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Präsenz zeigen. Angst vor Anschlägen, Furcht vor jugendlichen Schlägern, Übergriffe in den Kiezen - viele Berliner wünschen sich mehr Sicherheit in der Stadt.

© dpa

Serie "Berlin hat die Wahl" (2): Polizei und Innere Sicherheit: Viel zu tun

Unsere Wahlserie beschäftigt sich diesmal mit Polizei und Sicherheit - mit Angst vor Gewalt wird Politik gemacht. SPD und CDU konkurrieren ums härtere Image. Sogar die Grünen haben für die Polizei etwas übrig.

Gewalt und Angst und Verwahrlosung: Damit kann man Wahlkämpfe entscheiden. Der bizarre Richter Roland Schill hat in Hamburg damit eine Karriere gemacht, der er bald nicht mehr gewachsen war. Bundesinnenminister Otto Schily führte vor, wie entschieden ein Sozialdemokrat (und Ex-Grüner) den Staat stärken kann. Konservative Politiker lassen sich gern besondere Kompetenz in Sachen Ordnung und Sicherheit nachsagen. SPD-ler können das mit dem gleichen Recht für sich beanspruchen, wie der Wahlkampf zeigt. Plötzlich machte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die nächtliche Polizeipräsenz in der U-Bahn zur Chefsache. Wenig später zeigte sich, dass der Polizei erst einmal die Leute dafür fehlen. Zuvor hatte Innensenator Ehrhart Körting Geschick bewiesen in der Debatte über brutale Überfälle, verübt von jungen Männern. Körting kritisierte die Entscheidung eines Untersuchungsrichters, einen Schläger nicht in Untersuchungshaft zu schicken. „Derartige Entscheidungen können dazu beitragen, das Recht von den Menschen zu entfremden“, sagte Körting . So reden sonst nur Kriminalitätsfachleute der CDU. Die sehen die Sicherheitslage in Berlin weniger positiv. Spitzenkandidat Frank Henkel spricht über die Angst älterer Leute, in ihren Kiezen vor die Tür zu gehen, die Unsicherheit in der U-Bahn, die Verwahrlosung armer Stadtviertel und die Zunahme von Kriminalität. Unionspolitiker glauben den Polizeistatistikern nicht, dass Rohheitsdelikte in Berlin weniger werden. „Sicherheit“ nimmt im CDU-Wahlprogramm fast so viel Raum ein wie Bildung. Selbst die früher polizeifernen Grünen befassen sich in ihrem Programm mit „Gewalt“ und „Verwahrlosung“. Sie wollen eine „besser geschulte und ausgestattete, bürgernahe Polizei“.

Was Wähler kritisieren

"Wann gehen Mitarbeiter der Ordnungsämter endlich konsequent gegen Müll vor?"
Björn Gradowski hasst Dreckecken. Umherliegender Müll, der in Berlin überall zu finden ist, nehme ein Stück Lebensqualität, sagt der 28-jährige Informatiker aus Marzahn. „Die Ordnungsämter sollten das viel strenger kontrollieren, aber die kümmern sich nur um Blitzer und Falschparker.“ Die vorhandenen Strafen müssten nur rigoros angewendet werden. „Würde man die Delikte häufiger ahnden, hätten die Leute auch ein Bewusstsein dafür, dass es falsch ist, Abfall einfach auf die Straße zu werfen“, vermutet er. Wenn das Geld knapp sei, könne man ja zumindest an Brennpunkten und auf Grünflächen die Kontrollen erhöhen, schlägt er vor. „Aber offenbar ist das Thema bei den Politikern ziemlich unpopulär.“ Von allein werde sich aber nichts ändern.

"Warum kommen prügelnde Jugendliche so spät vor Gericht?"
„Man müsste die Möglichkeiten des Gesetzes einfach nur ausreizen“, glaubt Denise Penquitt. Jugendliche oder Heranwachsende, die straffällig würden, müssten so schnell wie möglich vor Gericht gebracht und verurteilt werden. „Je schneller das geht, desto höher ist doch die abschreckende Wirkung“, sagt die 21-jährige Studentin aus Spandau. Gerade bei jungen Straftätern könne man so vielleicht noch ein Umdenken bewirken. Auch, dass beispielsweise die U-Bahnschläger vom Bahnhof Friedrichstraße nicht in Untersuchungshaft gekommen sind, sei ein Unding. „Mit dieser laschen Handhabung sendet man ein falsches Signal aus.“ Wenn zwischen Tat und Verurteilung zu viel Zeit vergehe, habe auch die Öffentlichkeit das Gefühl, die Justiz tue nichts.

Was Fachleute vorschlagen

Nicht mehr Polizei, aber bürgernäher

Mehr Polizei auf Straßen und Plätzen? Das hat, so der Kriminologe Thomas Feltes, paradoxe Folgen: Einerseits würde die Polizei das tun, was viele Bürger fordern. Andererseits würden sich die Bürger fragen, warum Polizei plötzlich so präsent ist – und bestimmte Orte für unsicher halten. Feltes bestreitet, dass die These zutrifft: Mehr Polizei – weniger Verbrechen. Fast immer sei der Täter weg, wenn die Polizei komme, viel wichtiger und effektiver sei eine „ortsnahe Polizei“, die in den Kiezen präsent ist, „wo die Beamten ihre Pappenheimer kennen“, sagt der Kriminologe. Wichtiger als Reaktions - und Eintreffzeiten sei die Verlässlichkeit der Polizei. Deren Bürgernähe müsse sich zum Beispiel bei den vielen Hilfseinsätzen zeigen. Für die Berliner Polizei hatte der Kriminologe aus Bochum gute Worte übrig – wie für die deutsche Polizei überhaupt. Dass er indes an „mehr Polizei“ nicht glaubt, hängt mit den Kosten zusammen. Um auf Dauer einen Polizisten mehr auf die Straße zu bringen, seien 15 bis 16 neue Planstellen notwendig. Die Folgen für den Berliner Etat kann man sich ausrechnen.

Nur häufige Kontrollen helfen

Dass die Ordnungsämter zu wenig gegen Verwahrlosung zu tun scheinen, ist nicht bloß ein Berliner Phänomen. Der Soziologin Nathalie Hirschmann zufolge sind Bürger in großen Städten oft unzufrieden mit den Ordnungsbehörden. Das habe zwei Gründe: Zuständigkeiten sind nicht klar geregelt – in Berlin gibt es Unterschiede zwischen den Bezirken. Und: Gemessen an ihren Aufgaben haben die Behörden zu wenig Personal. In Berlin könnten die Ordnungsämter besser funktionieren, wenn ihre Organisation überall die gleiche wäre. Und sie wären wohl erfolgreicher, wenn Ordnungsamtsmitarbeiter mit anderen Behörden und mit engagierten Bürgern eng zusammenarbeiten könnten. „Polizierende Präsenz“ nennen das die Fachleute: Ordnungsämter, Polizei und private Sicherheitsdienste gehen gemeinsam ein Problem an. Von reiner Repression hält Hirschmann in Anbetracht der Personalausstattung der Ordnungsbehörden wenig: die treffe meist doch nur die gesellschaftlichen Randgruppen. Kontrollen – ob in Sachen Hundeverordnung oder Grillen im Tiergarten – machen nur Eindruck, wenn sie nicht nur einmal im Jahr erfolgen, sondern wiederholt: „Das setzt sich pädagogisch ganz anders fest.“

Schnelle Strafe wirkt

Professor Claudius Ohder hat die Lebensläufe von Berliner Intensivtätern erforscht. Als Jugendschöffe im Gericht findet er es „ausgesprochen ärgerlich“, wenn Angeklagte vor ihm stehen, deren Taten schon ein Jahr oder länger zurückliegen. Manchmal erinnerten sich die Beschuldigten nicht mal mehr genau an ihre Tat, manchmal hätten auch Zeugen Gedächtnisprobleme. Das kann laut Ohder dazu führen, dass die erzieherische Wirkung von Verhandlung und womöglich von Strafe nicht in gewünschtem Maße eintritt. Manchmal gebe es für die lange Dauer auch Gründe – wenn etwa Verfahren gegen einen Angeklagten zusammengezogen würden. Doch das gilt nur für die zweite gerichtliche Ebene. In den Amtsgerichten, so Ohders „Eindruck“, ist die Personalausstattung so gut, dass überlange Verfahren nicht vorkommen sollten. Auch wegen der erwünschten Wirkung der Konfrontation mit der Justiz plädiert Ohder für die Ausweitung des „Neuköllner Modells“, das die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig entwickelt hat. Es sieht enge, kieznahe – und schnelle – Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht vor, damit Jugendliche schnell erkennen, wohin Kriminalität führt.

Was Parteien sagen

Mit Sicherheit

250 Polizisten mehr auf der Straße verspricht die CDU. Auch will sie mehr Videoüberwachung. Jugendliche Straftäter sollen nach vier Wochen vor Gericht stehen. Die SPD ist gegen mehr Polizisten und verweist auf die gesunkene Kriminalitätsbelastung. Kriminelle Jugendliche sollen konsequent verfolgt werden. Die Polizei soll ihre Stärke behalten und sich intensiver um sicheren Nahverkehr kümmern. Die Grüne versprechen mehr Polizisten „auf den Bürgersteigen“ durch eine neue Polizeistruktur und einen unabhängigen „Polizeibeauftragten“, an den sich Bürger und Polizisten“ wenden können. Die Linke will „angemessene Personalausstattung“ der Polizei. Die FDP will 300 Polizisten mehr und den Kampf gegen Orte „unverhüllter Kriminalität“.

Sauber machen

Die CDU nimmt die Verwahrlosung öffentlicher Räume wichtig. „Das Personal der Ordnungsämter muss sich um alle Missstände kümmern dürfen, nicht nur um Falschparker“, fordert sie und verspricht, die Ämter personell besser auszustatten. Die SPD behauptet: „Die Nachbarschaften sind wieder sicherer.“ Die Kriminalitätsstatistik zeige, wie gut die Polizei arbeite. Die Grünen schreiben, „Verwahrlosung“ sei eine Angelegenheit, mit der sich eine „bürgernahe“ Polizei befassen sollte. Verwahrloste Kieze seien indes Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut. „Soziale Quartiers- und Mietenpolitik“ setzen sie dagegen. Die FDP kündigt an, den „allgegenwärtigen Vandalismus“ und Graffiti-Schmierereien „wirksam einzudämmen“ – wie, das sagt sie nicht. Die Linke erwähnt das Thema nicht.

Ab in den Arrest

Schnelle Verfahren, fühlbare Strafen: Das wollen CDU und FDP. Jugendliche Straftäter sollen vier (bei der FDP fünf) Wochen nach der Tat vor Gericht stehen. Beide fordern als Strafe unterhalb einer Jugendstrafe einen „Warnschussarrest“ für junge Täter. Die Liberalen denken zudem an ein „datenschutzgerechtes“ Frühwarnsystem für auffällige Kinder und Jugendliche. Die SPD setzt auf die Ausweitung des Neuköllner Modells der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig: Rasche Verfahren auf der Grundlage enger, kiez-orientierter Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Die Grünen wollen schnellere Verfahren und eine dezentralisierte (also kieznahe) Staatsanwaltschaft. Im Programm der Linken ist Jugendkriminalität kein Thema.

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