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René Stadtkewitz.

© Thilo Rückeis

René Stadtkewitz: Auf dem rechten Weg

Den Islam nennt er "totalitär". Den holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders trifft er heute zum Gespräch. Von seiner CDU hat er sich verabschiedet. Nun will der Berliner René Stadtkewitz eine eigene Partei gründen. Die Geschichte einer Entfremdung.

Mehr als zehn Jahre war René Stadtkewitz ein Mann der CDU. Ganz oben war er nicht, aber er hatte Verantwortung in der Partei und im Abgeordnetenhaus. Nett fanden ihn alle und seriös. Dass er jetzt am normalen Politbetrieb vorbei eine kleine Revolution organisieren will, hat ihm in der CDU keiner zugetraut.

Denn der schlanke, immer etwas blasse Mann hat nichts von einem Volkstribun. Er ist kein Scharfmacher vom Schlag eines Jörg Haider, Pim Fortuyn, Geert Wilders oder des Schweizers Toni Brunner, dessen Volkspartei demnächst eine Kampagne unter der Parole „Kriminelle Ausländer ausschaffen“ beginnen will. In vielen europäischen Ländern von Italien über Dänemark, Schweden bis Ungarn haben die Populisten die Einwanderungspolitik und Überfremdungsängste aufgegriffen. In manchen Ländern regieren sie mit, in anderen, in den Niederlanden etwa, will sich die nächste Regierung von Wilders’ Freiheitspartei dulden lassen. In der deutschen Parteipolitik galt lange die Regel, dass die SPD den linken Rand des politischen Spektrums zu binden versucht, die CDU den rechten. Was links seit der PDS nicht mehr gilt, könnte auch rechts bald vorbei sein. Man sieht es an René Stadtkewitz.

Jetzt sitzt er hinter seinem Schreibtisch voller Akten, Thilo Sarrazins Buch rechts oben im Regal gut sichtbar neben sich, die Packung Filterzigaretten vor sich. Der Stimme hört man an, dass er viel raucht in diesen Tagen. Eben hat er erzählt, dass Politik zuerst Kommunalpolitik für ihn war: Unterschriften sammeln gegen einen Straßenumbau in Pankow, bei dem massenweise Parkplätze verloren gegangen wären. Damals, 1999, wird er noch an die Ordnung der Dinge geglaubt haben. Wer im Kleinen etwas verändern will, geht in die Kommunalpolitik. Wer im Großen etwas erreichen will, schließt sich einer Partei an. Dass es die CDU war, hatte mit Helmut Kohl zu tun und mit der Wiedervereinigung. Der hatte, das zeigte sich 1989, die Teilung nicht akzeptiert – jetzt machte er sie rückgängig. Das imponierte vielen, vor allem Ostdeutschen.

Heute, so sieht es Stadtkewitz, wissen sogar viele in der CDU nicht mehr, was deutsche Interessen sind. Unter Angela Merkel ist die CDU in eine diffuse Mitte gedriftet. Leute wie der Mann aus dem bürgerlichen Pankow erleben das als Verlust der politischen Heimat, das Gefühl ist in der Berliner CDU nicht selten. Stadtkewitz hat daraus die schärfste denkbare Konsequenz gezogen: Er will eine neue, die Freiheitspartei gründen. Wie konnte es so weit kommen? Stimmt es, was Friedrich Merz vor einigen Jahren schon als wachsende politische Obdachlosigkeit des Bürgertums diagnostizierte, und ist René Stadtkewitz ein Beispiel dafür?

Er weiß, was es heißt, ohne Heimat zu sein. Im Sommer 1989 gehörte er zu denen, die über Ungarn in die Bundesrepublik flohen, mit Familie. Seine Sorge, dass das Regime zurückschlagen würde, war groß. Jetzt, an seinem Schreibtisch, überlegt er kurz, ob er etwas über seine DDR-Erfahrungen in der Zeitung lesen will. Dann erzählt er. Von dem Jungen, der er war, der studieren wollte und also zur Armee ging. Dem klar wurde, dass er an der Grenze auf Menschen würde schießen müssen. Der das ablehnte und von der Stasi drangsaliert wurde. Der eben nicht glaubte, dass die DDR im Herbst 1989 in sich zusammenfallen würde.

Sie tat es doch. Und Stadtkewitz kehrte in seine Heimat zurück. Vielleicht mit dem umso größeren Willen, sie sich nicht noch einmal nehmen zu lassen. Im wiedervereinigten Berlin wurde er Geschäftsführer einer kleinen Firma für Sicherheitstechnik, sein Schreibtisch steht in einem Gartenhaus in Pankow. Sein Büro, das ist reine Sachlichkeit, von den beigefarbenen Hängeordnern bis zu den schwarzen Rollstühlen auf dem Holzlaminat-Boden. René Stadtkewitz passt perfekt in diese funktionelle Umgebung, korrekt gekleidet in grauem Anzug über weißem Hemd. Er wirkt, als gehe ihm Nüchternheit über alles, als rege er sich nie auf und verliere nie die Beherrschung. Beim Reden über sich hat er höchstens mal ein Lächeln übrig. Über das, was ihn bewegt, wenn einer seine Vergangenheit erforscht und nach Motiven für seine politische Mission sucht, spricht er nicht viel und spürbar ungern.

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Als der Mann aus Pankow dann in der Parteipolitik aufstieg, ging es in der Berliner CDU nicht mehr um Freiheit, sondern um den Verlust der Macht. Während die CDU 2000 durch den Bankenskandal trudelte, saß er als Pankower Kreischef in den Parteiführungsrunden. Dabei sei es meist nur um „Selbstbeweihräucherung“ gegangen, sagt er. Die CDU und ihre Vormänner seien „weit weg von der Wirklichkeit“ gewesen. Stadtkewitz ging in den Untersuchungsausschuss zur Bankenaffäre. Das war kein Amt, mit dem man sich beliebt machte. Aber er zeigte, dass ihm die Fähigkeit zur „Außensicht“ auf die eigene Partei noch nicht abhanden gekommen war.

2006 begann in Pankow im Ortsteil Heinersdorf der Moscheestreit, es war die erste grundsätzliche und harte Auseinandersetzung um eine Moschee in Berlin. Die Ahmadiyya-Gemeinde wollte in einem Viertel mit kleinen Wohnhäusern und einem alten Industriegelände ein Gemeindezentrum bauen und kaufte dort ein Grundstück. Eine Bürgerinitiative bildete sich – zu spät, der Kaufvertrag war geschlossen. Pankow ist ein bürgerlicher Bezirk, ein Ausländerproblem gibt es dort nicht. Seit Jahren ziehen Familien dorthin auf der Suche nach einer heileren, geordneteren Stadt. Die Leute, die sich hier in der CDU engagieren, sind liberal, verstehen sich als Großstädter mit Sinn für Familie und Bildung. Längst ist die Moschee kein Streitpunkt mehr.

Damals war sie es, und der Streit fand in Stadtkewitz’ Wahlkreis statt. Er wollte die Bürger „nicht im Regen stehen“ lassen, wie er heute sagt. Stadtkewitz gewann Friedbert Pflüger für einen Besuch auf dem Gelände, damals Spitzenkandidat der CDU für die Wahl 2006. „Einig“ sei man sich gewesen, sagt Stadtkewitz. Doch Pflüger machte später deutlich, dass er den Pankower Moscheestreit nicht zum Prinzipienstreit über die Integration und den Islam machen wollte.

Stadtkewitz schon. Wenn eine Moschee an einem Ort entstehe, wo keine Muslime lebten, gebe es eben Probleme, sagt er heute. „Da treffen verschiedene Weltvorstellungen aufeinander.“ Der Konflikt packte ihn damals und ließ ihn nicht mehr los. Im August 2006 warf ein Unbekannter mitten in der Nacht einen Brandsatz in den Keller von Stadtkewitz’ Haus. Wäre er nicht noch wach gewesen – womöglich hätte sich das Feuer ausgebreitet und ihn und seine Familie bedroht. Doch erlebte der zurückhaltende Politiker, als er zum Kämpfer gegen die Moschee wurde, auch Zustimmung wie nie zuvor.

Ein CDU-Mann, der diesen Kampf schon damals zu heftig fand, hat beobachtet, dass Stadtkewitz im Moscheestreit „plötzlich ein Held“ geworden sei, „endlich mal einer, der es klar sagt“, habe es geheißen. Mit „René! René!“-Rufen habe man ihn in Versammlungen gefeiert. Stadtkewitz, den so viele „nett“ finden, aber nicht gewinnend, wirkte auf einmal wie ein Politiker mit Charisma.

Er begann damals, was er heute ein „Selbststudium“ nennt. Er sprach mit Schulleitern, Lehrern, Polizisten. Er lernte die islamkritische Autorin Necla Kelek kennen, später auch die Jugendrichterin Kirsten Heisig. Das Ergebnis des Selbststudiums liest man heute unter Punkt 3 der politischen Ziele der Freiheitspartei: Man wende sich „gegen die Ausbreitung totalitärer Ideologien, insbesondere den politischen Islam“.

Zum ersten Mal Streit mit den eigenen Leuten bekam René Stadtkewitz vor einem Jahr, im Oktober 2009. Mit dem Kollegen Kurt Wansner, dem integrationspolitischen Sprecher der Fraktion, hatte er zu einer Diskussion über Ursachen und Folgen von Integrationsproblemen eingeladen. Auf der Internetseite von „Pax Europa“ warb er nun für die Veranstaltung. Zum Vorstand der selbst ernannten „Bürgerbewegung“ gehören lauter Leute, die sich überall in Deutschland gegen Moscheebauten engagiert haben. Sie setzen sich für die „Bewahrung der christlich-jüdischen Tradition“ ein und bezeichnen den Islam als „faschistoide Ideologie“. Wansner fühlte sich getäuscht. Viele waren wütend auf Stadtkewitz.

Die Fraktionsführung machte Druck. Stadtkewitz reagierte schriftlich, mit einem Brief an Landeschef Henkel. Darin erklärte er „unumkehrbar“ seinen Austritt aus der Partei. Und er forderte, was er jetzt zum Hauptthema seiner Freiheitspartei machen will: Man dürfe den Islam als „verleugnetes“ Integrationsproblem „nicht auf dem Altar der islamophilen Diffamierungskartelle“ opfern. Was heißen sollte: Schluss mit der politischen Korrektheit und dem Schönreden des Islam – reden wir endlich darüber, warum sich so viele Muslime nicht integrieren wollen.

Dann war da noch so eine persönliche Sache: Ende Dezember 2009 wurde Stadtkewitz’ Neffe nachts an einer Straßenbahnhaltestelle in Prenzlauer Berg überfallen. Jugendliche türkischer oder arabischer Herkunft hätten ihm Geld und Telefon abnehmen wollen, sagte Stadtkewitz damals. Als sein Neffe der Forderung nicht nachkam, verletzte ihn einer der Angreifer mit einem Messer schwer im Gesicht. Stadtkewitz suchte selbst nach Zeugen.

Es ist die Geschichte einer inneren Radikalisierung. Stadtkewitz hatte den Eindruck, man könne in der CDU nicht mehr offen über die Ursachen der Integrationsprobleme reden. Für sich hatte er herausgefunden, was der Islam in Wirklichkeit sei – eine gefährliche Ideologie. Die treibe junge Migranten „in die Orientierungslosigkeit zwischen diametral unterschiedlichen Werte- und Gesellschaftsvorstellungen“, schrieb er in einem Brief an Frank Henkel. Im Gespräch erzählt er von seinen Versuchen, mit Muslimen in Teestuben zu diskutieren, und seinem Eindruck, dass die das nicht wollten. Einmal seien ihm sogar Prügel angedroht worden, sagt er.

Derweil verschrieb sich die Berliner CDU einem Kurs, der in die Gegenrichtung führte – weg vom Kämpferischen, Konfrontativen, hin zur Mitte. Das integrationspolitische Konzept der Partei ist liberal, voller Angebote und gutem Willen zu tolerantem Miteinander. Als es im Frühjahr mit großem Auftritt vorgestellt wurde, hielt sich Stadtkewitz heraus und schwieg. Wenig später kündigte er an, am heutigen Samstag mit Geert Wilders zu diskutieren, einem Mann, der nur zwei Tage später in Amsterdam wegen Volksverhetzung vor Gericht stehen wird. Aber für Stadtkewitz stellte der Besuch von Wilders die Möglichkeiten dar, die Neugründung seiner Partei auszuloten.

Wie Wilders glaubt Stadtkewitz, dass der Islam „deutlich mehr als eine Religion ist“, wie er in einem Schreiben an Henkel erklärte. Er sei „eben auch ein patriarchalisches, intolerantes Gesellschaftssystem, eine politische Ideologie, die ein eigenes Rechtssystem mit sich bringt“. Wenn die CDU in ihrem „Integrationspapier“, er setzte den Begriff in Anführungszeichen, den politischen Islam lediglich ablehne, sei es mit dieser Formulierung nicht getan. „Ihr müssen Taten folgen.“ Und er fuhr fort: Die CDU sei dabei, sich von ihren Werten und Überzeugungen zu verabschieden. Das war es. Anfang September wurde Stadtkewitz aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen. Den Abend verbrachte er mit politischen Freunden im italienischen Restaurant „Romana“ auf der Stresemannstraße in Mitte, drei Minuten zu Fuß vom Abgeordnetenhaus.

Drei Tage später saß er wieder im „Romana“, zusammen mit Aaron Koenig, einem früheren Vorstand der Piratenpartei, und Marc Doll, einem ehemaligen CDU-Mann. Die drei stellten ihr Konzept für die Partei „Die Freiheit“ vor.

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