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© Thilo Rückeis

Interview: "Das Klima ist rauer geworden"

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Protest am 1. Mai.

Herr Körting, haben Sie schon einen Stapel neuer Berlin-Stadtpläne bestellt?



Nein. Wozu?

Für auswärtige Polizisten, die am Wochenende für Sicherheit in der Stadt sorgen sollen, sich aber hier nicht gut auskennen.

Das Problem haben wir nicht. Ein Großteil der auswärtigen Einheiten, mit denen wir arbeiten, ist schon mal hier gewesen. Die kennen die Situation. Und natürlich setzen wir an den Brennpunkten ortskundige Polizisten ein, die auch die Wege über die Hinterhöfe kennen.

Sehen Sie also diesem 1. Mai so gelassen entgegen wie dem Maifeiertag 2008?

Meine Grundaussage ist: Das Klima ist rauer geworden. Die Menschen sind durch die Wirtschaftskrise stärker emotionalisiert als vor einem Jahr. Ich gehe davon aus, dass sich das vor allem verbal äußern wird und nicht in Gewalt. Das sehen auch die Sicherheitsbehörden so. Natürlich macht es uns ein bisschen Sorge, dass wir zwei zusätzliche polizeiliche Schwerpunkte haben – die NPD-Kundgebung in Köpenick und eine Sportveranstaltung in der O2-Arena …

Sie meinen das Basketballspiel Athen gegen Piräus, bei dem Hooligans beider Mannschaften erwartet werden …


Dadurch ist die Belastung der Polizei höher. Aber es wäre verkehrt, jetzt Panik zu machen und zu sagen: Hier steht Gewalt unmittelbar bevor. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Und doch hat man das Gefühl, dass sich die Stimmung hochschaukelt. Linksradikale Randalierer haben der Polizei in den vergangenen Wochen öfter mal ein Schnippchen geschlagen mit Brandanschlägen auf Geschäftshäuser, zum Beispiel auf SAP, auf Autos, mit Buttersäureanschlägen auf Restaurants.

Das hat eine Qualität, wie wir sie im vergangen Jahr nicht hatten. Doch warne ich davor, das zur Basis des 1. Mai zu machen – es wird uns auch nach dem 1. Mai weiter begleiten. Das kommt aber nicht von der Masse der Menschen, die am 1. Mai demonstrieren werden. Und auch nicht von denen, die im vergangenen Jahr durch Gewalt aufgefallen sind. Ich rechne für den 1. Mai mit einer ähnlichen Klientel wie 2008. Und ich glaube nicht, dass es so etwas wie einen zündenden Funken gibt – und dann stecken plötzlich alle Autos an. Allerdings gibt es auch eine Klientel, die den 1. Mai nutzen könnte, um parallel zu diesem Tag Anschläge zu verüben. Davon muss man ausgehen.

Es gibt also zwei Gruppen, von denen möglicherweise Gewalt ausgehen wird: Die Jugendlichen, die Randale wollen. Und eine radikalisierte Szene, die es für sinnvoll hält, Autos abzufackeln, und die das vor dem 1. Mai getan hat und auch darüber hinaus tun will. Sind diese Aktivitäten Ausdruck dessen, was Sie mit dem raueren Klima meinen?

Nein. Das ist keine organisierte Aktion. Es sind Einzeltäter, die sich durch das Klima in einer bestimmten Szene animieren lassen. Da stellen wir eine stärkere Gewaltbereitschaft als im vergangenen Jahr fest. Man sieht es an der Zahl der angezündeten Autos. Das rauere Klima wird sich vermutlich eher bei den Demonstrationen zeigen. Das Verständnis der Bürger für das, was mit der Wirtschafts- und Finanzkrise passiert, ist begrenzt – da beziehe ich mich als Bürger ein. Mein Verständnis für Leute, die ihre Firma in den Ruin treiben und dafür auch noch Boni kriegen, ist sehr begrenzt. Viele Leute verstehen das nicht und haben das Gefühl: Hier passiert eine Ungerechtigkeit. Das wird sich stärker äußern – aber nicht durch Gewalt.

Es gibt SPD-Politiker, die soziale Unruhen wegen der Finanzkrise erwarten. Sie auch?

Ich glaube, dass die meisten Leute vernünftig sind. Sie wissen, dass das Einwerfen von Fensterscheiben oder das Anzünden eines Autos, das sich ein Arbeiter zusammengespart hat, die Probleme nicht löst. Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass wir Verhältnisse wie etwa in Frankreich bekommen werden. Doch kann ich mir vorstellen, dass zumindest die großen Demonstrationen mehr Zulauf haben werden. Die DGB-Demonstration hat in den vergangenen Jahren eher ein Schattendasein geführt. Da könnte es wieder lauter werden.

Politisch motivierte Gewalt und Widerstand gegen „das System“ spielen in der Kultur heute durchaus eine Rolle – denken Sie nur an den Film „Die fetten Jahre sind vorbei“. Ist es nicht erstaunlich, dass in Wirklichkeit so wenig passiert?

So wenig? 2007 hatten wir eine hohe Anzahl an Brandanschlägen, das war damals die Debatte um „Volxsport“. 2008 ist es dann weniger gewesen. Das hat auch etwas mit der linksextremistischen Szene zu tun. Innerhalb der Szene ist die Zahl der Leute, die so etwas gut finden, sehr begrenzt. Linksextremisten träumen von Verstaatlichung oder Strafverfahren gegen Manager wegen Veruntreuung, aber nicht davon, dass man durch die Straßen zieht und die Scheiben von Läden einschmeißt.

Fühlen Sie sich eigentlich von Ihrem Koalitionspartner Linke ausreichend im Kampf gegen die Gewalt unterstützt?

Ja. Bei Einzelnen ist die Bereitschaft zur Gewalt stärker geworden. Das beunruhigt mich auch politisch. Aber wir sind uns einig, das zu unterbinden – das gilt für alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus.

Immerhin wird die als gewaltbereit eingeschätzte radikale 18-Uhr-Demo am 1. Mai von einem BVV-Mitglied der Linken angemeldet, und auch sonst grenzt sich die Linke oft nur zögerlich vom radikalen Links-außen-Spektrum ab …

Die Bundes-Linke hat durch die Vereinigung mit der WASG viele Grüppchen aufgenommen. Da sind auch ein paar linksextremistische Gruppen eingesickert. Da ist eine Abgrenzung sicher noch deutlicher nötig – aber das gilt für die Bundeslinke. Bei der Berliner Linken sehe ich das überhaupt nicht. Die Demonstration würde ich nicht zu einer gewaltbereiten Demo hochstilisieren wollen. Wir haben sie in den letzten Jahren ohne nennenswerte Folgen zum Endplatz geführt. Die Krawalle danach sind nicht aus der Demonstration heraus passiert, sondern im Anschluss und auch nur sehr begrenzt von Demonstrationsteilnehmern.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren mit Blick auf den 1. Mai sehr um die Migranten und deren Organisationen gekümmert. Dieses Jahr auch wieder?

Ja, wir haben eine Veranstaltung mit dem Bezirksbürgermeister und Migrantenvereinen im Rathaus Kreuzberg gehabt. Aber das ist ja nicht nur auf die Migrantenorganisationen beschränkt. Ich habe am vergangenen Freitag noch einmal eine Moschee in dem Bereich besucht und bei den Moscheevertretern noch einmal dafür geworben, auf die Kids einzuwirken. In den vergangenen Jahren waren am Abend des 1. Mai viele arabische oder türkische Jugendliche an der Randale beteiligt. Im Jahr 2008 konnten wird das ein bisschen eindämmen. Wir haben jetzt im Vorfeld auch 7000 Schüler angesprochen.

In Köpenick will sich ein Protestbündnis der NPD-Kundgebung entgegenstellen. Wie wird das ausgehen?


Da haben wir ganz klare Verhältnisse. Die NPD hat eine Veranstaltung an ihrem Gebäude dort, vielleicht sogar auf dem Hof des Gebäudes. Wenn sie die Veranstaltung auf die Straße verlegt, werden links und rechts Versammlungen dagegen stattfinden. Aber die werden in einem so ausreichenden Abstand sein, dass es zu Gewalttätigkeiten zwischen den Gruppen nicht kommen sollte.

Das Gespräch führten Werner van Bebber und Lars von Törne.

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