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Berlins FDP-Landesvorsitzender Christoph Meyer.

© Doris Spiekermann-Klaas

FDP-Landesvorsitzender Meyer: "Wir werden vom Neustart profitieren"

Der designierte FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer erklärt, warum seine Partei in der Berliner Landespolitik gebraucht wird und mit welchen Themen sie bei der Abgeordnetenhauswahl punkten will.

Herr Meyer, wissen Sie noch, wie Ihr Parteifreund Martin Lindner bei einem  FDP-Parteitag  vor drei Jahren die Konkurrenz von der CDU genannt hat?

Bezirkspygmäen?

Politpygmäen. Fehlt der Lautsprecher Martin Lindner, damit man die FDP in der Berliner Landespolitik heraushört?

Wir müssen mit unseren Kernthemen und Kompetenzen – auch wegen der Situation im Bund – glaubwürdig herüberkommen. Das hat Martin Lindner auf seine Art gemacht. Das machen wir jetzt auf eine sicher etwas ruhigere und sachlichere Art. Wenn man sich die Situation in der Stadt so anguckt, ist eine liberale Partei umso wichtiger.

Die Liberalen sind derzeit so friedfertig, dass manche Beobachter sie für klinisch tot halten. Interessieren sich die Leute nicht für Ihre Ideen?

Es ist seit anderthalb Jahren ein Teil unseres Problems, dass es schwer ist, Bürger für liberale Politik zu interessieren. Das liegt daran, dass wir in der Bundespolitik nicht liefern, was wir versprochen haben. Daran müssen wir in der Bundesregierung arbeiten. Dann werden wir im Wahlkampf auch stärker durchdringen.

Warum muss die FDP am Leben bleiben?

Berlin ist das Paradebeispiel dafür, dass es eine liberale Kraft braucht. Wir haben eine Staatsquote von fast 60 Prozent. Wir haben bundesweit die höchste Arbeitslosigkeit, die höchste Armutsquote, die stärksten Probleme mit bildungsfernen jungen Leuten. Das ist das Ergebnis sozialdemokratischer und sozialistischer Politik – wobei manche Fehler davor schon von der großen Koalition gemacht worden sind. Wir sind die einzige Partei, die nicht verspricht, dass der Staat alle Lebensrisiken übernimmt, weil wir glauben, dass der einzelne am besten für sich selbst entscheiden kann. Wir wollen einen Staat, der Rahmenbedingungen setzt und das Notwendige leistet. Das will in Berlin nur die FDP.

Was wird die Leute im Wahlkampf interessieren?

Das ist vor allem die wirtschaftliche Situation und Stagnation in der Stadt. Jetzt hat auch unsere politische Konkurrenz das Thema wieder entdeckt, was ich nach zehn Jahren Regierung unglaubwürdig finde. Wir sagen – als einzige -, dass der Staat keine Arbeitsplätze schaffen kann, sondern nur die Grundlagen für Prosperität. Wir sagen: Nicht die vielen sozialen Probleme müssen im Mittelpunkt der Politik stehen, sondern eine positive wirtschaftliche Entwicklung, die allen Menschen hilft. Dann werden sich die sozialen Verwerfungen ausgleichen.

Sie kritisieren in Ihrem Programm, in Berlin werde zu viel reguliert. „Die Menge und Dichte der Vorschriften und Regelungen macht Berlin zu dem Bundesland mit der derzeit ‚höchsten wirtschaftlichen Unfreiheit’“, heißt es. Haben Sie ein paar Beispiele?

Die vier anderen Parteien kommen stets mit Verboten und Regelungen. Wir sagen: Veränderung gestalten statt Verbote verwalten, mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen sind gut für die wirtschaftliche Entwicklung. Beispiele gibt es ohne Ende, von der Umweltzone, die nichts bringt, bis zu Heizpilzverboten. Das Berliner Vergabegesetz zwingt Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, erst mal 200 Fragen zu beantworten. Zu lange Genehmigungsverfahren, Doppelzuständigkeiten zwischen Bezirk und Land – all das schränkt die wirtschaftliche Prosperität und den Erfolg des Einzelnen ein.

Was würden Sie anders machen?

Die Genehmigungsverfahren sind ein gutes Beispiel. Wir wollen Anzeigeverfahren mit einem Genehmigungsvorbehalt der öffentlichen Hand. Wir drehen das Verhältnis zwischen Bürger oder Unternehmer und Staat um. Bei uns ist der Unternehmer kein Bittsteller – der Staat als kundenorientierter Dienstleister muss antworten und reagieren.

Sie sagen, dass in jedem Jahr 400 Millionen Euro ohne wesentliche Einbußen in der Qualität der Leistungen für die Bürger eingespart werden könnten. Wo vor allem?

Fangen wir mit der rot-rot-grünen Klientelpolitik an. Für den öffentlichen Beschäftigungssektor wird ein dreistelliger Millionenbetrag jährlich verschleudert, um 5000 Erwerbslose zu beschäftigen. Das ist zutiefst unsozial, denn von 240.000 Arbeitslosen werden 5000 privilegiert. Nach drei Jahren hat offenbar auch die SPD verstanden, dass das Geld verschwendet ist – sie will jetzt auch eine Evaluierung des öffentlichen Beschäftigungssektors. Oder die Gemeinschaftsschule: Mit 22 Millionen Euro werden bestimmte Schulen bevorzugt gegenüber anderen Schulformen einschließlich dem Gymnasium. Bei den freiwilligen Berliner Transferleistungen gibt es einen Wildwuchs ohne jede Prüfung des Erfolgs, ob es tatsächlich gelingt, den Menschen in sozialer Not konkret zu helfen. Zu alldem sagen wir: Was nicht evaluiert ist, wird gestrichen. Das gilt auch für alle Arbeitsmarktprogramme, auch für die Kultur

Wie meinen Sie das?

Der Friedrichstadtpalast zum Beispiel ist ein kommerzieller Betrieb, kein zu schützendes Theater. In jeder anderen Stadt der Welt würde er privat betrieben. Das sollte auch bei uns ohne öffentliche Mittel möglich sein.

Meinen Sie, dass zum Beispiel die Opern in Berlin zu stark subventioniert werden?

Wir wollen, dass die Häuser selbst entscheiden können, welche Karten sie wie stark subventionieren.

Sind eine Verwaltungsreform und Personalabbau Vorschläge, mit denen man Anhänger gewinnt?

Ja. Irgendeiner muss es ehrlich sagen und vorantreiben. Warum braucht Berlin im öffentlichen Dienst 13 000 Stellen mehr als Hamburg, um die gleichen Leistungen anzubieten. Was hier im öffentlichen Dienst verschwendet wird, könnte woanders sinnvoller ausgegeben oder für den Schuldenabbau aufgewendet werden. Wir werden in den kommenden Jahren weitere Einnahmeausfälle verkraften müssen. Die Solidarpaktmittel werden wegfallen. Der Länderfinanzausgleich soll neu verhandelt werden. Da ist es sinnvoll, Personalabbau zu fordern.

Der Sozialmarkt gilt als eine Art schwarzes Loch im Haushalt. Wie spart man dort Geld – und wie viel ist möglich?

Wir haben vom Senat Transparenz bei allen Zuwendungssystemen gefordert. Das hat der Senat verweigert. Wir wollen, dass weitere Zahlungen an einen nachweisbaren Erfolg gekoppelt werden. Erfolg ist aber nicht die Existenz eines sozialen Trägers. Erfolg ist, wenn Menschen aus einer Situation befreit werden, in der sie Hilfe brauchten. Mir scheint der Großteil der Förderung in Berlin ein verzweifeltes Herumdoktern an Symptomen zu sein. Wir fördern in Berlin serbische Volkstänze und ein Quartiersmanagement, das Christbaumparaden organisiert. So was kann man sofort streichen.

Sie halten überhaupt nichts vom Quartiersmanagement?

Richtig. Es geht immer mehr Geld ins Quartiersmanagement, und es wird für die Verwaltung von sozialen Brennpunkten ausgegeben. Die Berichte zum Sozialmonitoring zeigen doch, dass es nichts bringt. Dort, wo sich die Bevölkerungsstruktur ändert, wo privat investiert und der Stadtraum aufgewertet wird, da wird die soziale Struktur insgesamt besser: Weil Arbeit in den Kiez kommt, weil Läden nicht abwandern. Der Staat sollte sich in Problembezirken allein um Infrastruktur kümmern, um Kindergärten und Schulen mit guten pädagogischen Konzepten.

Wie macht die FDP Sozialpolitik?

Wenn man sieht, wie viel Geld der Staat für angeblich Benachteiligte ausgibt, muss man sich fragen, ob nicht diejenigen die Benachteiligten sind, die dieses Geld mit ihrer Arbeit verdienen. Sozialpolitik ist zunächst Bildungspolitik. Das geht bei kleinen Kindern los. Wir denken an eine Kita-Pflicht für Kinder in den beiden Jahren vor Schulbeginn, wenn sie Sprach- oder Entwicklungsdefizite haben. Wir wollen eigenverantwortliche Schulen, die gemeinsam mit den Eltern Konzepte entwickeln.

Der Etat des Bildungs- und Jugendsenators ist der größte in Berlin, doch das Geld scheint nicht anzukommen, wo es gebraucht wird. Woran liegt das?

Berlin gibt pro Schülerkopf am meisten Geld für Bildung aus und wir haben bundesweit den schlechtesten Bildungserfolg. Das kann man ändern, wenn möglichst wenig Geld für die Verwaltung von Bildung ausgegeben wird und möglichst viel direkt an den Schulen. Wir wollen das Prinzip „Geld folgt Kind“ – einen Kostensatz pro Kind und Schule, den man mit Fördermitteln bei Bedarf erhöhen kann. Und dann sollen die Schulen vor Ort entscheiden, was für welche Kinder am besten ist. Deshalb sollen die Schulen mehr Finanzierungs-, Budget-, Personal- und Gestaltungsfreiheit bekommen. So können sie am besten auf Defizite reagieren.

Sechs der elf FDP-Abgeordneten sind 40 Jahre alt und darunter. Dennoch bringt man das junge Berlin nicht mit der FDP zusammen. Was bewegt nach Ihrer Auffassung die jungen Berliner?

Die bewegt die eigene Erwerbsperspektive. Berlin ist unglaublich lebenswert. Deshalb wollen hier so viele studieren. Doch weil sie keine Perspektive in der Stadt haben, ziehen sie woanders hin. Arm war und ist nicht sexy. Deshalb muss hier alles Vorrang haben, was mit Arbeit und unternehmerischer Aktivität zu tun hat. Das ist zu fördern. Nehmen Sie Charité/Vivantes – da wird nur noch der Mangel verwaltet. Das ist für viele von Bedeutung, die sich nach ihrer Perspektive in der Stadt fragen.

Vor zehn Jahren konnte man den Eindruck haben – vielleicht lag das an Guido Westerwelle -, die FDP sei die Partei der jungen Leute. Haben Sie den Eindruck, dass junge Leute in der Stadt mit Ihrer Partei mehr anfangen können als mit anderen?

Wir merken das durchaus an den Mitgliederzahlen und am Wahlverhalten: Wir haben in den vergangenen Jahren deutlich bei Wählern bis 40 oder 45 zugelegt, die mitten im Leben stehen.

Die Partei mit dem Hype sind die Grünen. Was treibt den grünen Höhenflug?

Die Grünen sind eine Projektionsfläche und schaffen es, ein Lebensgefühl darzustellen und gleichzeitig mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Und sie sind nicht in der Lage, die Lücke zwischen Lebensgefühl und ihren inhaltlichen Zielen glaubwürdig zu schließen. Ein Beispiel: Die Grünen denken daran, die Gewerbesteuer zu erhöhen. Da muss sich jeder Freiberufler fragen, ob die Grünen die richtigen für ihn sind. Oder die Verkehrsinfrastruktur: Wer eine wachsende Stadt will braucht zum Beispiel den BBI. Frau Künast hat erfrischend ehrlich gesagt, sie wolle nur einen Regionalflughafen. Darauf liefe es hinaus, wenn von 22 bis sechs Uhr ein Nachtflugverbot gilt. Die Grünen reden von eigenverantwortlichen Schulen, fordern die Verbeamtung von Lehrern und stellen die Existenz der Gymnasien in Frage: noch so ein Punkt, an dem die grünen Ziele nicht stimmig sind. Das wird aber durch einen Wohlfühlfaktor überdeckt.

In der Bundes-FDP gab es Turbulenzen. Was erwarten Sie jetzt von Ihren Parteifreunden?

Wir müssen das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen. Wir müssen in der Bundesregierung jetzt umsetzen, was wir in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben. Das ist uns nicht gelungen, deswegen sind wir in einer Vertrauenskrise. Der Bundesparteitag im Mai wird uns einen Neustart möglich machen. Davon werden wir auch hier in Berlin profitieren.

Was wäre denn ein FDP-Erfolg?

Zum Beispiel die Steuervereinfachung, eine Mehrwertsteuerreform oder die Gemeindefinanzreform.

Vor drei Jahren konkurrierten Martin Lindner und Markus Löning um den Parteivorsitz. Sie haben Lönings Ergebnis bis auf eine Stimme richtig vorausgesagt. Wie viele Stimmen wird Christoph Meyer jetzt bekommen?

(seufzt.) Das hängt mir ewig nach. Ich glaube, wir haben die Konflikte der letzten Jahre ausgestanden. Jetzt ziehen alle in der Berliner FDP an einem Strang. So werden wir im Herbst auch wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen.

Mit dem FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Christoph Meyer sprach Werner van Bebber

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