanden seien.

Droht ein Koalitionskrach mit den Linken?

Der Landeschef der Linken, Klaus Lederer, und die Fachpolitiker der Berliner Regierungspartei lehnen geschlossene Heime, in denen die Kinder weggeschlossen werden, grundsätzlich ab. Dieses Konzept sei bundesweit gescheitert. Ein großer Koalitionsstreit ist zwar nicht zu erwarten, aber Kritik gibt es trotzdem. So auch vom Linken-Politiker Wolfgang Albers: „Wowereit hat das Problem nicht konsequent zu Ende gedacht.“ Kinder hinter Gittern – das wolle auch Wowereit sicher nicht, sagt Albers. Nach der Sommerpause werde man sich mit der SPD zusammensetzen, um die Positionen miteinander abzustimmen. Albers sieht keine großen Unterschiede zwischen beiden Regierungsparteien. „Die Kinder raus aus dem Milieu, 24-Stunden-Intensivbetreuung, eine spezielle Pädagogik für extrem schwierige Kinder.“ Das koste Geld, sei aber dennoch der richtige Weg. „Kinder-Zuchthäuser wird es nicht geben.“

Was macht die Bundes-SPD?

Von der Parteispitze gibt es keine unmittelbaren Reaktionen zum Vorpreschen Wowereits. Aber die Fachpolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion weisen die Forderung des Parteivize zumindest nicht gänzlich zurück. So auch Caren Marks, familien- und jugendpolitische Sprecherin. Auch mit dem Begriff hat sie im Gegensatz zu ihren Berliner Parteifreunden kein wirkliches Problem. „Ich bin nicht gegen geschlossene Heime, aber es muss das letzte Mittel sein“, sagte Marks dem Tagesspiegel. Wenn man darauf zurückgreife, müsse das sehr genau abgewogen und zeitlich auf das allernotwendigste beschränkt werden. Flankierend müsse eine entsprechend intensive sozialpädagogische Betreuung hinzukommen, „die auch nach dem Heimaufenthalt fortgeführt werden muss“, sagte Marks. Erziehung durch Freiheitsentzug müsse eine große Ausnahme bleiben, „aber es kann ein Mittel sein, die Gesellschaft und auch die Kinder vor sich selbst zu schützen“. Eine Unterbringung in einem solchen Heim dürfe maximal drei Monate lang sein. Wichtig sei es, die Kinder aus ihrem kriminellen Umfeld zu lösen. Dafür müsse es nicht in jeder Stadt geschlossene Heime geben, das könne man auch über Landesgrenzen organisieren. „Dafür müssten aber einige Absurditäten des Asylrechts gelockert werden“, sagte Marks. Denn Flüchtlingskinder dürfen das Bundesland, in dem sie untergebracht sind oft nicht verlassen, weshalb es beispielsweise in Berlin schwierig ist, delinquente Flüchtlingskinder in Brandenburger Heimen unterzubringen.

Wie ist es in anderen Bundesländern?

Momentan gibt es bundesweit 25 Einrichtungen mit rund 350 Plätzen. Diese geschlossenen Heime sind auf vier Länder verteilt: Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg. Aber auch in anderen Ländern gibt es die Diskussion um geschlossene Heime. In Hamburg etwa. Weil dort die Zahl der jugendlichen Gewalttaten steigt, warf die SPD dem schwarz-grünen Senat Versagen vor und stellte einen Forderungskatalog auf. Dazu gehört auch eine Intensivbetreuung in einer geschlossenen Einrichtung, die man sich unter Aufsicht der Jugendhilfe mit anderen norddeutschen Ländern teilen soll. Seit November 2008 gibt es in der Hansestadt keine geschlossene Unterbringung mehr. In Einzelfällen behalten sich CDU und Grüne jedoch eine stationäre Unterbringung außerhalb Hamburgs vor. Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) hält zudem eine Rückkehr zur sogenannten Erlebnispädagogik für möglich. Diese könne gekoppelt mit Auslandsaufenthalten Sinn machen.

Auch in Hessen läuft die Debatte schon länger. Die Koalition von CDU und FDP habe sich bereits 1999 vorgenommen, eine geschlossene Einrichtung für straffällige Kinder neu zu schaffen, sagt der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP). „Immer wenn wir einen Standort für eine solche Einrichtung gefunden hatten, wehrten sich die Nachbarn und vereitelten das Projekt.“ Hahn nannte Wowereits Idee „nicht neu, aber richtig“. Er erwäge jetzt einen neuen Vorstoß in der Sache. Laut Familienministerium ist geplant, eine geschlossene Abteilung mit acht Plätzen in der bestehenden offenen Einrichtung in Sinntal zu schaffen.

Mitarbeit: ball, csl, dhan, obs, pth

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