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Interview mit Carola Bluhm: "Der Druck auf Arbeitslose wird größer"

Die künftige Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) richtet sich auf schwere Zeiten ein, Sie will sich dafür einsetzen, dass die Mieten in der Innenstadt für alle bezahlbar bleiben.

Bei der Bundestagswahl hat sich die Linke in Berlin verbessert, während ihr Koalitionspartner SPD schwächer geworden ist. Verschiebt das die Kräfteverhältnis zu Ihren Gunsten?



Faktisch erst einmal nicht. Es war ja eine Bundestagswahl, aber die war für uns in doppelter Hinsicht positiv. Die Ergebnisse zeigen nämlich, dass es geht, in Berlin unter schwierigen Verhältnissen zu regieren und im Bund eine klare oppositionelle Haltung mit sozialem Gehalt zu vertreten. Es gab Zeiten, in denen das schwieriger war. Man sieht jetzt auch, dass es der SPD nicht gelingt, die Linke in einem rot-roten Bündnis kleinzumachen.

Befürchten Sie, dass die SPD ihr Glück künftig weiter links suchen und damit Ihre Wähler ansprechen wird?

Ich habe keine Angst vor einer linkeren SPD. Wir bleiben konkurrierende Parteien, wir haben ein unterschiedliches Wählerspektrum. Es ist spannend zu sehen, dass die Sozialdemokraten momentan eine harte Auseinandersetzung um ihren früheren bundespolitischen Kurs führen und dass sie jetzt auch stärker nach sozialer Gerechtigkeit fragen.

Udo Wolf, Ihr Nachfolger als Fraktionschef, hat festgestellt, dass Rot-Rot in den letzten sieben Jahren nicht ausreichend klarmachen konnte, welche Vorteile Berlin von einer linken Regierung hat. Gibt es Punkte, bei denen man nachbessern muss?

In der ersten Legislaturperiode ging es klar um Konsolidierung. Danach haben wir aber auch drei zentrale Projekte gestartet und zwar zutiefst linke Projekte.

Welche sind das?

Zum einen die Frage des öffentlichen Eigentums. Wir haben ein Stoppschild gesetzt bei weiteren Privatisierungen. Es ist ein großer Erfolg, Berlins Krankenhäuser nicht privatisiert zu haben und bei den Wohnungsbaugesellschaften innezuhalten. Dann ist da der Öffentliche Beschäftigungssektor, kurz ÖBS, mit dem mehr als 7000 Menschen, die lange arbeitslos waren, eine berufliche Perspektive erhalten haben. Und natürlich war es wichtig, Bildungspolitik darauf auszurichten, dass es Chancengleichheit in der Gesellschaft gibt. Das haben wir mit der Gemeinschaftsschule getan.

Was steht jetzt noch aus?

Ein ganz wichtiges soziales Thema wird die Mietenpolitik. Die Frage, wer sich noch leisten kann, in der Innenstadt zu wohnen, wird drängender. Das macht auch Lebensqualität aus. Wir müssen als Koalition alles tun, diese zu erhalten. Gerade bei Neuvermietungen ziehen die Mieten an. Auch auf Bundesebene müssen wir für Mietbegrenzungen streiten.

Alle Vorhaben müssen finanziert werden. Die Linke will auch mehr Geld für den öffentlichen Dienst und die Kitas. Geht der bisherige Konsolidierungskurs mit Blick auf die nächsten Wahlen zu Ende?

Wir werden auf absehbare Zeit keinen angemessen ausgestatteten öffentlichen Haushalt haben. Wir sind aber auch verpflichtet, generationengerecht zu denken, und deshalb der Haushaltskonsolidierung weiterhin verpflichtet. Aus diesem Spannungsfeld können wir uns nicht verabschieden.

Der öffentliche Dienst scharrt kräftig mit den Füßen, um jetzt mehr Geld zu bekommen.

Wenn man sich die Entwicklung mit dem Solidarpakt seit 2003 ansieht, ist klar: Es gibt eine Bringschuld gegenüber den Beschäftigten. Wir können nach dem Auslaufen des Solidarpakts nicht ewig auf dem Stand von 2003 verbleiben.

Also mehr Geld für die Beschäftigten und weniger Konsolidierung?

Wir als Fraktion haben gesagt, dass wir unsere Schwerpunktsetzung in den Haushaltsberatungen erkämpfen werden. Wir werden uns alle Haushaltsansätze genau anschauen müssen. Wir wollen neue Schulden vermeiden, aber wir können sie nicht ausschließen.

In Berlin leben rund 320.000 Haushalte von Hartz IV. Ist das nicht das drängendste Problem der Stadt?

Wir bleiben bei unserer grundsätzlichen Kritik an den Hartz-IV-Regelungen. Dagegen ist der ÖBS eine echte Brücke in den Arbeitsmarkt. Dort ist ein Mindestlohn verankert, und die Menschen, die vorher lange arbeitslos waren, erhalten die Möglichkeit, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben und darüber so viel Selbstbewusstsein zu bekommen, um den Absprung in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.

Der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin hat sich sehr pointiert über die Unterschicht in Berlin geäußert, die kaum am Wirtschaftskreislauf teilnehme. Gab es in der Vergangenheit zu viel Förderung und zu wenig Forderung?

Hartz IV hat gerade versucht, dies umzukehren – etwa mit der Notwendigkeit, jede Arbeit annehmen zu müssen. Aber man kann eben keine Arbeit annehmen, die es nicht gibt.

Sarrazin hat großen Gruppen der Migranten unterstellt, nicht integrationsfähig und -willig zu sein. Was ist da dran?

Sarrazins Äußerungen sind rassistisch. Er verallgemeinert und nimmt pauschale Eingruppierungen von Ethnien vor. Das hat mit Wahrheit nichts zu tun und löst auch kein Problem.

Wo sehen Sie in Ihrem neuen Job als Senatorin die Großbaustellen?

CDU und FDP wollen offensichtlich Hartz IV ganz krass als Sparbüchse gebrauchen. Die Vermutung, dass es in der Arbeitsmarktpolitik einen Paradigmenwechsel geben wird, ist allenthalben groß. Was da kommen wird, ist noch unklar. Wichtig ist aber, vorbereitet zu sein.

Was befürchten Sie denn?

Ich fürchte, dass die von Arbeitslosigkeit Betroffenen mit noch weniger dastehen werden. Und der Druck wird wachsen, jetzt dem Einzelnen die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit zu geben, obwohl dahinter ja eines der größten strukturellen Probleme der Gesellschaft steckt.

Ein Riesenproblem, das auf Sie zukommt, sind die Jobcenter. Die funktionieren nicht richtig, und das Sozialgericht schiebt 17.000 Hartz-IV- Klagen vor sich her.

Wir kriegen als Land die Dresche dafür, obwohl unsere Einflussmöglichkeit gegenüber dem Bund gering ist. Aber wenn wir jetzt die Chance auf mehr Einfluss bekommen könnten, sollten wir sie auch in diesem problematischen Bereich nutzen. Um die finanzielle Ausstattung werden wir mit dem Bund streiten müssen wie die Kesselflicker.

Ein großes Thema werden die sogenannten „Aufstocker“ sein, die ihre bescheidenen Löhne mit Hartz IV aufbessern müssen. Auf Bundesebene dürften Sie da ja wenig Unterstützung erwarten.

Wir haben ja den größten Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Allerdings sind von 1,63 Millionen Beschäftigungsverhältnissen nur etwa eine Million sozialversicherungspflichtig. Die anderen sind Minijobs oder schlecht bezahlt oder anderweitig prekär. Deshalb setzen wir uns weiter für den Mindestlohn ein, haben gerade ein Vergabegesetz im Senat verabschiedet, wonach Berlin öffentliche Aufträge nur an Firmen vergibt, die soziale und Umweltstandards einhalten. Auch Menschen mit sehr niedrigem Erwerbseinkommen sollten den Berlin-Pass bekommen. Wir werden außerdem noch intensiver bei den Anbietern von Vergünstigungen werben, damit es viele Angebote gibt. Und jeder Berechtigte sollte von dem Angebot wissen – auch eine 16-Jährige, deren Eltern das vielleicht gerade nicht interessiert.

Vor ein paar Monaten haben Sie die Hartz-IV-Kostensätze für Einpersonenhaushalte erhöht. Reicht das aus?

Nein. Aber die Mietproblematik betrifft auch viele Geringverdiener. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht die Betroffenengruppen gegeneinander ausspielen. Einfach die Richtwerte zu erhöhen, so dass Hartz-IV-Empfänger profitieren, aber die Suche für andere Geringverdiener wie Rentner oder Studenten noch schwieriger wird, kommt nicht infrage.

Von Herrn Sarrazin haben wir erfahren, dass ganze Migrantengruppen kaum am Wirtschaftsleben teilnehmen. Dieser Befund ist ja zumindest teilweise richtig – und beschreibt ein Problem, das wächst.

Tatsächlich schaffen viele Migranten es nicht, ihre Ausbildung abzuschließen …

… viele bekommen erst gar keinen Ausbildungsplatz.

Ja, deshalb setzen wir bei der Bildung an, und zwar möglichst schon in der Kita. Da muss die Förderung losgehen.

Sarrazin hat einigen Gruppen ja den Willen zur Integration abgesprochen.

Ich finde es ist verheerend, Menschen derart abzuschreiben. Was meinen Sie, was es bei Kindern anrichtet, wenn sie ständig hören, dass sie es sowieso nicht schaffen werden.

Die Instrumente zur Einbindung von Migranten sind doch vorhanden, aber die Erfolgsquote ist mager.

Es gibt gute Projekte, bei denen schwer benachteiligte Jugendliche binnen drei Jahren so fit werden, dass sie ihr Leben in den Griff bekommen. Es geht dabei weniger um die Zahl der Ausbildungsplätze als darum, dass die richtigen Leute an die richtige Stelle kommen. Eine neue und außerdem kostengünstige Idee in dieser Richtung entwickle ich gerade. Aber die muss ich erst mit den Beteiligten absprechen, bevor sie in der Zeitung steht. Seien Sie sicher, dass da was kommt.

Das Gespräch führten Sigrid Kneist und Stefan Jacobs.

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