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Die Regeln zur Aktenvernichtung sollen überarbeitet werden.

© dapd

Konsequenz aus Schredderaffäre: Koalition: Verfassungsschutz soll besser kontrolliert werden

Als eine Konsequenz aus der Berliner Affäre um geschredderte Akten erwägen SPD und CDU die Ernennung einer "Vertrauensperson" des Parlaments. Bis Mitte nächsten Jahres soll die Organisation des Amtes überprüft werden.

Als eine Konsequenz aus dem Schredderskandal zeichnet sich die Ernennung eines Sonderermittlers des Abgeordnetenhauses ab, der bei zweifelhaften Vorgängen tätig werden soll. Im Verfassungsschutzgesetz ist eine solche „Vertrauensperson“ vorgesehen; bislang aber nie eingesetzt worden. Der Abgeordnete Thomas Kleineidam (SPD) ist zuversichtlich, unter den fünf Fraktionen die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Auch der CDU-Sicherheitsexperte Stephan Lenz hält eine „Stärkung der parlamentarischen Kontrolle“ für notwendig. Der Sonderermittler soll zudem erweiterte Befugnisse erhalten. Ziel müsse eine Regelung sein, die das „Geheimhaltungsinteresse des Amts wahrt und das Aufklärungsinteresse des Parlaments sicherstellt“.

Für Veränderungen nach dem Rücktritt der Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid gibt es dagegen nur erste Überlegungen. Innensenator Frank Henkel (CDU) will eine „strukturelle Neuausrichtung“ und „stärkere Rotation“ der Beschäftigten, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hält eine Reform für „unumgänglich“. Auch die Grünen sehen Veränderungsbedarf. Die SPD-CDU- Koalition will bis Mitte 2013 Vorschläge sammeln. Angesichts von Forderungen, den Verfassungsschutz abzuschaffen, betont der CDU-Parlamentarier Lenz, dass sich die Koalition auf eine „Bestandsgarantie“ festgelegt habe.

Der Vorsitzende des Verfassungsschutzausschusses, Benedikt Lux (Grüne), sieht weiterhin eine „gewisse Daseinsberechtigung“ des Verfassungsschutzes, wenn die Gesellschaft durch die Beobachtung von extremistischen Strukturen vor Straftaten geschützt werde. Der Verfassungsschutz müsse aber „qualifizierter arbeiten und sich auf Kernaufgaben konzentrieren“. Lux hält etwa den Bereich der politischen Bildung für verzichtbar, weil es dafür andere Institutionen gebe. Falsch sei es auch gewesen, für die stärkere Beobachtung von radikalen Islamisten Ressourcen aus dem Bereich Rechtsextremismus abzuziehen, während linke Gruppierungen unverändert intensiv beobachtet wurden. Das zeige, dass beim Verfassungsschutz die rechte Gefahr unterschätzt werde. Außerdem müsse es bei der Auswahl von V-Leuten schärfere Maßstäbe geben. Lux regt auch eine Fusion oder stärkere Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter von Berlin und Brandenburg an.

Die Sicherheitsexperten aus CDU, SPD und den Grünen sind sich aber einig, dass sich die seit 2000 bestehende Zuordnung des Amtes als Abteilung der Innenverwaltung bewährt habe. Mit der Angliederung sei die politische Leitungsverantwortung des Innensenators über die Geheimdienstler klar geregelt worden und zugleich die Gefahr verringert worden, dass das vormals selbstständige Amt ein fatales Eigenleben entwickele. Der SPD-Politiker Kleineidam sieht wenig Anlass für strukturelle Veränderungen. Die jetzige Struktur habe aber nicht verhindern können, dass der „allgemeine Behördenwahnsinn zugeschlagen hat“. Kleineidam hält es deswegen für dringend notwendig, die Regelung zur Aktenvernichtung zu überarbeiten und Verantwortung deutlicher zu klären. Der von Innensenator Henkel angekündigten Personalrotation hält Kleineidam entgegen, dass die Belegschaft bei der Auflösung des Landesamts als eigene Behörde im Jahr 2000 schon weitgehend ausgetauscht wurde.

Die Auflösung des eigenständigen Landesamts 2000 durch den damaligen Innensenator Eckhard Werthebach (CDU) war die Konsequenz aus einer Kette von Skandalen. Verfassungsschützer hatten etwa 1988 einen Kriminellen mit der Bespitzelung des späteren Innensenators Erich Pätzold (SPD) beauftragt. Die Behörde beschuldigte um die Jahrtausendwende auch einen hohen Polizeibeamten fälschlicherweise, Scientology-Mitglied zu sein: Der Polizist wurde erst entlassen und später rehabilitiert. Trotz Verbots durch den Senator beschäftigte das Landesamt ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Nachdem vier radikale Kurden bei der Erstürmung der israelischen Botschaft in Berlin erschossen wurden, ließ der Verfassungsschutz einen Aktenvermerk verschwinden, nach dem das Amt trotz Kenntnis der Gefahrenlage auf eine Warnung verzichtet hatte. In den 70er Jahren waren VS-Mitarbeiter auch in die Ermordung des V-Mannes Ulrich Schmücker verstrickt. Dabei hatte das Amt jahrelang die Tatwaffe versteckt und die Gerichte belogen.

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