zum Hauptinhalt

Nach A-100-Entscheidung: Rot-Rot und Berliner Baustellen

Ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode hat Rot-Rot in Berlin das Regieren scheinbar eingestellt. Zumindest kann dieser Eindruck durch die Entscheidung entstehen, den A-100-Ausbau auf Eis zu legen. Vertagt die Koalition nun auch andere wichtige Projekte?

Von

Wie ist die Stimmung in der Koalition?

Besser als ihr Ruf. Die Euphorie der ersten Jahre, als Rot-Rot mit dem hohen Anspruch antrat, der Politik und Gesellschaft in Berlin einen Mentalitätswechsel zu verpassen, ist zwar verschwunden. Aber der Umgang miteinander ist auch nach neun Jahren fair, an der Routine des alltäglichen Regierens und Verwaltens orientiert, vertrauensvoll. SPD und Linke sind geradezu stolz, es so lange in vernünftigem Einvernehmen miteinander ausgehalten zu haben. Man versteht sich als hart arbeitendes Bündnis, das auch in gesellschaftlich schwierigen und strittigen Fragen Sachkompromisse findet. „Schaut euch doch mal bundesweit um, wie es in anderen Koalitionen zugeht“, hört man immer wieder. Dass regierungsinterne Konflikte in Berlin selten aus dem Ruder laufen und das rot-rote Bündnis seit 2002 nie ernsthaft in Gefahr war, hat zwei Gründe: Die Chemie zwischen beiden Parteien und deren Protagonisten stimmt. Und es hat sich ein Regelwerk für die Entschärfung von Interessenskonflikten entwickelt, das funktioniert.

Wie funktioniert das Konfliktmanagement?

In regelmäßigen Abständen trifft sich der Koalitionsausschuss, um Grundsatzfragen zu klären oder Streitigkeiten auszuräumen. Dort ist auch die Entscheidung zum A-100-Weiterbau gefallen. Zu diesem Gremium gehören: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Wirtschaftssenator und Bürgermeister Harald Wolf (Linke), die beiden Fraktionschefs Michael Müller (SPD) und Udo Wolf (Linke), der Landesvorsitzende der Linken, Klaus Lederer und Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Das sind informelle Treffen, die strikt vertraulich gehalten werden.

Auch die Fachpolitiker beider Koalitionsparteien kommunizieren, jedenfalls im Abgeordnetenhaus, miteinander. Aber auf dieser Ebene knirscht es zunehmend im Gebälk. Der Klimaschutz, die Finanz- und Wirtschaftspolitik, große Verkehrs- und Bauprojekte sind Beispiele dafür. Eindeutige politische Konkurrenten sind die Kreis- und Ortsverbände von SPD und Linken, die in den verschiedenen Stadtregionen um Wähler buhlen. Je näher der Wahlkampf rückt, desto stärker wird der Druck, den die Basis beider Parteien auf ihre jeweiligen Führungsleute ausüben, um Eigeninteressen durchzusetzen. Außerdem beginnen jetzt die Nominierungen für die Wahl 2011 und da gilt: Je mehr ein potenzieller Kandidat strampeln muss, um einen aussichtsreichen Wahlkreis oder Listenplatz zu ergattern, desto eher ist er bereit, den Koalitionsfrieden zu stören.

Wie blickt Rot-Rot auf das Wahljahr 2011?

Klaus Wowereit will eine dritte Legislaturperiode als Regierungschef absolvieren. Um die Wähler zu überzeugen, dass er der Richtige ist, will er präsidialer, wirtschaftsnäher auftreten. Sich also ein bisschen neu erfinden. Sein ursprüngliches Engagement für den Weiterbau der A 100 passte in diese Linie. Aber auch andere wollen weitermachen. Michael Müller als Partei- und Fraktionschef, irgendwann vielleicht als Senator. Harald Wolf wird vielleicht wieder Spitzenkandidat der Linken. Der Linken-Parteichef Klaus Lederer steht erst am Beginn einer Karriere, die ihn auch einmal in die Bundespolitik führen könnte. Zumindest bei diesen Personen besteht ein hohes Eigeninteresse, Rot-Rot bis zum Wahltag im September 2011 fortzuführen.

Was hat die Koalition bis 2011 noch vor?

Eine ganze Menge. So umstritten wie die nun auf die nächste Legislaturperiode verschobene Frage des A-100-Weiterbaus sind zwar kaum noch andere Themen. Konfliktstoff gibt es dennoch genug.

So soll an diesem Donnerstag das neue Ladenschlussgesetz vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden, das festschreibt, wann und in welchen Abständen an bis zu zehn Sonntagen pro Jahr die Geschäfte öffnen dürfen. Ein Kompromiss ermöglicht den anfangs nicht auf einer Linie liegenden Koalitionspartnern jetzt die Zustimmung: Künftig soll an allen Bahnhöfen der Sonntagsverkauf dauerhaft erlaubt sein – außer für Kleidung.

Am Integrationsgesetz, das unter anderem die organisierte Interessenvertretung von Migranten in Bezirken und gegenüber dem Land festlegen soll, feilen die Experten noch. Es wird aber erwartet, dass man sich in den kommenden Wochen auf eine Formulierung einigt und das Gesetz noch im Dezember das Parlament passiert – ungeachtet des Einspruchs mancher SPD-geführter Bezirke und der Opposition.

Sehr umstritten ist das Klimaschutzgesetz, das regeln soll, welche Bedeutung künftig welchen Energiequellen zukommt und wie Ressourcen sparsamer eingesetzt werden können. Der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum und auch SPD-Chef Michael Müller kritisieren am bislang vierten Entwurf der Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke), dass immer noch nicht „hinreichend klar“ sei, was die Kosten für die Betroffenen seien. Müller: „Die SPD-Fraktion wird nichts beschließen, solange die Kosten nicht glasklar auf dem Tisch liegen.“

Einen Dissens gibt es bislang auch in der Frage, wie die politische Mitwirkung von Bürgern verstärkt werden kann. Dafür soll das Bezirksverwaltungsgesetz reformiert werden – strittig ist jedoch bislang, ob bezirkliche Bürgerentscheide politisch verbindlichere Folgen haben sollen als bisher, wie es die Linke will.

Mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit wird ein weiteres Vorhaben verfolgt, das in der Koalition nicht mehr umstritten ist: Das Straßenreinigungsgesetz soll Hausbesitzer und Reinigungsbetriebe nach den Erfahrungen des vergangenen Winters verpflichten, die Gehwege eisfrei zu halten. Es dürfte bald verabschiedet werden, für diesen Winter wird es aber nur eine Übergangsregelung geben.

Darüber hinaus hat die Koalition noch viele andere Themen in Arbeit, bei denen man Tatsachen schaffen will: Von der Senkung des Mindestalters bei Abgeordnetenhauswahlen auf 16, für die die Koalition allerdings auch Stimmen der Opposition braucht, über Gesetze zum Justizvollzug oder die Umsetzung der Jobcenter-Reform bis zur Frage, ob und wie der Betrieb der S-Bahn nach Auslaufen des bisherigen Vertrages ausgeschrieben werden soll. Es gibt für Rot-Rot, so Lederer, noch lange keinen Grund, „in Apathie zu verfallen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false