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Koalitionsstreit: Lompscher stoppt Kompromiss

Die Koalition streitet über den Kinderschutz und die Zahl der benötigten Sozialarbeiter. Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher rückte vom bisherigen Entwurf wieder ab.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hat einen behördeninternen Kompromiss über die Zahl der Sozialarbeiter, die für den Kinder- und Jugendschutz in Berlin benötigt werden, wieder aufgekündigt. Somit bleibt offen, ob der Senat am Dienstag, wie versprochen, den Koalitionsstreit schlichten kann. Dem Vernehmen nach hatten sich die Fachleute in der Gesundheits- und Finanzverwaltung bereits geeinigt, doch wurde das neue Konzept von Lompscher gestoppt.

Ursächlich für den anhaltenden Streit zwischen SPD und Linken ist aber wohl nicht der Eigensinn der Senatorin, sondern eine schlampige Vorbereitung der Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die kurz vor der Abgeordnetenhauswahl 2006 von Rot-Rot in Gesetzesform gegossen wurde, obwohl in der parlamentarischen Beratung viele Fragen offen blieben. Auch die „personalwirtschaftlichen Auswirkungen der Reform“ wurden nur scheinbar geklärt. Eine Senatsvorlage an den parlamentarischen Hauptausschuss vom 22. August 2006 enthielt, das wurde jetzt erst entdeckt, widersprüchliche Zahlen über die notwendigen Stellen für Sozialpädagogen im Bereich „Prävention und Gesundheitshilfe für Kinder und Jugendliche“.

Zunächst nannte die Vorlage als Bemessungsgröße: 2,5 Sozialpädagogen pro 10 000 Kinder bis 18 Jahren. Das wären 125 Stellen gewesen. Drei Seiten weiter wurden in einer erläuternden Tabelle aber nur 92 Stellen aufgeführt. Seitdem geistern beide „Zielgrößen“ durch den politischen Raum. Dem Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) gefällt die niedrigere Zahl natürlich besser. Selbst wenn man die 24 Sozialarbeiterstellen hinzuaddiert, die der Senat für die Verdichtung des Netzwerks Kinderschutz den bezirklichen Gesundheitsämtern zusätzlich gönnt, kommt man nur auf 116 Stellen. Planstellen gibt es derzeit sogar 118. Demnach wäre – auf dem Papier – genügend Personal vorhanden.

Das sieht ganz anders aus, wenn man die 125 Stellen als Bezugsgröße zugrunde legt. Was nun richtig – und gut für die in Not geratenen Kinder – wäre, konnte die Koalition in den vergangenen zwei Jahren nicht entscheiden. Nun soll es der Senat am Dienstag richten. Die Entscheidung wird noch dadurch erschwert, dass das Sparziel für den gesamten öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin, vor allem von der Linken, wieder in Zweifel gezogen wird. 2004 waren es noch 2100 Stellen, in den nächsten Jahren soll die Zahl auf 1550 sinken. Trotzdem wird es, wegen der starken Überalterung der Mitarbeiter, viele Neueinstellungen geben müssen. Außerdem sollen bestimmte Aufgaben, die nicht zum Kernbereich der staatlichen Gesundheitsfürsorge gehören, an freie Träger vergeben werden. Aber auch das ist koalitionsintern strittig.

Dabei sind alle diese Probleme seit Beginn der Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Berlin bekannt. Allerdings stand die Debatte, an der sich Fachleute, Bezirke, Senat und Parlament in verschiedenen Gremien intensiv beteiligten, von Anfang an unter dem Eindruck der Berliner Haushaltsnotlage. Die CDU sprach damals von einem „finanziellen Kahlschlag“, um zulasten der Bevölkerung 8,4 Millionen Euro jährlich einzusparen. Und manche Forderungen der Opposition blieben unerhört, wurden inzwischen aber vom Senat übernommen

Zum Beispiel forderte die Grünen-Politikerin Elfi Jantzen schon 2005, die Kinder- und Jugenddienste der Gesundheits- und Jugendämter zusammenzulegen. Der frühere Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse bezeichnete dies aber als „sekundäre Frage“. Die Gewerkschaft Verdi wiederum forderte im Juni 2006 einen Einstellungskorridor; in den nächsten fünf Jahren würden 60 Prozent der Beschäftigten aus Altersgründen weggehen. Für die Aufgaben des Gesundheitsdienstes müssten außerdem verbindliche Mindeststandards festgelegt werden. Trotz der massiven Kritik von allen Seiten beschloss Rot-Rot dann ein Reformgesetz, das im Wahlkampf 2006 als Erfolg verkauft wurde – doch jetzt holen damals ungelöste Probleme die Koalition ein.

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