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Michael Müller vs. Jan Stöß: Die Zerreißprobe der Berliner SPD

Wenn die Berliner SPD am Sonnabend einen neuen Parteichef gewählt hat, wird sie tief gespalten sein. Die Machtzirkel um Amtsinhaber und Herausforderer sind sich spinnefeind. Man fürchtet das Chaos.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Eine Frau und zwei Söhne, Häuschen mit Garten und das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement um die deutsch-polnischen Beziehungen. Für Alex Lubawinski, den gebürtigen Stettiner, der seit 48 Jahren in Berlin-Pankow lebt, könnte die Welt in Ordnung sein. Dass sie es nicht ist, liegt daran, dass der kleine, stämmige Mann Mitglied der Berliner SPD ist. Für sie sitzt er im Abgeordnetenhaus, und Bezirksbürgermeister war er auch einmal.

Statt sich allmählich zurückzulehnen, muss Lubawinski jetzt noch mal ran. Die Partei ist in Gefahr, das gilt es abzuwenden. Vielleicht wird es Lubawinski selbst sein, der an diesem Sonnabend gleich zur Eröffnung des SPD-Landesparteitags im Estrel-Hotel am Ende der Neuköllner Sonnenallee für Aufruhr sorgt: mit einem Geschäftsordnungsantrag, in dem gefordert wird, die Wahl des neuen Landesvorstands zu verschieben. Weil Eile das Letzte ist, was die Partei gerade braucht.

In der SPD, die seit 2001 mit Klaus Wowereit den Regierenden Bürgermeister stellt, geht die Angst vor einer Spaltung um. Wird die Wahl nicht verschoben, hat die SPD am Ende des Tages einen Parteichef, der nur eine Hälfte des Landesverbands repräsentiert – die andere nicht.

Weder der 2010 mit knapp 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigte SPD-Vorsitzende Michael Müller noch sein Konkurrent Jan Stöß können damit rechnen, als klare Sieger aus der Wahl hervorzugehen. 55 Prozent für den neuen Chef, das wäre schon ein gutes Ergebnis. Dies alles vor den Augen einer breiten Öffentlichkeit, die sich an den Parteitag der Linkspartei vor einer Woche erinnert fühlen könnte. Schon ist in Berlin von einer „Lafontainisierung“ die Rede.

Auch Lubawinski weiß, was auf ihn und seine Parteifreunde zukommt. Und er weiß, dass ein Antrag auf Verschiebung der Vorstandswahl die Wogen nicht unbedingt glätten wird. Am Donnerstagabend will er sich mit dem Vorstand des SPD-Ortsverbands Niederschönhausen-Blankenfelde, den Lubawinski seit der Wende führt, noch einmal besprechen. Im engen Zusammenspiel mit anderen Genossen aus der ganzen Stadt. Linken und Rechten und solchen, die sich unabhängig wähnen von den Parteiströmungen.

Sie wollen, dass nicht die 225 Delegierten des Wahlparteitags darüber entscheiden, wer die Hauptstadt-SPD in den nächsten zwei Jahren führt, sondern dass alle Mitglieder befragt werden. Dahinter steckt mehr als eine parteiinterne Formalie. Es geht um die Frage, ob Stadtentwicklungssenator Müller, enger Vertrauter des Regierungschefs Klaus Wowereit, Parteichef bleiben soll. Oder ob es besser wäre, wenn der Sprecher der SPD-Linken, Stöß, der müde gewordenen Berliner Regierungspartei neuen Schwung verleiht. Ein 38-jähriger Mann aus Niedersachsen, der in den 90er Jahren zum Studieren nach Berlin kam. „Wir brauchen Frischluftzufuhr“, sagte eine Genossin kürzlich auf der Kreisdelegiertenversammlung in Mitte. Es gehe nicht um Müller.

Der Regierende und sein Thron

Wenn es so einfach wäre. Natürlich geht es um Müller. Und es geht um Wowereit. Der Streit um ein Mitgliedervotum über den Landeschef, um die innerparteiliche Basisdemokratie, ist nur die Bühne, auf der ein anderes Stück spielt, das heißt: „Macht und Richtung“. Ganz großes Theater. Vor einem Jahrzehnt, als das Regierungsbündnis mit der CDU am Frust und Zorn der Sozialdemokraten über die große Koalition zerbrach – Anlass war der Bankenskandal – schlüpfte Klaus Wowereit, das Arbeiterkind aus Lichtenrade, in die Rolle des Helden. Ihm zur Seite der gute Parteifreund Michael Müller, dessen Vater in Tempelhof bis heute einen kleinen Druckereibetrieb führt. Die Vorzeige-Sozialdemokraten wurden angetrieben von der einzigen Vision, die sie je hatten: Die Berliner SPD als stärkste Regierungspartei so lange wie möglich an der Macht zu halten, egal mit wem. Sie wollten der sich ständig wandelnden Hauptstadt den sozialdemokratischen Stempel aufzudrücken.

Das ist gelungen. Die Wähler spielten mit – und die Partei auch. Erst mit den Grünen, dann mit den Linken und jetzt wieder mit der Union kann Wowereit noch bis 2016 Berlin regieren. Und dann? Lange Zeit trauten sich die meisten Genossen nicht, diese Frage laut zu stellen. Ein Königreich lebt von seinem Thron.

Am Freitag trafen beide Kandidaten für den SPD-Landesvorsitz für ein letztes Rede-Duell vor dem Parteitag aufeinander. Im Haus der IG Metall, fünfter Stock, ein trister, kleiner Vortragssaal. Braun und ockerfarben. Da rief auch der Müller-Herausforderer Stöß emphatisch aus: „Der Klaus ist der beste Regierende seit Willy Brandt!“

Bildergalerie: "Der beliebte Klaus" - die Wiederwahl von Klaus Wowereit

Stöß meinte das ernst, und er sagte es nicht zum ersten Mal. Auch der SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der ebenfalls eine andere, bessere SPD will, war stolz, als ihm Wowereit einmal tief in die Augen schaute und sagte: „Wir zwei, Raed, sind Säulen der Regierungsmacht“.

Selbst die aufmüpfigsten SPD-Linken und die brummigsten SPD-Rechten wagen es bislang nicht, den Garanten der Regierungsmacht anzurühren. Es fehlen personelle Alternativen. Müller wird, auch wenn er seit Dezember das größte und wichtigste Senatsressort sehr ordentlich führt, nur von einer Minderheit im SPD-Landesverband als potenzieller Nachfolger im Amt des Regierungschefs akzeptiert. Er weiß, warum. Ihm fehlt das Charisma für eine hippe Hauptstadt. Und das Kommunikationstalent, die Dickfelligkeit und Härte eines Klaus Wowereit.

Sie formieren sich, aber wo verlaufen die Fronten?

Der spitzbübische Humor und die Ehrlichkeit, die Müller so sympathisch machen, kommen ihm in kniffeligen Situationen auch mal abhanden. Dann wird er rasch sarkastisch. „Ich weiß, wie manche über mich reden“, raunzte er die Delegierten des SPD-Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg an, deren Vorsitzender der linke Verwaltungsrichter Stöß ist. „Ich telefoniere zu wenig und gucke oft so komisch.“ Wenig später blaffte er, heftig angegriffen wegen seiner positiven Haltung zur Teilausschreibung der S-Bahn: „Ihr wolltet meine Meinung hören, hier habt ihr sie!“

Was Müller sich an künftigen Aufgaben wirklich zutraut, weiß niemand – allenfalls Wowereit.

Auf den üblichen Gastredner, einen Promi aus der Bundespartei, haben die Berliner Sozialdemokraten dieses Mal verzichtet. In der Bundesparteizentrale im Willy-Brandt-Haus schauen sie seit Wochen mit wachsender Sorge zu, wie die Hauptstadtpartei sich zerlegt. Es soll Vermittlungsversuche gegeben haben, mit dem Ziel, die Kontrahenten Müller und Stöß durch einen Kompromisskandidaten zu ersetzen. Oder eine Kandidatin. Dilek Kolat, derzeit Arbeitssenatorin, soll genannt worden sein.

Bildergalerie: Dilek Kolat und Co. - 100-Tage-Bilanz der Senatoren

Das kam entweder zu spät, oder es waren die falschen Vorschläge. Seit Januar, als das Gerücht aufkam, Parteichef Müller bekomme Konkurrenz, haben sich die innerparteilichen Lager in ihren Schützengräben formiert. Wo genau die Fronten verlaufen, ist schwer auszumachen. Es geht nicht um rechts gegen links. Im Gegenteil. Auch die Neuköllner Genossen sind tief gespalten. Gegen Müller haben sich dort Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und SPD-Kreischef Fritz Felgentreu, zwei Traditionsrechte, positioniert und bei den jungen Parteilinken aus Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Pankow untergehakt.

Es geht auch nicht um West gegen Ost. Sonst wäre es nicht zu erklären, warum sich Treptow-Köpenick und Lichtenberg auf die Seite Müllers schlagen. Jung gegen Alt? Das passt schon eher. Zum ersten Mal in seiner Regierungszeit ließ sich Wowereit nach der Abgeordnetenhauswahl im September 2011 drängen, den ungeduldigen jüngeren Genossen in großem Umfang zu Ämtern und Posten zu verhelfen. Andere aus der jüngeren Generation wiederum rückten in wichtige Positionen der Parlamentsfraktion nach, als Müller deren Vorsitz abgab.

Nach der Flughafen-Pleite ist Wowereit angeschlagen.

„Vielleicht war das ein Fehler“, sinniert Michael Arndt, der seit zehn Jahren den SPD-Kreisverband in Steglitz-Zehlendorf leitet. „Vielleicht haben damit Wowereit und Müller die Büchse der Pandora geöffnet“, sagt er. Also den Wünschen der jungen Wilden, die alle nicht zu kurz kommen wollen, in einer Weise nachgegeben, die immer neue Begehrlichkeiten weckt. In seinem Kiez ist der 61-jährige Volkswirt Arndt nicht weniger verwurzelt als der Parteifreund Lubawinski im fernen Pankow, und auch er unterstützt, nach anfänglichem Zögern, die Forderung nach einer Mitgliederbefragung.

Doch Arndt bewegt viel mehr, dass „die Regierungsfähigkeit der SPD als stärkste politische Kraft in Berlin gefährdet ist“. Nach der Flughafenpleite ist Wowereit angeschlagen, seine Beliebtheitswerte sinken und die jüngsten Umfragewerte für die SPD gleich mit. In dieser ohnehin prekären Lage beginnt die Regierungspartei, sich aufzulösen. Richtungskämpfe, regionale Sonderinteressen und Karrierewünsche sprengen die Geschlossenheit der vergangenen Jahre.

Bildergalerie: Der unfertige BER

Mit den Genossen im Kreisvorstand hat Arndt darüber am Montag lange gesprochen. „Das war gut“, sagt er, trotz unterschiedlicher Meinungen, die aufeinanderprallten. Arndt hofft sehr darauf, dass Wowereit, der niemals SPD-Landeschef werden wollte und will, auf dem Parteitag klare Worte findet. „Er läuft sonst Gefahr, und das hat er wirklich nicht nötig, nach den Vorstandswahlen ein Regierungschef auf Abruf zu sein.“

Nämlich dann, wenn sein Intimus Müller abgewählt würde, wenn die Partei ein Eigenleben entfaltet, als ständiger Widerpart der rot-schwarzen Landesregierung. „SPD pur“, nennt Jan Stöß bei jedem der Bewerbungsauftritte diese jakobinische Aussicht auf ein stärkeres Profil. „Es muss das gelten, was die Partei beschließt.“

Mitte April war Stöß gemeinsam mit Kreuzberger Genossen in Paris, um auf dem Höhepunkt des Präsidentenwahlkampfs in den Bars der Rue Saint-Denice für Francois Hollande Flugblätter zu verteilen. Das war etwas anderes als die dröge Senatspolitik. Sehnsucht keimte auf bei jungen Berliner SPD-Mitgliedern, die in den vergangenen Jahren zur Partei stießen, gewappnet mit Facebook, Twitter und bunten Ideen. Sehnsucht nach einem klitzekleinen Sturm auf die Bastille.

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