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Parteienforscher: Mobilisiert durch negative Meldungen

Was Parteienforscher über die Gründe für die überraschend starke Beteiligung am Volksentscheid sagen.

Vor jeder Abstimmung wird spekuliert, werden potenzielle Wähler befragt, hochgerechnet. Doch ausgerechnet der Volksentscheid zu den Wasserverträgen ist im Vorfeld mit beharrlicher Missachtung gestraft worden. Noch bis 16 Uhr am Abstimmungssonntag hieß es in Radionachrichten, der „Berliner Wassertisch“ werde kaum die nötigen Stimmen bekommen. Die Wahlbeteiligung lag da bei rund 20 Prozent – weniger als beim gescheiterten Pro-Reli-Entscheid 2009. Bis 18 Uhr müssen massenhaft Berliner in eines der 1170 Wahllokale gerannt sein – und die Abstimmung zum ersten erfolgreichen Volksentscheid in Berlin gemacht haben, denn auch die Wahl über die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof war 2008 gescheitert.

Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität, gibt bei der Suche nach Gründen für den Erfolg zu bedenken, dass die Negativberichterstattung am Sonntag auch mobilisierende Wirkung gehabt haben könnte. Außerdem sei dies der erste Berliner Volksentscheid, der nicht als konservativ motiviert wahrgenommen werde. Tempelhof und Pro- Reli seien vorrangig unter „Westberliner Kulturbürgern“ diskutiert worden, beim Wasser gehe es jedoch angesichts der vergleichsweise hohen Preise stadtweit um ökonomische Interessen. „Außerdem gab es möglicherweise einen Stuttgart-21- Schub, wonach einfach mehr Transparenz gefordert wird“, sagte Neugebauer.

Dieter Rucht, Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, sieht das ähnlich: „Ich war von der hohen Beteiligung überrascht, gehe aber davon aus, dass Transparenz für viele inzwischen einen hohen Stellenwert hat.“ Diese „politische Großwetterlage“ könne genauso zum Ergebnis beigetragen haben, wie die Hoffnung auf niedrigere Wasserpreise. Der Senat hatte im Vorfeld betont, dass sich mit der Offenlegung der Wasserverträge nichts an deren Inhalt ändere, der Volksentscheid also nichts bewirke. Auch unter Experten sei aber vor der Abstimmung unterschätzt worden, sagte Rucht, wie stark in der Bevölkerung inzwischen der Wunsch sei, nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

Die Wähler nach ihren politischen Grundsätzen einzuordnen, wagten Experten nicht. Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, sagte: „Nach meinem ersten Eindruck hat allerdings eher ein bürgerliches Milieu gewählt – und zwar diejenigen, die viel Wasser brauchen, etwa für ihren Garten.“ Die höchste Wahlbeteiligung und damit die meisten Ja-Stimmen gab es in Randbezirken. Der Kopf der Initiative „Berliner Wassertisch“, Thomas Rudek, sprach von der „ganzen Verbandsmacht“, die zahlreiche Kleingärtner an die Urnen getragen hätten (siehe Seite 7).

Auffällig ist, dass Wahlbeteiligung und Ja-Stimmen dort gering sind, wo viele Anhänger der Grünen wohnen. Hans-Christian Ströbele, Grünen-Bundestagsabgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg, will sich nicht festlegen: „Ich vermute aber, dass viele gedacht haben, es hätte sowieso keinen Sinn, die notwendige Zahl der Stimmen komme nicht zusammen.“ Schließlich sei auf Pro-Reli und Flughafen Tempelhof mit Radio- und TV-Sondersendungen aufmerksam gemacht worden. Er selbst habe am Sonntag gegen 14.30 Uhr abgestimmt. Zu dieser Zeit hatte es noch geheißen, die Wahlbeteiligung sei ausgesprochen niedrig.

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