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Heinz Buschkowsky: "Wir müssen uns zum Anwalt der Kinder machen"

Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky spricht im Tagesspiegel-Interview über mögliche Sanktionen bei staatlichen Zahlungen, wenn Eltern ihre Kinder nicht fördern.

Herr Buschkowsky, der Juraprofessor Günter Witzsch hat im Auftrag des Tagesspiegels ein Gutachten erstellt, welche Sanktionen möglich sind, wenn Migranten eine Integration ihrer Kinder verweigern und behindern. Sie kennen das Gutachten.

Das Gutachten ist sehr hilfreich. Es räumt mit dem Märchen auf, dass es gegen die Verfassung verstößt, Sanktionen im Transferbereich vorzunehmen. Das Gutachten hält es auch für zulässig, dass statt finanzieller Förderung Sachleistungen für die Kinder erbracht werden können. Dabei unterscheidet es zwischen dem physischen Minimum, also Essen, Trinken, Wohnen und der Teilhabe an der Gesellschaft, etwa über Bildung. Bei diesem zweiten Teil sind Sachleistungen zulässig. Auch eine Umwidmung von Kindergeld hält der Gutachter für möglich.

Man kann also einen Zwang ausüben.

Ja, die Gesellschaft darf auch ungewöhnliche Schritte gehen, wenn es den Kindern hilft. Bis zu 20 Prozent Umwidmung des Kindergelds hält der Gutachter für völlig unproblematisch, darüber hinaus müsse man sehen, was Gerichte dazu sagen. Es kommt dann darauf an, was mit dem nicht ausgezahlten Geld geschieht. Wenn damit das Schulessen bezahlt wird, fällt das wieder ins physische Minimum.

Kann das Gutachten der Politik eine Handlungsanweisung sein?

Es ist jedenfalls ein deutlicher Fingerzeig, dass die Spielräume in der Familienpolitik größer sind als bisher gedacht. Ich hoffe, jetzt setzt ein Umdenken ein. Es wird ja immer die Keule herausgeholt: „Das wird sowieso vom Verfassungsgericht kassiert“. Es gibt weite Spielräume, aber sie müssen intelligent und transparent genutzt werden.

Was ist das Dringlichste, das zu tun ist?

Wir können nicht auf einen Schalter drücken und ab morgen ist alles gut. Integrationpolitik ist ein langfristiger Prozess. Der Weg geht über die Kinder, deswegen haben wir einen Verzögerungsfaktor. Wir müssen das Bewusstsein in den bildungsfernen Familien verändern, denn die sind die mit den hohen Kopfzahlen.

Haben diejenigen, die das Problem darstellen, eine Ahnung davon, dass sie ein Problem sind, oder begreifen die das gar nicht?

Genau das. Die Frage ist schon die Antwort. Es fehlen schon bei den Eltern die sozialen Kompetenzen, überhaupt zu verstehen, was sie den Kindern mitgeben müssen, damit diese Kinder in ihrer neuen Heimat überhaupt Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben.

Wie kann man ihnen das vermitteln?

Da bin ich inzwischen desillusioniert. Elternarbeit funktioniert hier nicht. Die Elterncafés an den Schulen nutzen meist nur die Bildungsorientierten. Die Bildungsfernen entziehen sich völlig. Der Erfolg kommt nur über die Kinder. Deswegen: Kindergartenpflicht, Ganztagsschule – das ist aus meiner Sicht der einzige Erfolg versprechende Weg. Aber wenn ich das jetzt im Tagesspiegel sage, kommt morgen eine Lawine von Protestmails: Herr Buschkowsky, nur weil Sie Probleme mit der Unterschicht haben, wollen Sie mir mein Kind wegnehmen?

Es ist etwas anderes, ob man es freiwillig tut oder ob man es muss.

Wir wollen ja nicht das Sorgerecht entziehen, sondern nur die Schulpflicht nach vorne verlegen. Frankreich und England machen das schon lange. Wir wollen die Kinder auch nicht den ganzen Tag pädagogisieren. Noch etwas: Wenn wir die Kitapflicht jetzt diskutieren, geht es um die Einführung in vielleicht zehn Jahren.

Dann verlieren wir noch eine Generation.

Ja, eine weitere Generation werden wir verlieren. Wenn man eine Kindergartenpflicht einführt, muss man auch alle Kinder mit Plätzen versorgen, wobei die Ausstattung in Deutschland sehr unterschiedlich ist. Berlin könnte es vielleicht in fünf Jahren schaffen. Dahinter verbirgt sich ein gigantisches Bauprogramm. Das gleiche gilt für die Schaffung von Ganztagsschulen. Über Nacht schaffen wir das nicht, aber wir müssen heute entscheiden, dass wir dahin wollen.

Ohne Zwang geht es also nicht?

Die menschliche Intelligenz wächst durch Kindergarten und Schule. Es gibt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einer bildungsfernen Familie das Gymnasium besucht und abschließen wird, steigt, wenn es in der Krippe war, um 80 Prozent! In Neukölln sind 90 Prozent aller Jobcenterkunden unter 25 nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar, weil sie die Kompetenzen nicht mitbringen. Der demografische Hammer läuft auf uns zu. Deswegen müssen wir das Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen. Ich sage: Kindergeld nur zur Hälfte auszahlen und die andere Hälfte direkt in die Bildungseinrichtungen stecken.

Wird das geplante Berliner Integrationsgesetz irgendetwas verbessern?

Da steht ja nichts drin! Das Gesetz befasst sich damit, wie wir Leichen unter die Erde bringen. In dem Gesetz sollte stehen, welche Rechte und Pflichten Migranten haben und was Aufgabe der Gemeinschaft ist. Wer sich in einen anderen Kulturkreis begibt, muss wissen, dass dort andere Spielregeln gelten als zu Hause, und er muss sich vorher überlegen, ob die für ihn passen oder nicht. Wenn es ihm bei uns nicht passt, muss er sich ein anderes Land suchen.

Was für Reaktionen bekommen Sie von muslimischen Organisationen?

Die sagen: Recht hast du, Bürgermeister! Aber die Bildungsfernen sind auch nicht in den Migrantenvereinen. Die leben in ihrer Parallelwelt, in der es heißt: Die Deutschen leben in Sünde, essen Schweinefleisch und zeigen sich nackt. Mit den deutschen Kindern spielst du nicht.

Haben die denn keine Pläne für die Zukunft ihrer Kinder?

Alles, was passiert, ist Gottes Wille – so sehen viele das. Aber wenn diese Familien ihren Kindern die Zukunft nehmen, indem sie verhindern, dass sie Bildung tanken, zu einem sozialen Menschen werden und sich nach einem urbanen Leben in Selbstbestimmung sehnen, dann muss die Gesellschaft intervenieren. Da müssen wir uns zum Anwalt des Kindes machen. Deswegen muss man Einschnitte in den Transferbereich machen.

Gibt es auch etwas Positives?

Natürlich. Bei allen Problemen: Es gibt drei Gymnasien in Nord-Neukölln, mit 90 Prozent Zuwandererkindern.

Das Interview führte Fatina Keilani

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