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PRO & Contra: Muss Berlin freundlicher werden?

Gerd Nowakowski und Werner van Bebber diskutieren die Lächeloffensive des Senats. Muss Berlin freundlicher werden? Ein Pro & Contra. Diskutieren sie mit.

Schnapsleichen, Junkies am Kottbusser Tor, stressige Bräute und muffige Fahrgäste in der U-Bahn – wenn das eine Liebeserklärung an Berlin sein soll, was Peter Fox in seinem aktuellen Hit „Schwarz nach blau“ singt, dann muss man schon ganz schön herb drauf sein. Wer nicht jahrzehntelang gestählt ist, um raunzende Busfahrer, aggressive Kellner und schnippische Verkäuferinnen einfach abtropfen zu lassen, der hat es wirklich schwer, sich hier willkommen zu fühlen – ob als Tourist oder neu Zugezogener.

Heute schon freundlich gewesen? Hä? Auf diese Frage kommt die Hälfte der Berliner nicht mal, und vom Rest hält das jeder Zweite für eine Beleidigung. Wenn in Berlin ein verloren wirkender Mensch mit Stadtplan auf der Straße steht, kann der verhungern, bis jemand mal auf den Gedanken kommt, ihn zu fragen, wo er hin will – dass wäre beispielsweise in US-amerikanischen Städten, in England oder Skandinavien undenkbar. Ob das daher kommt, dass jeder Berliner sich eigentlich nur in seinen Kiez sicher fühlt und in seinem Minderwertigkeitsgefühl auch schon alle anderen Berliner für Fremde hält? Wer selbstbewusst und stolz ist auf seine Stadt, der kann auch selbstverständlich freundlich sein. Ja, das kann man lernen, ist nicht mal so schwer. Und dann klingen Liebeserklärungen auf die Stadt irgendwann auch anders. Gerd Nowakowski

Manche Leute in Berlin sind manchmal freundlich. Das weckt Bedürfnisse. So müsste es immer sein, denken dann viele. Ein Lächeln statt grimmiger Gesichter, eine aufgehaltene Tür statt des üblichen „Mir-egal-wer-nach-mir-kommt“. Aber dieser Zustand ist eine Illusion. Deshalb verpuffen Senatsfreundlichkeitskampagnen wirkungslos. Freundlichkeit kann nicht zur Verhaltensnorm werden – wenn Menschen normalerweise zu Menschen freundlich wären, würde Freundlichkeit nicht mehr auffallen – sie wäre die gewöhnliche Umgangsform.

Zu einer Stadt wie Berlin passt das schon gar nicht. Berlin ist sozusagen ostwindgeprägt: von Herkunft her ruppig, hart, aber herzlich – was okay ist. Von der Herkunft ist zwar so viel nicht übrig, doch die Gegenwart hat Berlin nicht hübscher und netter gemacht: Hartz-IV-Metropole, zu viele Hunde, zu viele Leute, die Tarnklamotten für Mode halten, zu viele Raucher, die sich verfolgt fühlen.

Das prägt das Binnenklima. Was auch okay ist, man merkt es am Zulauf, den die Stadt hat. Also: Das Leben ist kein Erster-Klasse-Flug mit Singapur Airlines von Tokio nach Los Angeles. Mehr Freundlichkeit ist so illusionär wie die grüne Welle in Berlin oder eine Steuerreform, die Entlastung bringt. Was wichtiger wäre als Freundlichkeit, wäre mehr Respekt im Umgang miteinander. Oder sogar – Anstand? Werner van Bebber

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