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CDU-Landeschef Frank Henkel (mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Monika Grütters) sucht noch nach Profil.

© DAVIDS

Konservatismus: Berliner CDU in der Mitte abgetaucht

Die Berliner CDU war einst ein Garant für den Konservatismus der Partei. Dazu fehlt heute der Mut – und ein klares Profil. Eine Bestandsaufnahme.

Heinrich Lummer hat sich schon lange aus der Politik zurückgezogen, doch es gibt ein paar Zitate von ihm, die wie ein Teil der aktuellen Debatte wirken. Einer dieser Sätze des früheren Berliner CDU-Innensenators stammt von 1998 und lautet: „Wenn Ausländer eine Bereicherung sind, dann können wir schon seit langem sagen: Wir sind reich genug.“ Typisch Lummer, hieß es damals, viel mehr geschah nicht. Man wird vermuten dürfen, dass der CDU-Hardliner heute, ganz im Gegensatz zum offiziellen Kurs seiner Partei, offen auf der Seite Thilo Sarrazins stünde.

Es gibt an sich wenig Gründe, den heute fast vergessenen Haudrauf der Frontstadt-Union zu glorifizieren. Doch er verkörperte wie kaum ein anderer die im Kalten Krieg gehärtete konservative Substanz seiner Partei, deren letzter Vertreter der ebenfalls weitgehend aufs Altenteil gedrängte Jörg Schönbohm ist – Männer des klaren Worts, die in den Populismus abdriftende Wähler binden konnten und nie auf die Idee gekommen wären, zur Lage ihrer Partei Sätze zu drechseln, wie sie der gegenwärtige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe kürzlich gefunden hat: „Zu keinem Zeitpunkt ist der Eindruck entstanden, dass Teile der Parteiführung der Meinung sind, es bedürfe einer grundlegenden Kurskorrektur, weil es eine programmatische Fehlentwicklung gegeben hat.“ Gröhe hat dies für die Spitze der Gesamtpartei formuliert – aber der Berliner Landesverband erweckt schon länger den Eindruck, als verfolge er von sich aus die Windungen dieser sich selbst zerstörenden Syntax. Die konservative Substanz ist dabei auf der Strecke geblieben.

Die Berliner CDU hat sich über Jahrzehnte oft als konservative Vorreiterin der Gesamtpartei profiliert. Das lag natürlich an der Lage der Stadt als Vorposten gegen den Kommunismus, die einer christlichen Volkspartei jeglichen Flirt mit linken Positionen verbot. Die Berliner CDU der Vorwendezeit war deshalb strikt antikommunistisch, aber sie war andererseits zu einem Gutteil christlich-katholisch geprägt, was vor allem an einflussreichen Persönlichkeiten wie Hanna-Renate Laurien lag; den ergänzenden Verwaltungsvollzug erledigten kühle Pragmatiker wie der Dauerbürgermeister Eberhard Diepgen und sein Vollstrecker Klaus-Rüdiger Landowsky mit dem Füllhorn der Bundeszuschüsse. Damals waren die Linien der politischen Debatte klar abgesteckt, sozialdemokratische und christdemokratische Positionen unterschieden sich deutlich und vorhersehbar voneinander.

Diese klare Kante ging der CDU schon mit der Wende teilweise verloren, endgültig aber mit dem Bankenskandal, der eine ganze Generation des leitenden Personals der Partei hinwegraffte. Die neuen Macher wie Frank Steffel und Ingo Schmitt waren darauf nicht vorbereitet. Sie hatten kein Programm, sondern standen vor allem fürs Machterringen und Machterhalten und Durchwursteln, konservative Politik im klassischen Sinn war nicht ihr Ziel. Und beim ungeliebten Außenseiter Friedbert Pflüger wusste man manchmal nicht genau, ob er noch schwarz oder schon grün war.

Dabei kamen nicht nur die Einwanderungspolitik, sondern auch andere klassische Felder der konservativen Agenda abhanden. Das christlich-katholische, familienorientierte Profil verschwand, während gleichzeitig die jungen Familien in Prenzlauer Berg die Kirchen stürmten. Als kühler Sheriff mit Augenmaß profilierte sich ausgerechnet der Sozialdemokrat Ehrhart Körting – Landnahme in einer Kernzone christdemokratischen Selbstverständnisses. Dabei haben konservative Stadtpolitiker wie Rudy Guiliani im liberalen New York die Blaupausen für eine Strategie geliefert, die aus Bürgersinn, Strenge und Populismus ein beim Wähler höchst erfolgreiches Amalgam schaffen kann; in Berlin, der libertären Weltmetropole der Graffiti und Hundehaufen, mochte ihm niemand nacheifern. Und das, obwohl gerade hier mit klaren Ansagen neues Wählerpotenzial nicht nur in der wachsenden Gruppe älterer Berliner, die naturgemäß konservativer werden, sondern vermutlich ebenso unter jung-bürgerlichen Gutverdienern mit Familiensinn zu erschließen wäre.

Der neue Fraktions- und Parteichef Frank Henkel hat zwar den Landesverband seiner Partei in den Griff bekommen, zeigt aber selbst kein erkennbares Profil. Lange Zeit fiel das nicht weiter auf, weil die anderen Parteien mit ihrem Spitzenpersonal genauso wenig auftrumpfen konnten. Doch Klaus Wowereit ist auf seine Art dann doch noch zur bundespolitischen Größe gereift und in der SPD nicht ohne Einfluss, und auch der absehbare Aufmarsch der Grünen mit Renate Künast muss der CDU Sorgen machen, weil er nicht länger nur auf das Kreuzberger Milieu, sondern ebenso auf das aufgeklärt wertkonservative Bio-Bürgertum Zehlendorfer Prägung zielt.

Es war – wie auf Bundesebene – das Migrantenthema, das das verlorene Profil der Berliner Christdemokraten überdeutlich gemacht hat. Zunächst war da nur der Sozialdemokrat Heinz Buschkowsky, der auf seinem Neuköllner Außenposten die Erfahrungen und Ängste der Bürger spürte und aufnahm. Damit formulierte er eine Position, die im Prinzip – siehe Lummer – eine klassisch christdemokratische hätte sein müssen, doch die CDU schwieg betreten und nahm weitgehend kommentarlos hin, dass Buschkowsky von seinen politkorrekten Parteifreunden ins Abseits gedrängt wurde.

Das Versagen der Partei in dieser Situation schien sogar ein doppeltes, denn es war noch in guter Erinnerung, mit welcher Kompetenz und Wärme die langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John, ebenfalls CDU, ihre Hitzköpfe immer wieder zur Ruhe gebracht und damit eine produktive Debatte angeregt hatte. Ihr Nachfolger von rot-roten Gnaden, ein mausgrauer linker Verteidiger, zeigt durch sein Wegducken unfreiwillig das Potenzial auf, über das eine Ausländerpolitik mit christlichem Fundament, aber ohne Multikulti-Illusionen immer noch verfügt. Doch hört man da was?

Stattdessen hat Henkel darauf bestanden, René Stadtkewitz, den parteieigenen Sarrazin, wegen dessen scharfer Islamkritik aus der CDU zu jagen – eine symmetrische Schreckreaktion, die in der nach Meinungsstreit geradezu hungernden Parteibasis mehrheitlich genauso wenig Beifall finden dürfte wie beim SPD-Fußvolk der Versuch der sozialdemokratischen Nomenklatura, Sarrazin loszuwerden.

Es ist die Angst vor dem sogenannten Rechtspopulismus, die letzten Endes den Boden für den Rechtspopulismus bereitet – das war den Lummers und Schönbohms bei aller Unberechenbarkeit immer bewusst. In der Riege ihrer Berliner Enkel ist heute niemand zu sehen, der diese Erkenntnis in praktische Politik umsetzen könnte, weder Henkel noch die gern für höhere Aufgaben genannte Monika Grütters. Und einen motivierenden, alles verdeckenden Integrator hat die CDU seit Richard von Weizsäcker erst recht nicht mehr.

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